Das Harburg-Center verkommt und riesige Verkaufsflächen stehen leer. Eigentümer, Politik und Verwaltung wollen das ändern.
Harburg. Die schönen großen Schaufenster bieten ein Bild des Jammers. Die meisten sind mit Plakaten wild beklebt, manche durch Steinwürfe geborsten. Die Backsteinfassade präsentiert sich kaum ansehnlicher, sie bröckelt vor sich hin. Geschäftiges Treiben gibt es hier schon lange nicht mehr. Nur am äußersten Ende behauptet sich im Untergeschoss noch ein einsamer Lottoladen. Wo es das gibt? Mitten in Harburg! Genauer gesagt am Harburger Ring, einer der am stärksten frequentierten Straßen des Stadtbezirks.
Die Rede ist vom Harburg-Center. Von 9000 Quadratmetern Verkaufsfläche in Top-Innenstadtlage. Wo die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr so gut ist wie sonst nur am Fernbahnhof Harburg. Vor der Tür halten nicht weniger als 18 Buslinien. Von so einem Pfund können Geschäftsleute an anderen Standorten nur träumen. Deshalb ist nur schwer zu verstehen, warum sich an solch einem neuralgischen Punkt der Stadt seit nunmehr fünf Jahren nichts mehr bewegt. "Das ist ohne Worte", brachte Hamburgs Bausenatorin Jutta Blankau die Situation während eines Harburg-Besuchs im Herbst 2011 treffend auf den Punkt.
Die Geschichte des Stillstands ist vor allem die Geschichte eines Dauerstreits. Auf der einen Seite steht der Investor Hans Dieter Lindberg. Auf der anderen fast alle namhaften Kommunalpolitiker und das Bezirksamt. Lindberg, der von 1987 bis 1991 als Bürgerschaftsabgeordneter für die Liberalen sogar im Hamburger Rathaus saß, hat sich immer wieder zum Thema Stadtplanung eingebracht. Nach eigenem Bekunden glaubt er fest an die große Anziehungskraft Harburgs als Oberzentrum der südlichen Metropolregion. Die laut Umfragen von Wirtschaftsinstituten zu den deutschlandweit reichsten Einzugsgebieten gehört. "Wer die City aufwerten will, muss zwischen den Einkaufszentren Phoenix-Center am Bahnhof und Arcaden an der Lüneburger Straße in der Innenstadt einen weiteren Anziehungspunkt schaffen, damit auch kleinere Geschäfte etwas von den Kundenströmen haben", sagt er im Gespräch mit dem Abendblatt.
Eine Schlüsselrolle spielt für ihn dabei der Seevetunnel. Den will er aufwerten. Und großzügig umbauen, samt Anbindung an sein Harburg-Center. "Ring Galerie" heißt das ehrgeizige Projekt. Eine Einkaufsmall mit einem Eingangsportal in Form einer attraktiven Glaspyramide. Die Pläne hat er schon seit 2002 in der Schublade. Doch verwirklicht sind sie bis heute nicht.
Lindberg fühlt sich immer wieder ausgebremst. 2007 gelingt es ihm nach zähen Verhandlungen, den US-Konzern TJX für ein Engagement in Harburg zu begeistern. Der will mit seinem Textilkaufhaus TK Maxx ins Harburg-Center ziehen. Doch die gewünschten Flächen stehen so nicht zur Verfügung. Deshalb gibt Lindbergs Ehefrau Jutta zuerst ihr Wellness-Center "Die Therme" auf, die sie im Haus betreibt. Schließlich reicht Lindberg eine Genehmigung für die erforderlichen Umbauten ein. Doch das Bezirksamt stellt sich quer, weil angeblich ein Bauantrag fehlt. Und legt die Baustelle still.
Die Folgen für Lindberg sind fatal. TK Maxx verabschiedet sich ebenso wie der Discounter Lidl, der sich ebenfalls für Flächen im Harburg Center interessiert hat. Später ziehen weitere Mieter aus, wie zuletzt die Postbank. Lindberg verklagt daraufhin die Stadt auf Schadenersatz. Das Verfahren läuft noch.
Auch in Sachen Seevetunnel liegt er seit Jahren mit der Verwaltung über Kreuz. Spätestens seit der ehemalige Bezirksamtsleiter Torsten Meinberg 2007 lauthals dafür plädiert, den Tunnel doch einfach zuzuschütten. Eine riesige Freitreppe sollte den inzwischen ebenfalls verwahrlosten Schandfleck ersetzen. Für Lindberg völlig indiskutabel: "Da können sich die Leute dann zum Biertrinken treffen und ihre leeren Flaschen anschließend nach unten schmeißen. Das kann doch keiner wirklich wollen."
