Kampen. Der Bernstein gilt als kostbarer Strandfund an Nord- und Ostsee. Doch findet man ihn heutzutage überhaupt noch?
Die Sonne strahlt an diesem kühlen Herbstnachmittag. Das Wasser der Nordsee am Strand des Landschaftsschutzgebietes Kampener Vogelkoje auf Sylt hat sich verzogen. Es ist Ebbe. Vor Wattführer Werner Mansen und seine Gästen liegt das Weltnaturerbe Wattenmeer, in dem sich heute gleißend hell die Sonne spiegelt.
„Wir haben eine wunderbare Beleuchtung“, sagt der 70-Jährige und holt sein Handy heraus. So ein schönes Licht erlebt auch er nicht jeden Tag. Mit Gummistiefeln bewaffnet geht es für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf ins Watt. Dort gibt es nicht nur eine einzigartige Landschaft zu entdecken. Wer genau hinschaut, findet womöglich auch das Gold des Meeres, wie Bernstein häufig genannt wird.
Sylt: Wer Bernstein sucht, sollte früh aufstehen
„Bernsteine sind auch heute noch auf Sylt zu finden“, sagt Werner Mansen. Er ist nicht nur zertifizierter Wattführer der ersten Stunde, sondern auch Experte, wenn es um den seit Jahrtausenden bekannten und unter anderem im Nord- und Ostseeraum verbreiteten Schmuckstein geht.
Der gebürtige Lister hat ihn schon oft gefunden und den ein oder anderen „dicken Klunker“ in den Händen gehalten. Einigen Syltern und Urlaubern wird Mansen noch als ehemaliger Leiter des Naturzentrums Braderup und Geschäftsführer der Naturgemeinschaft Sylt bekannt sein. Nach dem Tod seiner Frau brauchte er einen Neuanfang – und fand ihn im Watt.
Bernsteine auf Sylt: "Wenn Spuren im Sand sind, war ich schon da"
In den vergangenen Jahren, das sagt der 70-Jährige selbst, hat er auch äußerlich eine Metamorphose durchlebt: Früher kurze Haare und Hemd, heute lange Haare, Vollbart und Funktionskleidung.
So führt er auch heute Familien, Kinder und Erwachsene als Gästeführer durchs Watt. Seine Empfehlung für diejenigen, die Bernsteine finden wollen: „Früh aufstehen und weit laufen“, sagt Mansen. „Wenn Spuren im Sand sind, war ich schon da.“ Aber Spaß beiseite. „Die besten Chancen haben Bernsteinsammler nach Herbst- und Winterstürmen“, so der Naturkundler. Dann wird der Stein häufig an den Küsten angespült. Weil dann oft Bernsteinsucher unterwegs sind, lohnt es sich tatsächlich, früh aufzustehen.
Im Sommer stehen die Chancen eher schlecht. Kaltes Wetter hingegen kann hilfreich sein, sagt Mansen: „Das Salzwasser hat bei vier Grad seine höchste Dichte. Bei dieser Temperatur schwimmt der Bernstein sogar.“
Bernstein ist leichter und weicher als andere Steine
Mansen selbst hat erst kürzlich wieder einen Bernstein gefunden, an der Südspitze der Insel. „Bernstein hat ein ähnliches Gewicht wie Holzbrocken“, erklärt der 70-Jährige. Der Schmuckstein ist leichter als andere Steine. Das Farbspektrum reicht von bräunlich bis weißlich, honiggelb, hellgelb oder rötlich. Ein anderes Merkmal: „Bernstein ist relativ weich“, so Mansen.
Die sogenannte Mohshärte beschreibt in der Mineralogie die Härte eines Minerals auf einer Skala von 1 bis 10. Bernstein hat eine Mohshärte von 2 bis 2,5. Wer es mit einem Messer eindrückt, hinterlässt eine Rille. Zur Unterscheidung: Der gelbe Feuerstein, mit dem Bernstein häufig verwechselt wird, ist wesentlich härter.
Heute findet die Gruppe rund um Werner Mansen keinen Bernstein. Dafür aber jede Menge anderes: Sandspaghetti zum Beispiel, das sind die Ausscheidungen des Wattwurms. Der wiederum ist einer der sogenannten Small Five, die Forscher und Nationalparkverwaltung als die bedeutsamsten Tiere im Watt bezeichnen. „Sie sind die Botschafter des Wattenmeeres in Analogie zu den Big Five der Safari, das finde ich sehr schön“, sagt Werner Mansen.
Zu ihnen zählen neben dem Wattwurm die Gemeine Herzmuschel, die Gemeine Strandkrabbe, die Gemeine Wattschnecke und die Nordseegarnele. Aber auch Vögel begegnen der Gruppe auf der Wanderung: Strandläufer, Sanderlinge und Austernfischer. Mit Leib und Seele engagiert Mansen sich für den Schutz des Nationalparks Wattenmeer. Das Gebiet zwischen Dänemark und Holland erstreckt sich auf 11.500 Quadratkilometern und ist einzigartig auf der Welt.
Bernsteine faszinieren die Menschen seit Tausenden Jahren
Wer den Bernsteinen auf der Spur ist, kann hier fündig werden. Aber nicht überall sind die Chancen gleich gut. „In Dänemark gibt es noch verhältnismäßig viel Bernstein“, verrät Mansen. Aber auch an den schleswig-holsteinischen Nordseeküsten oder den ost- und nordfriesischen Inseln, wie Sylt eine ist, sind Sammler erfolgreich. An der schleswig-holsteinischen Ostseeküste indes gibt es eher selten Bernstein.
Der Bernstein hat eine Millionen Jahre alte Geschichte. „Der häufigste Bernstein hier stammt aus dem Baltikum und entstand dort vor etwa 40 Millionen Jahren aus dem Harz von Nadelwäldern“, so Mansen. Als der Meeresspiegel anstieg, spülte das Wasser den Bernstein an die Nord- und Ostseeküsten.
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Seit Tausenden Jahren sind die Menschen von dem Schmuckstein fasziniert. Funde belegen, dass bereits vor 12.000 Jahren in Nordfriesland Perlen und Anhänger daraus hergestellt wurden. In der Antike wurde er als Tauschstein genutzt. Auch Heilkräfte wurden ihm nachgesagt.
Sylt: Bernsteine haben eher einen ideellen Wert
Der Wert eines Bernsteins hängt von Qualität, Farbe und Größe ab. Wer reich werden möchte, sollte allerdings laut Werner Mansen nicht aufs Bernsteinsammeln setzen. Vor allem bei kleinen Bernsteinen lohnt der Verkauf meist nicht. Besser: selbst als Erinnerung behalten. „Er hat eher einen ideellen Wert“, so der Experte.
Wer den Schmuckstein findet, kann diesen zum Beispiel schleifen, ein Loch hereinbohren und ihn als Kette tragen. Workshops zum Beispiel beim Künstlerkollektiv Art Wave Sylt helfen dabei. Werner Mansen selbst übrigens trägt eine Mala aus Bernstein um den Hals. Das ist eine im Buddhismus und Hinduismus gebräuchliche Gebetskette, die bei der spirituellen Praxis helfen soll. Seit er die von einem buddhistischen Mönch bekommen hat, ist die Kette sein ständiger Begleiter – auch, wenn er bei der Suche im Watt mal leer ausgeht.