Delingsdorf. Enno Glantz feiert 60-jähriges Firmen-Bestehen in Delingsdorf und blickt auf eine bewegte Familiengeschichte zurück.

Wenn am Dienstag die Erdbeersaison auf dem Hof in Delingsdorf offiziell startet, dann ist das für Enno Glantz eine ganz besondere. Genau 60 Jahre ist es her, dass sein Vater Günther sich in der kleinen Gemeinde zwischen Ahrensburg und Bargteheide niederließ und den Grundstein legte für eine Erfolgsgeschichte, die bis heute fortgeschrieben wird. Dabei war es zu Beginn alles andere als ausgemacht, dass die Familie einmal vom Erdbeeranbau würde leben können.

„Als wir in den Westen kamen, hatten wir nichts“, sagt Enno Glantz. Der Erdbeerkönig sitzt in im Besprechungszimmer im ersten Stock des Hofhauses. Die großen Fenster und der Balkon bieten einen weiten Blick über die Wiesen und Felder des Erdbeerhofs. „Von einem Tag auf den anderen waren wir vollkommen mittellos.“ Seit 1912 hatte die Familie Glantz das Gut Hohen Wieschendorf an der mecklenburgischen Ostseeküste bei Wismar bewirtschaftet, das Ennos Großvater Paul erworben hatte. „Schon sein Vater und dessen Vorfahren waren Landwirte“, sagt der 77-Jährige. Die Familie ist in ihrer Heimat Mecklenburg weit verzweigt und tief verwurzelt.

Flucht über Braunschweig nach Hamburg

Das Markenzeichen von Glantz sind die Verkaufsstände in Erdbeerform.
Das Markenzeichen von Glantz sind die Verkaufsstände in Erdbeerform. © Erdbeerhof Glantz | Unbekannt

„Als Gutsherr hatte mein Großvater sich einen gewissen Wohlstand aufgebaut und auch für seine Kinder vorgesorgt“, erzählt der Landwirt. Der älteste der fünf Söhne, Ennos Vater Günther, soll Hohen Wieschendorf erben. Doch dazu kommt es nicht. Als der Zweite Weltkrieg endet und die Rote Armee Ostdeutschland besetzt, wird die Familie Glantz enteignet und vertrieben. „1945 haben wir alles zurückgelassen und sind nach Westen“, sagt Glantz. Im sozialistischen System, das die Sowjetunion in ihrer Besatzungszone begonnen hat zu etablieren, droht Großgrundbesitzern wie ihnen die Verhaftung als Staatsfeinde. Dem 77-Jährigen ist anzumerken, dass ihn diese Passage der Familiengeschichte anfasst.

Enno Glantz, das jüngste der fünf Kinder, ist gerade einmal acht Monate alt, als seine Mutter Ninchen mit den Geschwistern und den Großeltern über Braunschweig nach Hamburg flüchtet. Vater Günther ist in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten. Er kann entkommen und folgt seiner Familie im November 1945 an die Elbe. „Wir hatten Glück. Mein Vater hat wegen seiner Erfahrung in der Landwirtschaft von der Sozialbehörde eine Anstellung als Verwalter auf einem städtischen Gutshof in Farmsen bekommen“, erzählt der 77-Jährige. Der Lebensunterhalt der Familie ist vorerst gesichert, doch das Geld bleibt knapp.

In die Zeit in Farmsen fällt auch jene schicksalhafte Begegnung, die den Namen Glantz untrennbar mit der Erdbeere verbinden sollte. In seiner Funktion als Verwalter des Gutshofs trifft Günther Glantz 1952 auf den renommierten Botaniker und Wissenschaftler Reinhold von Sengbusch, der zu diesem Zeitpunkt die Max-Planck-Gesellschaft für Pflanzenzüchtung in Volksdorf leitet. „Professor Sengbusch forschte damals an einer neuen Erdbeersorte und suchte nach Partnern für den Anbau“, sagt Enno Glantz. Bislang waren die roten Früchte vor allem als Gartenpflanzen bekannt, Sengbusch wollte sie im großen Stil auf dem Feld anbauen.

Die ersten Erdbeeren wurden im Garten angepflanzt

„Mein Vater war von der Idee sofort überzeugt, er war ein neugieriger Mensch, der schnell für etwas Neues zu begeistern war“, sagt Glantz. Doch dessen Vorgesetzter habe abgelehnt. „Da hatte mein Vater die Idee, einfach unseren Garten mit Erdbeeren zu bepflanzen.“ Die Mutter sei zunächst skeptisch gewesen, doch Günther Glantz habe seine Frau überzeugen können und es sei zur Zusammenarbeit mit Sengbusch gekommen. Die Familie verwandelt ihren gesamten Garten in ein Feld, um dort dessen neue Züchtung, die Sorte Senga Sengana, anzupflanzen. „Feldmäßigen Erdbeeranbau gab es davor nicht, da war mein Vater gewissermaßen ein Pionier“, sagt der Landwirt.

Schon in jungen Jahren hilft Enno Glantz auf den Erdbeerfeldern seines Vaters mit. Das Foto zeigt ihn 1956 mit zwölf Jahren bei der Ernte.
Schon in jungen Jahren hilft Enno Glantz auf den Erdbeerfeldern seines Vaters mit. Das Foto zeigt ihn 1956 mit zwölf Jahren bei der Ernte. © Glantz | GLANTZ

Das Geschäft rentiert sich und die Familie kann dank der Nebeneinkünfte zusätzliche Felder in Farmsen für den Erdbeeranbau pachten. Der Grundstein für den Erdbeerhof ist gelegt. 1961 wagt Günther Glantz den nächsten Schritt. „Mein Vater bekam die Möglichkeit, einen Hof in Delingsdorf zu pachten“, sagt Enno Glantz. Er sagt zu. Ein Kredit von 52.000 D-Mark, den Günther Glantz als Flüchtling erhält, dient ihm als Startkapital.

