Schleswig. Künftig sollen für Gemeinden Wachstumsgrenzen definiert werden – für nachhaltigen Tourismus, den auch die Einheimischen mittragen.
Max Triphaus ist der Geschäftsführer von Ostseefjord Schlei, der Tourismusorganisation für die Schlei-Region. Im vergangenen Jahr brachte er die Gemeinden zwischen Schleswig, Eckernförde und Steinbergkirche im Norden bundesweit mit einem Modellprojekt in die Schlagzeilen, an dem die Region teilnahm.
Im Abendblatt zieht er eine Bilanz der vergangenen Saison und blickt in die kommende voraus. Außerdem berichtet er, wie er den Spagat schaffen will zwischen dem zunehmenden Interesse der Touristen und den Bedürfnissen der Einheimischen.
Hamburger Abendblatt: Die Saison 2022 steht vor der Tür. Bevor wir darüber sprechen, möchte ich Sie um eine schnelle Bilanz des Jahres 2021 bitten.
Max Triphaus: Ja, 2021 war in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Wir hatten von Anfang Mai bis Ende September Hochsaison ohne eine Nachfragedelle, wie sonst beispielsweise im Juni. Im Vergleich zu 2020 liegt das Plus an Übernachtungen bei 24 Prozent. Das sollte man aber nicht heranziehen zum Vergleich, denn 2020 war ein Corona-Jahr mit Lockdown. Wir nutzen den Vergleich zu dem letzten „normalen“ Jahr, 2019. Da liegt das Plus bei 15 Prozent. Eine solche Entwicklung schaffen nur die wenigsten Regionen. Die Schlei hat davon profitiert, dass die Menschen durch die Corona-Pandemie nicht ins Ausland reisen konnten und wollten. Außerdem hat uns sicherlich das Modellregion-Konzept einen Schub verpasst. Wir konnten früher anfangen, wieder Urlauber zu empfangen, und wir waren in aller Munde. Das zeigt auch die Auswertung einer aktuellen Gästebefragung.
Was haben Sie noch bei der Befragung herausgefunden?
Triphaus: Spannend ist zu sehen, dass der Anteil an Ersturlaubern deutlich gestiegen ist. 35 Prozent der Befragten waren zum ersten Mal in der Region. Zum Vergleich: 2017 hatten wir hier noch einen Wert von 26 Prozent. 78 Prozent der Gäste waren zum ersten Mal in dem jeweiligen Urlaubsort, das waren 2017 noch 67 Prozent. Der Stammgastanteil, das heißt Menschen die mindestens zum dritten Mal in dem Ort oder der Region waren, lag bei 13 Prozent und ist damit nur noch etwa halb so hoch wie 2017 mit 24 Prozent. Das zeigt uns, wie sehr die Schlei in den Fokus der Menschen gerückt ist. Ziel muss es jetzt natürlich sein, dass diese Ersturlauber wiederkommen. Und dass sie anderen Menschen von ihren Tagen hier oben berichten, sodass wir weiterhin neue Gäste begrüßen können.
Was erwarten Sie für 2022?
Triphaus: Bisher sieht die Buchungslage für die kommende Saison noch ganz normal aus, verglichen mit unserem Vergleichsjahr 2019. Aktuell stehen wir auf einer schwarzen Null. Allerdings wird traditionell der Urlaub heute deutlich später gebucht, also wird es sicher noch anziehen. Wir rechnen für diese Saison mit einem moderaten Wachstum von bis zu zehn Prozent, verglichen mit 2019. Es wird kein zweites Jahr geben mit einer Hauptsaison, die ein halbes Jahr lang läuft. Das ist auch genau das, was wir erreichen wollen. Ein normales touristisches Jahr. Wir wollen schließlich ein moderates Wachstum in der Region, bei dem auch die Einheimischen mitgenommen werden können. Und bei dem die Infrastruktur mitwachsen kann.
Damit kommen Sie auf ein wichtiges Thema hier oben zu sprechen. Die Infrastruktur ist auf diese Gästezahlen nicht ausgelegt. Wie wollen Sie dieses Problem lösen?
Triphaus: Sie haben recht. In einigen Orten sind in den vergangenen Jahren die Tourismuszahlen nach oben gegangen. Die Infrastruktur konnte mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten. Wir wachsen nicht beim Verkehr, das hat man im Sommer gemerkt, wenn die Straßen verstopft waren. Wir wachsen nicht ausreichend mit bei den Freizeitmöglichkeiten und den gastronomischen Angeboten. Wir wollen diese Fragen offen angehen und vor allem auch nachhaltig etwas bewegen. Erste Projekte laufen, wie beispielsweise der Ausbau verschiedener wichtiger Radwege, von Schleswig nach Süderbrarup, von Kappeln nach Olpenitz oder in der Geltinger Birk. Das Ziel muss es sein, die Fahrzeuge auf der Straße zu reduzieren.
Das wird aber nicht reichen.
