In Jork-Borstel trifft sich wöchentlich die bundesweit einzige plattdeutsche Gruppe der Anonymen Alkoholiker.
Jork-Borstel. Sechs Männer decken im Gemeindehaus in Jork-Borstel den Tisch mit Tassen, Gläsern und Getränken. Es duftet nach frisch aufgesetztem Kaffee. Die Stimmung ist ausgelassen. Die Männer foppen sich gegenseitig, es wird gelacht und geplaudert - und zwar auf Plattdeutsch. Sie haben sichtlich gute Laune, obwohl sie wegen einer ernsten Sache zusammenkommen: Sie sind trockene Alkoholiker und Mitglieder der bundesweit einzigen plattdeutschen Gruppe der Anonymen Alkoholiker (AA).
Am 2. August 2004 wurde die Plattdeutsch-AA-Gruppe gegründet. Seitdem gehören sechs Männer zum festen Kern, die sich jeden Montag treffen und, nachdem die Präambel auf Platt vorgelesen wurde, über ihre Suchtkrankheit sprechen. Der Grund dafür, dass es die Gruppe mit der besonderen Mundart gebe, sei einfach, sagt Günther*: "Auf Plattdeutsch kann ich einfacher über meine Gefühle und Sorgen reden." Er sei mit Platt groß geworden. Noch heute sei die Sprache für den 69-Jährigen wichtig. Plattdeutsch sei besonders melodisch und weniger gehässig: "Der Satz 'Leck mi am mors' klingt zum Beispiel weniger verletzend als auf Hochdeutsch", sagt Günther, der seit 24 Jahren keinen Alkohol mehr trinkt und inzwischen gut mit seiner Suchtkrankheit umgehen kann. Er könne wieder im Supermarkt durch Regalreihen mit Schnaps gehen oder mit seiner zweiten Ehefrau eine Kneipe besuchen - die erste Ehe scheiterte auch wegen des Alkohols.
Dass solche Dinge weiterhin möglich sind, hat Günther auch der AA-Plattdeutsch-Gruppe zu verdanken. Der Rentner hatte die "Schnauze voll" von den Treffen, wie er selbst sagt. Er ging drei Jahre nicht zu den AA. "Ich bin froh, dass mich jemand mitgenommen hat und ich dann doch wieder gekommen bin, denn ich wurde nervöser und unzufriedener. Ich weiß nicht, wie die Sache ohne meine Rückkehr ausgegangen wäre." Nur bei den niederdeutsch plaudernden AA könne er über seine Gefühle und Probleme sprechen. Dabei helfe nicht nur, dass die Zuhörer selbst alkoholkrank seien, sondern auch, dass die Worte nicht das Gemeindehaus verlassen. Anonymität werde groß geschrieben - das System der AA-Treffen. Nicht einmal die Ehefrauen würden von den Gesprächen erfahren.
Ähnlich erging es auch Karl, der ebenfalls drei Jahre AA-abstinent war: "Ich wurde ungnädig, deshalb hat mich meine Frau wieder zu den Treffen geschickt." Eine gute Entscheidung, denn bei der Plattdeutsch-Gruppe gebe es "nur ehrliche Menschen". Zudem könne er mit ihnen Spaß haben, sagt der 71-Jährige: "Wir lachen viel. Und das ist wichtig, trotz des ernsten Themas." Diese humorvolle Art untereinander sei auch wegen des Plattdeutschs möglich.
Thomas kommt extra aus Hamburg nach Jork-Borstel. Die Plattdeutsch-Gruppe ist ihm die eineinhalbstündige Fahrt pro Strecke wert. Er ist seit 18 Jahren trockener Alkoholiker. "Ich fühle mich hier mit dem Platt wohler als in anderen Gruppen. Hier ist das Zugehörigkeitsgefühl größer und ich kann mein Plattdeutsch verbessern", sagt der 45-Jährige.
Heinrich feiert in wenigen Wochen seinen großen Tag. Der 5. März ist für ihn wichtiger als sein Geburtstag, denn an einem 5. März wurde vor 30 Jahren aus dem nassen Alkoholiker ein trockener Alkoholiker. Doch die Gefahr rückfällig zu werden, sei stets präsent. "Mein Arm ist nicht länger als bei einem Trinker", sagt Heinrich, der sein "Haus versoffen" habe. Er weiß, dass bei einem Tropfen Alkohol die Sucht wieder voll da wäre. Seine Plattdeutsch-Freunde aus der AA-Gruppe helfen ihm, damit es nicht soweit kommt. "Wir können aber nur beim Weg helfen. Gehen müssen wir alle alleine", sagt Heinrich.
* Namen von der Redaktion geändert.
Die plattdeutsche Gruppe der Anonymen Alkoholiker trifft sich montags von 19.30 Uhr an im Kirchengemeindehaus Jork-Borstel (Große Seite 9). Neue Teilnehmer sind willkommen. Weitere Informationen gibt es unter der Telefonnummer 04161/72 14 02 sowie unter 040/271 33 53.