Kiel. Beteiligung extrem niedrig: Forsa-Chef Manfred Güllner mit überraschendem Blick auf Wahlausgang in Schleswig-Holstein.

Betrachtet man die Zahlen des Landeswahlleiters, ist die Kommunalwahl in Schleswig-Holstein vor einer Woche so ausgegangen: Die CDU kam auf 33,8 Prozent, die SPD auf 19,4, die Grünen auf 17,7. Demnach gewannen die Grünen mit 1,2 Prozentpunkten genauso viel, wie die CDU an Zustimmung verlor, und die SPD sackte um 3,9 Prozentpunkte ab. Damit landeten die drei großen Parteien im Norden in etwa im Rahmen der Erwartungen. Betrachtet man aber die Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Forsa, muss die Bewertung ganz anders ausfallen.

Forsa-Chef Manfred Güllner hat für die CDU 16,5 Prozent ermittelt, für die SPD 9,5 Prozent und für die Grünen 8,7 Prozent. Der Meinungsforscher hat in seiner Analyse für das Hamburger Abendblatt die Stimmen für die Parteien in Relation gesetzt zu allen Wahlberechtigten – statt in Relation zur Wahlbeteiligung. Und die lag noch unter 50 Prozent. „Damit war die Zahl der Nichtwähler auch bei dieser Wahl wieder größer als die der Wähler aller anderen Parteien zusammen“, sagt Güllner.

Kommunalwahlen: Mehr als jeder Zweite verweigerte sich

Immer wieder weist Güllner auf die Folgen einer geringen Wahlbeteiligung hin. So habe sich bei den Wahlen in Bremen und in Schleswig-Holstein am Sonntag „der Unmut sehr vieler Wahlberechtigter über das inhaltliche und personelle Angebot der Parteien vor Ort wieder in einer hohen Zahl von Nichtwählern gezeigt“, sagt er.

Der Kommunalwahl verweigerte sich mehr als die Hälfte (51,2 Prozent) aller Wahlberechtigten. In Kiel gingen mehr als 54, in Lübeck 59, in Neumünster 60 und in Flensburg sogar rund 65 Prozent der Wahlberechtigten nicht zur Wahl.

Für ihn scheint die „unverändert hohe Zahl von Wahlverweigerern“ ein Indikator dafür zu sein, dass alle Parteien die Erwartungen der Bürger an die Politikebene in den Städten und Gemeinden nicht mehr erfüllten, sagt Güllner. Viele lokale Politiker kümmerten sich nicht ausreichend um die Bedürfnisse der Mehrheit der Menschen in der jeweiligen Ortschaft.

„SPD vergrault Wähler aus der Mitte der Bevölkerung“

Die SPD, deren Erfolg im Norden jahrelang vor allem auf den Ergebnissen in den größeren Städten basierte, hat ihren Rang als einstige Großstadt-Partei auch in Schleswig-Holstein verloren. „In Kiel, Neumünster und Lübeck wurde sie nur noch von einem Zehntel der Wahlberechtigten gewählt, in Flensburg mit 4,8 Prozent sogar nur noch von einem Zwanzigstel.“ Aus Sicht Güllners räche sich eine Politik der SPD, die nicht mehr die eigene Klientel, sondern überwiegend die „Interessen der Minorität der grünen Wähler der oberen Bildungs- und Einkommensschichten“ berücksichtige. Damit vergraule die SPD ihre einstigen Wähler aus der Mitte der arbeitenden Bevölkerung.

Als Beleg für seine These führt Güllner das Beispiel Kiel an. In der Landeshauptstadt habe SPD-Oberbürgermeister Ulf Kämpfer das eigene Wählerpotenzial zunehmend enttäuscht. „Er hat damit den Grünen dazu verholfen, stärkste politische Partei in Kiel zu werden.“

Partei müsse sich aus der Umklammerung des Zeitgeistes lösen

Wenn die SPD in Schleswig-Holstein noch eine Zukunft haben wolle, müsse sie nicht nur die „Altlasten“ des extremen Linkskurses des langjährigen Parteichefs Ralf Stegner entsorgen, sondern sich „auch aus der Umklammerung des grünen Zeitgeistes befreien, der von der großen Mehrheit der früheren SPD-Wähler aus der politischen und gesellschaftlichen Mitte nicht mitgetragen wird. Ob aber die der SPD verbliebene personelle Basis dazu in der Lage ist, darf bezweifelt werden“, greift das SPD-Mitglied Güllner seine eigene Partei an.

Auch bei der Analyse der Grünen-Ergebnisse hat Güllner einen etwas anderen Blick. Zwar sei der Anteil der Wähler seit der Kommunalwahl 2018 von 7,7 auf 8,7 Prozent der Wahlberechtigten gestiegen. Doch damit habe die Partei nur einen Teil ihres Potenzials mobilisieren können. So hätten bei der Bundestagswahl 2021 noch 14,2 Prozent aller Wahlberechtigten grün gewählt. Und im Vergleich zur Europawahl von 2019, als die Partei auf 17,3 Prozent der Wahlberechtigten kam, sei der Wählerschwund noch größer. „Selbst die Grünen scheinen also mit einer zu ausgeprägten lokalen Klientelpolitik ehemalige Wähler, die nicht zur engen homogenen Wertegemeinschaft der Grünen zählen, zu verärgern“, sagt Güllner.

Kommunalwahl: Was Güllner über die CDU-Ergebnisse sagt

In Güllners Analyse kommt die CDU noch am besten davon. Die scheine die vergleichsweise besseren Kommunalpolitiker zu haben, die ihr 16,5 Prozent aller Wahlberechtigten einbrachten, „während der SPD und den Grünen noch nicht einmal 10 von 100 Wahlberechtigten (9,5 bzw. 8,7) ihre Stimme gaben“. In den vier kreisfreien Städten fuhr die CDU ein deutlich schlechteres Ergebnis ein als im Landesdurchschnitt. Nach Güllners Berechnung wurde sie in Neumünster von 11,6, in Kiel von 10,5, in Lübeck von 9,8 und in Flensburg von 6,8 Prozent der Wahlberechtigten gewählt. „Die CDU ist also auch in Schleswig-Holstein noch weit davon entfernt, eine Partei auch der großen Städte zu sein“, sagt der Forscher.