List auf Sylt/Hamburg. Entwicklung um historischen „Alten Gasthof“ bleibt Thema auf Sylt. Lists Bürgermeister erstattet Anzeige. Forderung nach Wiederaufbau.

Der Abriss des historischen Reetdachhauses „Alter Gasthof“ in List auf Sylt schlägt auf der Nordseeinsel weiter hohe Wellen. „Es gibt hier kein anderes Thema im Augenblick“, sagte der Bürgermeister der nördlichsten Gemeinde Deutschlands, Ronald Benck, am Donnerstag dem Abendblatt.

Dabei steckt der 66-Jährige selbst in einer emotionalen Zwickmühle. Denn einerseits hat auch das Lister Urgestein an dem unvermittelten Verschwinden des 372 Jahre alten Hauses zu knabbern, andererseits wird gerade er selbst dafür angefeindet, den Abriss nicht verhindert zu haben.

„Alter Gasthof“ auf Sylt: War der Abriss illegal?

„Man braucht einen Schuldigen, und als einen solchen hat man nun mich auserkoren“, sagt Benck. Dabei versichert er wiederholt, mit allen ihm verfügbaren Mitteln für den Erhalt des Gebäudes an der Alten Dorfstraße 5 gekämpft zu haben.

Doch mit einer einstweiligen Verfügung sei er noch am 30. Dezember beim Landesamt für Denkmalschutz in Kiel gescheitert, wenige Stunden später rollten die Bagger an. Trotz des fehlenden Denkmalschutzes ist Benck nach wie vor überzeugt, dass der Abriss illegal war.

Reetdachhaus-Abriss: Bürgermeister erstattet Anzeige

„Es gab dafür keine Genehmigung“, sagt Benck. Deshalb hat der ehrenamtliche Bürgermeister inzwischen bei der Polizei Westerland Anzeige gegen Unbekannt gestellt – wegen eines möglichen Verstoßes gegen die Lister Erhaltungssatzung für schützenswerte Gebäude.

„Ich wollte ein Zeichen setzen, denn hier ist eine rote Linie überschritten worden“, sagt Benck zum Einsatz der Rechtsmittel, die nach Polizeiauskunft Stand Donnerstagmittag der einzige registrierte Vorgang in diesem Fall war.

Am 30. Dezember rollten an der Alten Dorfstraße in List die Bagger an und machten das 1650 erbaute Reetdachhaus platt.
Am 30. Dezember rollten an der Alten Dorfstraße in List die Bagger an und machten das 1650 erbaute Reetdachhaus platt. © Wieda-Immobilien GbR | Unbekannt

Doch selbst, wenn die Strafanzeige erfolgreich sein sollte, wäre das für Benck nur ein schwacher Trost. Denn der Eigentümer der Immobilie könne „dummerweise“ allenfalls für eine Ordnungswidrigkeit belangt werden, und diese sehe lediglich eine Geldbuße von bis zu 30.000 Euro vor.

„Alter Gasthof“: Was geschieht mit dem Interieur?

Das Abendblatt wollte Andreas Kammholz am Donnerstag mit den Vorwürfen konfrontieren, doch der Investor war während seines Urlaubs nicht zu erreichen. Auch sein Unternehmen befindet sich derzeit noch geschlossen in Betriebsferien.

So bleibt unter anderem die Frage unbeantwortet, was mit der Inneneinrichtung des „Alten Gasthofs“ geschieht. Teile davon waren augenscheinlich vor dem Abriss gerettet worden, darunter ideell wie finanziell wertvolle Bibelfliesen aus dem 18. Jahrhundert.

Auch ein Teil der Inneneinrichtung des Alten Gasthofs war historisch wertvoll: Handgemalte Bibelfliesen aus dem 18. Jahrhundert waren jeweils um die 200 Euro wert. Die Wände der Fliesenstube waren vor dem ungenehmigten Abriss allerdings entfernt worden.
Auch ein Teil der Inneneinrichtung des Alten Gasthofs war historisch wertvoll: Handgemalte Bibelfliesen aus dem 18. Jahrhundert waren jeweils um die 200 Euro wert. Die Wände der Fliesenstube waren vor dem ungenehmigten Abriss allerdings entfernt worden. © Picture Alliance | Unbekannt

Neubau als Zweitwohnsitz ausgeschlossen

Auch über die Pläne, die hinter dem Abriss stehen, gibt es bislang nur Mutmaßungen. Klar ist: Für das Areal an der Alten Dorfstraße existiert ein Bebauungsplan. „Wildwuchs ist hier ausgeschlossen“, sagt Benck. Er könne sich den Bau eines Doppelhauses vorstellen.

Dabei wäre den Vorgaben entsprechend zumindest sichergestellt, dass es sich um eine Dauerwohnung für Insulaner mit möglicher Ferienwohnung handeln müsse. Ein Neubau als Zweitwohnsitz wäre demnach ausgeschlossen. „Sonst bebt die Insel“, prognostiziert Benck vielsagend.

„Alter Gasthof“: Forderung nach Wiederaufbau

Derweil werden erste Forderungen laut, den Eigner zum originalen Wiederaufbau des im Jahr 1650 als Bauernhaus errichteten Reetdachgebäudes zu verpflichten. „Das wäre auch mein Wunsch“, sagt Ronald Benck, der wie viele Lister etliche Kindheitserinnerungen an den im Frühjahr 2021 geschlossenen Gasthof hat.

„Es wäre die einzige Chance für den Verursacher, die Wunden zu heilen“, sagt Benck. „Ansonsten wird er auf der Insel wohl ein schweres Leben haben.“ Hoffnung macht er sich allerdings kaum. „Wir können uns alle aufregen und empören, wir werden das Haus nicht wiederbekommen. Das ist das Tragische.“