Bösdorf/Hamburg. Der Familienvater aus den Elbvororten handelte offenbar im Wahn. Der Sechsjährige war mit ihm allein auf einem Campingplatz bei Plön.
Sie fuhren aus den Hamburger Elbvororten nach Norden, nur Vater und Sohn, rund 110 Kilometer. Markus A. (Name geändert) hatte einen Dauercamperplatz auf einer ruhig gelegenen Anlage in Bösdorf bei Plön und nahm seinen Sechsjährigen öfter dahin mit. Nach allem, was die Ermittler bislang wissen, gab es keinerlei Anzeichen auf ein bevorstehendes Verbrechen. Markus A. war nie straffällig geworden. Und seine schwere psychische Erkrankung war offenbar auch den Behörden nicht bekannt.
In der Nacht zu Sonntag, um 3.37 Uhr, wählte Markus A. den Notruf 110. Er habe seinen Sohn getötet. Die alarmierten Beamten fanden kurz darauf die Leiche des Jungen auf dem Campingplatz, er war schwersten Stichverletzungen erlegen. Sein Vater hatte Schnittverletzungen an den Händen, die er sich offenbar selbst mit dem Tatmesser zufügte. Markus A. leistete bei der Festnahme keinen Widerstand.
Sohn erstochen: Hatte der Vater Wahnvorstellungen?
Wie konnte es zu dieser Tragödie kommen? Nach Abendblatt-Informationen war klar diagnostiziert worden, dass der Vater an einer Erkrankung leidet, die auch mit Wahnvorstellungen einhergehen kann. Er könnte aus einem plötzlichen, irrationalen Angstimpuls gehandelt haben, das sechs Jahre alte Kind als Bedrohung wahrgenommen haben. Dass Patienten etwa bei einer paranoiden Schizophrenie auf einmal gewalttätig werden, ist allerdings sehr selten. Auch wurde Markus A. kurz vor der Tat offenbar weder auf dem Campingplatz auffällig, noch nahm er das Kind gegen den Willen der Mutter auf den Ausflug mit.
Beamte des Polizeikommissariats 25 informierten die Frau über den Tod ihres Kindes. Mutter und Vater lebten bereits getrennt. Markus A. hatte ein Umgangsrecht für den gemeinsamen Sohn, das auch unbegleitete Ausflüge nicht ausschloss. Ob die Mutter von der Erkrankung ihres ehemaligen Lebensgefährten wusste, ist unklar. „Dem Jugendamt war die Familie nicht bekannt“, sagte Mike Schlink, Sprecher des zuständigen Bezirksamtes Altona, am Dienstag auf Anfrage.
Familienvater war schon in ärztlicher Behandlung
Markus A. war wegen seiner Erkrankung zuvor in ärztlicher Behandlung. Ob diese noch andauerte und er Medikamente gegen Wahnvorstellungen nehmen musste, will oder kann die Staatsanwaltschaft in Kiel noch nicht sagen. Noch am Sonntag wurde Markus A. in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen. Es gilt als wahrscheinlich, dass er in der Nacht zu Sonntag „schuldunfähig“ war, im Wahn handelte und nicht mehr Herr seiner Sinne war. Dann könnte er auch nicht strafrechtlich belangt, aber auf unbestimmte Zeit zur Behandlung im sogenannten Maßregelvollzug untergebracht werden.
Die Ermittler sind bei der Frage, ob sich die Tat in irgendeiner Weise abgezeichnet haben könnte, sehr vorsichtig. Die meisten Schizophreniepatienten isolieren sich eher, statt sich selbst oder anderen zu schaden. Auch die moderne Medizin und Psychologie kann aber nicht vollständig erklären, wie Wahn entsteht und warum es in einigen Fällen zu krassesten Gewaltausbrüchen kommt.
Händedruck kann schon als Angriff aufgefasst werden
Die verbreiteteste Erklärung ist die sogenannte Dopaminhypothese: Ein Überschuss des Botenstoffes Dopamin im Gehirn, der eigentlich als Glückshormon bekannt ist, sorgt für eine verstärkte Wahrnehmung von äußeren Reizen. Etwa ein Händedruck kann so schon als Angriff aufgefasst werden.
Das Gehirn sucht Erklärungen dafür und bildet Wahngedanken aus. Stehen die Betroffenen dann über längeren Zeitraum unter starken Emotionen wie Verfolgungsangst, kann dies einen Flucht- oder Kampfreflex auslösen. Mit Medikamenten, die bestimmte Rezeptoren im Gehirn blockieren und den Dopamimüberschuss reduzieren, sowie mit Psychotherapie gelten Patienten heutzutage als gut behandelbar.
Sohn erstochen: Ärzte dürfen nur in Ausnahmefälle Behörden informieren
Wenn Eltern eine wahnhafte Erkrankung entwickeln, wird dies nicht zwingend dem Jugendamt oder dem Familiengericht gemeldet. Im Gegenteil: Es ist die Ausnahme. „Die Vorsicht zum Schutz der Kinder kollidiert hier mit der ärztlichen Schweigepflicht“, sagt der Sprecher der Sozialbehörde, Martin Helfrich. Behandelnde Ärztinnen und Ärzte dürfen nur dann die Behörden einschalten, wenn es konkrete Hinweise auf eine akute Gefährdung gibt. Meist ist dann eine vorübergehende Zwangseinweisung der erste Schritt.
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Auch das Recht von Müttern und Vätern, ihre Kinder zu sehen, ist besonders geschützt. Nach tödlichen Fällen von Kindesmisshandlung wurde in Hamburg zwar eingeführt, dass bei schwerer Drogensucht der Eltern die Jugendämter sich die Situation der Familien ansehen. Bei schweren psychischen Erkrankungen gibt es eine solche Regel aber nicht.