Sylt. Mitfahrbänke sollen Sylt-Urlaubern beim Trampen helfen und dabei das Klima entlasten. Taugt das Konzept? Der Selbstversuch.
Sylt ist eine Auto-Insel. Bis zu 19 Mal am Tag erreicht der Sylt-Shuttle der Deutschen Bahn die Insel über den Hindenburgdamm und hat bei maximaler Auslastung auf jeder Fahrt 150 PKW, Wohnmobile und Motorräder geladen. An Fahrzeugen mangelt es auf Sylt also nicht - und das sollen sich jetzt auch alle zunutze machen können, die ohne eigenes Auto auf die Insel gereist sind. Die Lösung heißt: Mitfahrbänke.
Sylt: Mitfahrbänke sollen Beitrag zum Klimaschutz leisten
Wer sich auf einer der 14 gekennzeichneten weißen Bänke auf Sylt niederlässt, der zeigt damit an: Ich suche eine Mitfahrgelegenheit. Mit Glück hält also fix ein dicker Porsche Cayenne oder ein schnittiger Opel Corsa an und sammelt den Tramper ein.
Das spart Sprit sowie Nerven und verhilft im besten Fall zu einer netten Urlaubsbekanntschaft - so die Theorie der Initiatoren vom Verein AktivRegion Uthlande. Laut der lokalen Aktionsgruppe soll das Projekt die Mobilität im ländlichen Raum verbessern, das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs ergänzen sowie einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Mit der Mitfahrbank über die Insel – der Selbstversuch
Doch wie sieht es in der Realität aus? Ob das Angebot wie gewünscht funktioniert, hat das Abendblatt im Selbstversuch getestet. Als Probe aufs Exempel diente dabei die Mitfahrbank am Alten- und Pflegeheim Johanniter-Haus Westerland im Wenningstedter Weg.
Bevor sich der Tramper auf unbestimmte Zeit niederlässt, gilt es das Fahrziel anzuzeigen. Dazu können große, gut lesbare Richtungsschilder ausgeklappt werden. Nur wohin soll es gehen? In die Stadtmitte fahren vermutlich viele Autos - das hält sicherlich bald jemand an. Am Ende fällt die Wahl aber auf die Richtung "Bahnhof". Denn von dort aus sollte der Rückweg im Zweifel auch ohne Mitfahrbank gesichert sein.
Muss man wirklich nur fünf Minuten warten?
Das inselübergreifende Projekt der Region Uthlande umfasst insgesamt 40 Bänke in 13 Kommunen auf Amrum, Föhr, Pellworm und Sylt. Die Sylter Bänke wurden im April dieses Jahres installiert. Eigentlich sollten sie bereits vor zwei Jahren aufgestellt werden. "Aber in dieser Phase der Pandemie konnten wir das nicht machen, da durften die Leute ja nicht einfach zu Fremden ins Auto steigen", so Jürgen Kolk, Regionalmanager der AktivRegion Uthlande.
Insgesamt hat der Verein die 40 Bänke auf den vier Inseln zu 70 Prozent gefördert. Unter dem Strich hätten sie die lokale Aktionsgruppe rund 29.000 Euro gekostet, berichtet Regionalmanager Kolk. Er selbst hat das Angebot übrigens noch nicht getestet. "Ich hatte den Bedarf noch nicht", sagt er lachend. Wie lange man auf der Bank sitzen müsse, bis jemand anhält? "Ich schätze…mhh… fünf Minuten", meint er.
"Mal gucken, ob Sie morgen noch da sitzen"
Nun, nach fünf Minuten ist auf der Mitfahrbank im Wenningstedter Weg noch nicht viel passiert. Nach einem "zentralen Ort", an dem die Bänke laut den Initiatoren der lokalen Aktionsgruppe AktivRegion Uthlande stehen, sieht es hier auch nicht aus. Nur hin und wieder braust ein Auto vorbei. Offenbar entdecken die meisten Fahrer die arme Tramperseele dort auf der Bank. Sie blicken jedenfalls unmissverständlich herüber, mit Blicken von schelmisch bis mitleidig - doch niemand hält an.
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Eine Viertelstunde ist vergangen. Vielleicht führt der einsetzende Nieselregen dazu, dass sich jemand erbarmt? Eine Radfahrerin ruft quer über die Straße: "Na mal gucken, ob Sie morgen noch da sitzen!" Doch das ist kein Grund zur Entmutigung. Womöglich hilft es ja, zusätzlich den Daumen herauszuhalten.
Nach einer halben Stunde hält endlich jemand an
Tatsache! Nach etwas mehr als 30 Minuten hält ein Fahrzeug an - und was für eins. Ein ganz großes, das jeden per Anhalter Reisenden ungefragt einsammelt. Es handelt sich um den Bus, der an der Haltestelle direkt neben der Mitfahrbank im Wenningstedter Weg zum Stehen kommt.
Allerdings: Statt einer anonymen Fahrt im Omnibus wünscht sich ein echter Tramper doch spannende Bekanntschaften, die luftige Rückbank eines alten Chevrolet Cabrio und einen Hauch Abenteuer. Der Bus kann also allein weiterfahren. Dem Konzept Mitfahrbank ist eine zweite Chance zuzugestehen.
Wahrscheinlich beschert ausschließlich die Bank im Wenningstedter Weg kein Glück. Im wenige Fußminuten entfernten Bahnweg könnte es doch vielversprechender sein, per Anhalter zu reisen? Könnte es - ist es aber nicht. Denn die auf der Webseite der AktivRegion Uthlande ausgeschriebene Mitfahrbank im Bahnweg ist unauffindbar und der Traum von der großen Freiheit per Autostopp damit endgültig geplatzt.
Sylt ist noch nicht bereit für die Mitfahrbank
Zurück geht es ganz langweilig mit dem Bus. Aber vielleicht ist das nicht die schlechteste Entscheidung. Denn auch die Mitfahrbank-Initiatoren der lokalen Aktionsgruppe weisen darauf hin: Das Reisen per Anhalter geschieht auf eigene Gefahr, da haftet im Fall der Fälle niemand außer dem Tramper selbst.
Im Fazit ist das Projekt Mitfahrbank als gut gemeint zu werten. Vermutlich sind die Sylter und Sylt-Urlauber einfach noch nicht bereit für diese Verbindung aus Klimaschutz, Kontaktbörse und Abenteuer. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.