Kira (10) und Lisa (13) sind “Härtefälle“ - jedenfalls für die Hamburger Schulbürokratie. Dass diese Bezeichnung so gar nicht zu den beiden...

Barsbüttel. Kira (10) und Lisa (13) sind "Härtefälle" - jedenfalls für die Hamburger Schulbürokratie. Dass diese Bezeichnung so gar nicht zu den beiden fröhlichen und aufgeweckten Mädchen aus Barsbüttel passt, das wird jedem klar, der nur fünf Minuten Zeit mit ihnen verbringt. Den Titel "Härtefall" hat ihnen allein die Tatsache eingebracht, dass sie jeden Morgen eine Landesgrenze passieren müssen, um zu ihrer Wunschschule zu gelangen: dem Charlotte-Paulsen-Gymnasium in Hamburg-Wandsbek. Wären sie nicht als Härtefall anerkannt worden, hätten die beiden Schleswig-Holsteinerinnen niemals ganz offiziell eine Hamburger Schule besuchen dürfen.

Katharina Balkie, die Mutter von Kira und Lisa, erzählt, wie sie den Platz an der Wunschschule ergattert hat. "Lisa besuchte die Grundschule in Barsbüttel und hat dann eine Gymnasialempfehlung bekommen. Wir wollten sie deshalb auch auf ein Gymnasium schicken, aber bei uns gibt es nur die Gesamtschule. Die Busverbindungen zum Glinder Gymnasium sind schlecht, außerdem sind wir nach Hamburg orientiert."

Katharina Balkie und ihr Mann arbeiten im Krankenhaus Wandsbek, nur wenige Hundert Meter vom Charlotte-Paulsen-Gymnasium entfernt. Die Buslinie 263, die morgens alle fünf Minuten fährt, bewältigt die Strecke vom Barsbütteler Rathaus zur Schule in 19 Minuten. Im Sommer können die Mädchen sogar das Fahrrad nehmen.

Also setzte sich Katharina Balkie den Mühlen der Bürokratie aus und stellte in Hamburg einen Härtefallantrag. "Man muss es aus den Lebensumständen heraus begründen, warum das Kind gerade in Hamburg die Schule besuchen muss", sagt sie. Bei den Balkies zählte, das sie beide in Hamburg arbeiten. Und es zählte die Freundin, die in der Nähe der Schule wohnte und bereit war, Lisa nach der Schule zu betreuen, wenn die Eltern arbeiten.

Mit der zweiten Tochter war es etwas einfacher. Die Mutter stellte auch für Kira einen Härtefallantrag, aber es klappte auch so: Sie bekam als Geschwisterkind einen Platz am Charlotte-Paulsen-Gymnasium.

Dennoch: Für die Eltern aus Schleswig-Holstein bleibt der Weg zum Schulplatz in Hamburg ein steiniger. Der Ausgang ist ungewiss. Jederzeit kann ihr Antrag abschlägig beschieden werden. Es gibt keine Rechtssicherheit, und Vorrang haben immer die Kinder, die in Hamburg wohnen.

Viele Eltern nutzen deshalb einen nicht ganz legalen, aber zum Ziel führenden Trick. Ein Elternteil meldet sich Anfang des Jahres um, besorgt sich also eine Hamburger Adresse. "Trennungswelle" nennen das diejenigen, die Bescheid wissen. Vorteil: Man kann sein Kind im Frühjahr, wenn es um die Anmeldung an der Schule geht, als Hamburger Deern oder Jung ausgeben.

Im Oktober werden die Familien dann wieder zusammengeführt. Das Kind hat seinen Platz in der Hamburger Schulklasse. Ein Umzug nach Schleswig-Holstein ist nun unproblematisch, sei er nun echt oder nicht. Katharina Balkie: "In den Schulen wissen alle, dass es so läuft."

Kundige Eltern empfehlen, nicht später als im Oktober/November "zurückzuziehen". Sonst wird die Gebühreneinzugszentrale an der Hamburger Adresse vorstellig. Eine längere "Trennung" der Paare macht sich auch bei der Lohnsteuer bemerkbar: Eine neue und ungünstige Eingruppierung droht.

Von all diesen Dingen ahnen Lisa und Kira nichts, wenn sie morgens um 7.08 Uhr zum kleinen Grenzverkehr in den Bus steigen. Weder sie noch die vielen anderen Barsbütteler Kinder, die entweder das Charlotte-Paulsen- oder das Marienthal-Gymnasium besuchen, nehmen wahr, dass sie jeden Tag zweimal das Bundesland wechseln. Um halb acht sind sie schon in ihrer Schule - eine halbe Stunde zu früh. Sie wollen es so. "Wir können noch auf dem Schulhof ein bisschen spielen oder uns was erzählen, das macht Spaß", sagt Kira.

Das ist gewiss kein Härtefall, sondern der Idealfall: Kinder, die gern zur Schule gehen.