Triphaus: Nein, wir werden für die Städte und Teilräume der Region definieren, welche Wachstumspotenziale noch vorhanden sind und wie gegebenenfalls Wachstum gestaltet werden soll. Es gibt im Binnenland sicher noch Luft für eine Entwicklung im Beherbergungsbereich. Einige andere Kommunen wiederum geraten von der Infrastruktur her an ihre Grenzen. Für alle Kommunen gilt es, Wachstumsgrenzen festzulegen, die auch verbindlich von den kommunalen Gremien beschlossen werden. Dies erleichtert der Politik in Zukunft, auch mal Nein zu Projekten zu sagen, die die Kapazität an Urlaubsbetten zusätzlich erhöht.
Das ist ein erster Schritt zu einem geordneten Wachstum. Aber wie gehen Sie mit dem Spagat zwischen den Interessen der Tourismusbranche und den Interessen der Einheimischen um?
Triphaus: Der beschriebene Weg ist ein Baustein, um die Bevölkerung mitzunehmen. Wir wollen zeigen, dass wir Kritik ernst nehmen. Auch deshalb haben wir eine groß angelegte Befragung der Menschen hier in der Region gemacht. Entscheidend ist bei der Diskussion, dass wir aufhören, alles durch die Tourismusbrille zu betrachten. Wir brauchen eine andere Herangehensweise, müssen uns die Brille der Einheimischen aufsetzen. Den meisten Menschen ist klar, dass die Region vom Tourismus lebt. Aber dennoch muss jeder seinen Anspruch auf seinen eigenen Lebensraum haben. Wenn wir den letzten Winkel mit Touristen füllen, kommt es als Bumerang zurück.
Was heißt das konkret?
Triphaus: Zusammen mit der Bevölkerung erarbeiten wir nun erste Schritte, damit sich alle wohlfühlen. Ich nenne mal als Beispiel das kleine Örtchen Arnis. Die Stadt war im vergangenen Sommer verstopft von Besuchern. Nun müssen wir definieren, was wollen die Menschen vor Ort, und wie kriegen wir das hin? Es gibt viele Möglichkeiten, den Besucherzustrom zu regulieren oder zu lenken: von harten Maßnahmen des Ausschlusses der Ferienhausnutzung, einer besseren Parkraumüberwachung über eine Reduzierung der Parkplätze und Anliegerverkehr bis hin zu weichen Maßnahmen, die zum Beispiel für ein rücksichtsvolleres Miteinander vor Ort werben. Das alles in einen detaillierten Stufenplan gegossen, der unterschiedliche Maßnahmen miteinander kombiniert, bis der gewünschte Effekt eintritt. Unabhängig davon müssen wir die Ziele in der zweiten Reihe attraktiver gestalten. Die würden sich nämlich über mehr Besucher freuen. Hier bleibt die Frage, wie können solche Orte für Gäste attraktiver werden? Beispielsweise durch Freizeitangebote oder Restaurants. So haben auch die ländlichen Regionen gute Chancen, angenommen zu werden – und entlasten die Orte in der ersten Reihe. Wir hoffen auf diesem Wege, den Spagat zwischen den Interessen zu schaffen.
Stimmt es, dass sich das Angebot in der Region gerade wandelt?
Triphaus: Ja, schon seit einigen Jahren tut sich viel hier oben. Es ist viel Geld im Markt, Investoren legen ihr Geld gern im Tourismus an. Auch das hat dazu geführt, dass sich die Struktur gewandelt hat. Die kleinen Zimmer unter dem Dach, die werden nicht mehr gebucht. Es wird eine hohe Qualität gefordert, und Stück für Stück stellen sich die Anbieter auch darauf ein. Und die, die es bisher nicht getan haben, die müssen wir davon überzeugen, dass es sich lohnt, in die Ferienwohnung zu investieren. Gerade jetzt. Nun müssen wir es außerdem schaffen, dass wir die kleinteilige Struktur mit einzelnen Ferienwohnungen, die hier vorherrscht, noch mehr professionalisieren. Aber da ist die Region auf einem guten Weg.
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Kommen wir zum für die Zukunft vielleicht wichtigsten Aspekt, den des Fachkräftemangels. Wie ist die Lage hier an der Schlei? Und wie wollen Sie dem entgegenwirken?
Triphaus: Der Personalmangel ist eine große Herausforderung, auch für uns. Wir haben schon jetzt für die Betriebe vor Ort zu wenig Fachkräfte. Für die Betriebe, die neu entstehen, ist das erst recht der Fall. Ich sehe zwei Möglichkeiten, um dem zu begegnen. Da gibt es das Beispiel aus St. Peter-Ording, wo sich im Nordsee Kollektiv Hoteliers und Gastronomen zusammengeschlossen haben, um Fachkräfte anzuwerben. Ich finde, das ist eine tolle Idee, und ich habe es in Kappeln vorgestellt. Dieses Konzept setzt aber voraus, dass man sich vertraut. Dass man die Zahlen offenlegt über die einzelnen Betriebe. Aber es kann klappen, weil man sich unterstützen und gemeinsam eine Offensive starten kann. Die zweite Variante lässt sich auf Sylt beobachten, wo allgemein für die Region als Lebensraum geworben wird. Und zum Leben gehört die Arbeit dazu, also werden die Arbeitsplätze mitbeworben. Dabei sollte nicht der Gast im Focus stehen, sondern die Arbeitskraft. Und klar ist, dafür muss Geld in die Hand genommen werden. Aber auch das kann funktionieren.