Der Betrieb in dem Dorf bei Ahrensburg ist stark heruntergewirtschaftet. „Die Wasserleitung reichte nicht ins Haus, es gab keine Toilette und kein Bad, viele wichtige landwirtschaftliche Geräte fehlten“, erinnert sich Enno Glantz an die provisorischen Umstände nach dem Einzug. Mit viel Zeit und Geld bringt die Familie den Hof wieder in Fahrt, doch die Kasse bleibt zunächst knapp. Neben Erdbeeren wird zunächst auch Getreide angebaut, dazu leben auch Milchkühe und Hühner auf dem Hof in Delingsdorf.

„Da sich das Geschäft mit den Erdbeeren als besonders lukrativ herausgestellt hat, haben meine Eltern sich immer mehr darauf fokussiert“, sagt der Landwirt. Nach einem kurzen Versuch, die Früchte als Tiefkühlprodukte in Supermärkten zu vertreiben, setzt die Familie vollständig auf die Eigenvermarktung an eigenen Verkaufsständen in Hamburg und Umgebung. „Die Konkurrenz durch Großanbieter war in den Supermärkten zu groß für ein Familienunternehmen wie unseres“, sagt der Erdbeerkönig.

Enno Glantz übernahm den väterlichen Betrieb 1972

1972 übernimmt Enno Glantz den väterlichen Betrieb in Delingsdorf, nachdem seine älteren Geschwister andere berufliche Wege gegangen waren. Er setzt ganz auf den Erdbeeranbau, der längst zum dominierenden Geschäftszweig geworden ist und gibt Viehhaltung und Getreideanbau auf. „Erdbeeren haben mich immer fasziniert“, sagt der 77-Jährige. „Der Anbau braucht viel Eigeninitiative, es gibt nicht so viele Erfahrungswerte und Studien wie etwa beim Getreide.“

Das Gutshaus Hohen Wieschendorf 1945. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist der Hof in Westmecklenburg Stammsitz der Familie Glantz.
Das Gutshaus Hohen Wieschendorf 1945. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist der Hof in Westmecklenburg Stammsitz der Familie Glantz. © Glantz | GLANTZ

Der Name Glantz ist längst regional zur Marke geworden. Seit den 1970er-Jahren können Erdbeeren auch selbst auf dem Feld gepflückt werden. 1989 erblickt das ikonische Markenzeichen des Familienbetriebs das Licht der Welt: Die Verkaufsstände in Erdbeerform, die die bisherigen simplen Holzverschläge ersetzen. „Die Idee hatte ich gemeinsam mit einem Geschäftspartner“, erzählt Glantz. Reichlich mediale Aufmerksamkeit erzeugen die zu Beginn etwa zwei Dutzend Buden, als sie ausgeliefert werden. Inzwischen gibt es in ganz Deutschland zahlreiche Nachahmer.

Nach dem Mauerfall im selben Jahr und der deutschen Wiedervereinigung ein Jahr später wird plötzlich möglich, was seit dem Kriegsende als kühner Wunschtraum gegolten hatte: Die Rückkehr nach Hohen Wieschendorf. 1991 erwirbt Enno Glantz den Familienstammsitz von der Treuhand zurück. Den Moment der Rückkehr und die Folgejahre bezeichnet der 77-Jährige rückblickend als den „Höhepunkt meines Lebens“. Ihm sei es vorgekommen, wie ein Unrecht, das endlich beseitigt worden sei.

Neue Sorte „1711“ ist noch geschmacksintensiver

„Wir Kinder wurden in dem Geiste erzogen, dass dort unsere Wurzeln liegen“, sagt Enno Glantz und dem Landwirt ist anzumerken, welche Emotionen er mit dem mecklenburgischen Gut verbindet. „Meine Eltern hatten immer den Wunsch, eines Tages zurückzukehren.“ Der Hof sei stark heruntergekommen, der Wiederaufbau des Gutes „mein größtes Abenteuer“ gewesen. In Hohen Wieschendorf entsteht ein zweiter Erdbeerhof, der in diesem Jahr parallel zum 60-jährigen Jubiläum in Delingsdorf sein 30-jähriges Bestehen feiert.

Beide Höfe bieten längst viel mehr als Erdbeeren. 2011 entstanden ein neues Wohnhaus und neue Wirtschaftsgebäude im hinteren Teil des Delingsdorfer Hofes. In den historischen Gebäuden an der Hamburger Straße sind heute das Restaurant „Glantz&Gloria“ und der Hofladen „Glantz Markt“ untergebracht. 1500 Mitarbeiter sind inzwischen in der Hochsaison auf beiden Höfen tätig, versorgen 270 Verkaufsstände mit Erdbeeren. Vor 20 Jahren hat Enno Glantz das Sortiment um Himbeeren erweitert. Dazu gibt es im Frühjahr Spargel und im Winter Weihnachtsbäume, die auch selbst geschlagen werden können.

Am Dienstag, 1. Juni, soll die Erdbeersaison in Delingsdorf in diesem Jahr offiziell starten. Enno Glantz freut sich auf viele Gäste, die dann zum Selbstpflücken auf die Felder kommen. „Für viele Familien hat das als Event inzwischen Tradition“, sagt er. Wegen der Corona-Pandemie gelten beim Pflücken Maskenpflicht und Abstandsregel. Besonders gespannt ist Enno Glantz, wie die neue Sorte „1711“ bei den Erdbeerliebhabern ankommen wird. Die Art, die in diesem Jahr erstmals in Delingsdorf angeboten wird, soll noch geschmacksintensiver sein als ihre Vorgänger.