Als Architekten die Idee Meinbergs in einem von der Stadt beauftragten Masterplan vor zwei Jahren wieder aufgreifen und überdies den Abriss des Harburg-Centers fordern, schaltet Lindberg endgültig auf stur. Solch ein Ansinnen sei anmaßend, schließlich könne nicht in dieser Weise über fremdes, nämlich sein Eigentum befunden werden. Zwar sei nicht alles schlecht, was in dem Masterplan stehe: "Doch man merkt, dass da keine Einzelhandelsexperten beteiligt gewesen sind." Zu klein seien die Verkaufsflächen bemessen, der Fokus zu sehr auf ansprechende Gebäudeensembles gerichtet.
Doch durch seine Tatenlosigkeit gerät der Investor immer wieder in Konflikt mit dem Bezirksamt. Mal geht es um die schadhafte Belüftung im Parkhaus am Harburg-Center, dann um abgeplatzte Ziegel, die im strengen Winter 2010 wegen des strengen Frosts von der maroden Fassade auf den Bürgersteig fallen.
Die Ohnmacht der Politik, die die Bürger wahlweise sprachlos oder wütend macht, bricht sich schließlich in tumultartigen Sitzungen der Bezirksversammlung Bahn. 2010 rastet der damalige Vorsitzende des Stadtplanungsausschusses, Rolf Buß (CDU), förmlich aus. "Immer wieder hat man dem Investor Lindberg die Hand geboten, und immer wieder hat er Fristen verstreichen lassen. Weshalb beteiligt er sich nicht endlich an der Aufwertung Harburgs?", zürnt Buß. Und Meinberg droht unverhohlen: "Schon zweimal bin ich wegen der Schandflecken Harburg-Center und Seevetunnel vor Gericht gewesen. Wenn es sein muss, gehe ich eben noch ein drittes Mal hin."
Der Leerstand des Harburg Centers wird von Stadtplanern und Politikern auch für den fortschreitenden "Trading-Down-Effekt" in der Innenstadt verantwortlich gemacht, dem Verschwinden inhabergeführter Geschäfte zugunsten einer übermäßigen Ansiedlung von Ein-Euro-Shops, Friseuren, Billigbackstuben und Schnellimbissen. "Ist doch klar, dass so eine Ruine viele Geschäftsleute abschreckt, sich hier zu engagieren", sagt CDU-Kreischef Ralf Dieter Fischer. Der äußert überdies Zweifel daran, dass Lindberg noch uneingeschränkt handlungsfähig ist. Eine Anfrage der Christdemokraten habe ergeben, dass gegen den Investor ein Zwangsvollstreckungsverfahren läuft. Auf Nachfrage des Abendblatts bestätigt Lindberg das nicht.
"Lindberg spekuliert darauf, dass er das Schadenersatzverfahren doch noch gewinnt und er von dem Geld das marode Center wieder in Schwung bringen kann", sagt Fischer. Auf die "Ring Galerie"-Pläne angesprochen, verdreht er nur die Augen: "Damit kommt Lindberg schon seit Jahren. Das ist eine Luftnummer, nur bunte Bilder, mehr nicht." Unterdessen hat die SPD-Mehrheitsfraktion immerhin auf den Weg gebracht, dass der Seevetunnel jetzt renoviert wird. Laut Bezirksamtsleiter Thomas Völsch laufen bereits entsprechende Ausschreibungen. "Allerdings nicht mit dem von Lindberg gewünschten Zugang zu seinem Harburg-Center", sagt Ralf Dieter Fischer.
Lindberg gibt sich derweil optimistisch: "Ich gehe davon aus, dass es zeitnah zu einer vernünftigen Lösung kommen wird." Man sei "in guten Gesprächen". Bezirksamtsleiter Völsch bestätigt das. Verwaltung und Investor würden trotz des im Vorjahr gescheiterten Mediationsverfahrens wieder an einem Tisch sitzen und miteinander reden: "Alle sind ernsthaft gewillt, zu substanziellen Ergebnissen zu kommen." Allerdings seien nun auch alle gut beraten, erst einmal still zu halten. "Lindberg weiter mit Enteignungsforderungen zu bepflastern ist nicht sachdienlich", so Völsch.
Wie das Abendblatt erfuhr, soll das Bezirksamt sogar schon ein Baugenehmigungsverfahren auf den Weg gebracht haben. Ein echter Lichtblick am Ende des Harburger Schmuddeltunnels.