74 Prozent der 31 weiterführenden Schulen im Landkreis Stade haben in ihre Hausordnung ein generelles Handy-Verbot festgeschrieben. Der Hauptgrund: Cyber-Mobbing.

Landkreis Stade. Es piepst, es brummt, es klingelt. Wer im Sekretariat der Buxtehuder Hauptschule Süd sitzt, braucht starke Nerven - denn hier steht der Schrank, in dem die konfiszierten Mobiltelefone der Schüler aufbewahrt werden. An jedem einzelnen Morgen, wenn sich bis zu neun Handys zur programmierten Weckzeit einschalten, klingt der Schrank wie eine Spielhalle. Es macht "klingeling", "tüdelüd" und "brrr, brrr".

Handys in Haft - seit vier Jahren greift die Hauptschule Süd hart durch. Telefonieren, Daddeln, Simsen sind hier tabu: in den Pausen, im Schulgebäude, auf dem Hof. 74 Prozent der 31 weiterführenden Schulen im Landkreis Stade haben in ihre Hausordnung so ein generelles Handy-Verbot festgeschrieben. Acht Schulen gestatten immerhin den eingeschränkten Betrieb der Mobiltelefone, etwa auf dem Schulhof oder in speziellen, Raucherbereichen nicht unähnlichen Telefon-Zonen.

Für die drastische Maßnahme gibt es aus Sicht der Schulen gute Gründe: Der Unterricht soll ohne nerviges Piepen, Dudeln oder Tastatur-Klackern über die Bühne gehen. Die Schüler sollen miteinander, nicht mit ihrem Handy reden. Vor allem aber geht es darum, Cyber-Mobbing-Attacken und die Verbreitung gewalttätiger oder pornographischer Inhalte zumindest auf dem Schulgelände zu verhindern. Mit den neuen Handys - echte Multimedia-Alleskönner - gelingt selbst Technik-Laien ein Video, ein Schnappschuss oder ein Audio-Mitschnitt. Damit lässt sich zum Beispiel eine Zeugnisübergabe filmen - oder aber ein Schüler, der bis aufs Blut gequält wird. Im Internet, auf Video-Plattformen wie YouTube etwa, seien die meist verwackelten Filmchen dann kostenlos für jedermann sichtbar. Vor allem in den unteren Jahrgängen sei das "ein Riesenthema", sagt Hubert von der Lieth, Rektor der Porta-Coeli-Schule in Himmelpforten. Der in Hannover ansässige Verein Smiley schicke deshalb immer wieder Mitarbeiter in die Klassen, um Schüler über Cyber-Mobbing aufzuklären.

Doch manchmal helfen nur drastische Maßnahmen. "Zwei Schüler haben einen Außenseiter verprügelt und das dann ins Netz gestellt", sagt Gerhard Fröhling, Leiter der Berufsbildenden Schule in Buxtehude. Danach seien Handys verbannt, die "Bösewichte" umgehend der Schule verwiesen worden. Die Haupt- und Realschule Harsefeld zog vor zwei Jahren die Notbremse, nachdem ein Siebtklässler auf einen Mitschüler sprang und das Video online stellte. Aber auch Pädagogen leiden unter der digitalen Diskriminierung. Ein Lehrer am Stader Athenaeum zeigte einen Schüler an, der ihn beim etwas ungelenken Gitarrenspiel filmte und auf You-Tube der Lächerlichkeit preisgab. Noch demütigender ist es, wenn Schüler das in England populäre "Happy Slapping" imitieren - das telegen aufbereitete Quälen von Menschen. Werner Sasse, Leiter der Hauptschule Thuner Straße, ist verblüfft, wie lässig Schüler schon mal ihr Handy zücken, wenn Gewalt im Spiel ist. "Statt bei Schlägereien zu schlichten, halten die mit der Kamera drauf."

Lehrer beobachteten zudem, dass Minderjährige neben expliziten Gewalt-, auch Porno- oder Nazi-Propaganda- Videos via Handy tauschen. "Da gilt die Devise: Je härter, desto besser", sagt Jürgen Bollnow, Leiter der Haupt- und Realschule Harsefeld. Inzwischen plant nach ersten Fällen von Cyber-Mobbing auch das Stader Vincent-Lübeck-Gymnasium ein generelles Verbot.

Offenbar wirkt der meist auf einige Tage beschränkte Verlust der Mobiltelefone nachhaltig. "Seitdem das Verbot gilt, haben wir kaum noch Probleme mit Cyber-Mobbing", sagt Günter Bruns, Leiter des Schulzentrums Apensen. Zumal auch der Katzenjammer groß ist, wenn das Lieblingsspielzeug plötzlich futsch ist. "Ich habe selbst ältere Schüler schon in Tränen ausbrechen sehen", sagt der Rektor der Kehdinger Haupt- und Realschule, Jörg Petersen.

Besonders hart greift die Haupt- und Realschule Fredenbeck durch. Dort ist sogar die Mitnahme der Geräte untersagt, auch Mp3-Player haben Hausverbot. "Die Schüler sollen sich miteinander beschäftigen, nicht mit ihren Handys", sagt Rektor Wolfgang Struck. Ins gleiche Horn stößt auch sein Kollege Werner Sasse. "Wir wollen ja nicht mit Ohrstöpseln sprechen." Schummelversuche mit dem Handy hat indes keine Schule beobachtet - wohl auch, weil die Sanktionen so gravierend sind. "Einfache Regel: Wer bei einer Prüfung ein Mobiltelefon dabei hat, für den ist sie gelaufen", sagt Athenaeums-Direktor Hermann Krusemark. Von einem generellen Handy-Verbot hält er indes nichts. "Wie soll ich etwas verbieten, was ich nicht kontrollieren kann?"