Kiel. Die Kripo in Kiel stellt gigantische Mengen an Missbrauchsvideos sicher. Neue Technik soll ihre Auswertung voranbringen.
Die Bilder und Videos sind widerwärtig. So ziemlich das Schlimmste, das man sich vorstellen kann. Die Bilder von Männern, die sich über kleine Kinder hermachen. Männer ohne Köpfe, damit man sie nicht identifizieren kann. Die Zahl der sichergestellten Fotos und Videos von Dicken und Dünnen, von Jüngeren und ziemlich Alten, die Mädchen und Jungen vergewaltigen, ist in Schleswig-Holstein in den vergangenen Jahren in die Höhe geschnellt: um 183 Prozent allein zwischen 2016 und 2020.
Die Polizei im nördlichsten Bundesland hat 2020 insgesamt 811 sogenannte Vorgänge nach § 184 Strafgesetzbuch bearbeitet. Fälle, in denen es um den Besitz, Erwerb oder die Weitergabe kinderpornografischen Materials ging. „Und die Zahl ist in Schleswig-Holstein 2021 nochmals erheblich gestiegen.“ Das sagt Polizeioberrat Lars Oeffner. Auf die enorme Zunahme hat das LKA reagiert: Die Experten um den Chef des Dezernats „Cybercrime und digitale Spuren“ im Landeskriminalamt setzen künstliche Intelligenz im Kampf gegen Kinderpornografie ein.
Kinderpornos: Polizei Kiel setzt nun auf KI
Der Testlauf war so vielversprechend, dass jetzt ein Informatiker gesucht wird, der als Projektverantwortlicher den Einsatz der künstlichen Intelligenz im Landeskriminalamt weiterentwickeln und wissenschaftlich begleiten soll, sagt Oeffner. Ein Experte, der die künstliche Intelligenz so trainieren soll, dass „wir uns dann auf sie dank einer hohen Trefferquote verlassen können“, hofft der 41 Jahre alte Polizeioberrat.
Doch was macht diese künstliche Intelligenz? Das Fraunhofer-Institut für sichere Informationstechnologie beschreibt die ersten Versuche so: „Polizeibehörden untersuchen große Datensammlungen oft mit IT-Werkzeugen, um illegales Material aufzuspüren. Herkömmliche Werkzeuge erkennen kinderpornografische Dateien nur dann zuverlässig, wenn eine identische Kopie des Bildes bereits in einer Datenbank hinterlegt ist. Über einen eindeutigen Vergleichswert, einen sogenannten kryptographischen Hash, kann die Software diese Kopie automatisch zuordnen und identifizieren.“
Fotos und Filme belasten die Ermittler stark
Das bedeutet: Ist dieses Foto bereits irgendwo in einer polizeilichen Datenbank vorhanden, reagiert das System und löst Alarm aus. Wurde aber dieser Hashwert auch nur minimal verändert, ist laut Fraunhofer-Institut „eine Identifizierung über dieses automatische Verfahren nicht mehr möglich. Das bedeutet, dass Polizeibehörden mit dieser Technik nicht in der Lage sind, bewusst verschleiertes illegales Material aufzuspüren.“
Auf diese mögliche Verschleierung durch pädophile Netzwerke hat das LKA in Kiel reagiert. Es setzt inzwischen sogenannte „robuste Hashverfahren“ ein. Diese Technik orientiert sich an der menschlichen Wahrnehmung. Dazu noch einmal das Fraunhofer-Institut: „Wenn ein Bild für das menschliche Auge identisch oder sehr ähnlich erscheint, ist auch der Vergleichswert identisch oder sehr ähnlich. Damit ignoriert das Verfahren bei der Identifikation einer Bild- oder Videodatei mögliche Veränderungen der Größe, des Rauschfaktors, des Dateiformats oder eine Spiegelung des Bildes und konzentriert sich auf optische Übereinstimmungen.“
Das Ziel des Kieler Landeskriminalamts ist, Fotos und Filme nicht nur anhand ihres Hashwerts anderen Verfahren zuordnen zu können, sondern die künstliche Intelligenz so weiterzuentwickeln, dass sie selbstständig bislang unbekannte Pädophile auf den Fotos und Filmen erkennt oder wiederkehrende Personen – Opfer wie Täter – ausmacht: Den Vergewaltiger, dessen Gesicht man zwar nicht sieht aber dessen markante Tätowierung auf dem rechten Unterarm. Oder den Mann mit der OP-Narbe am Bauch. Oder den kleinen Jungen mit dem Muttermal in der Leiste.
Noch muss bei der Polizei doppelt gearbeitet werden
„Wenn wir in einem neuen Fall ermitteln, stellen die Kollegen diverse Datenträger sicher. Computer, externe Festplatten, USB-Sticks, auf denen sich riesige Datenmengen befinden. Schnell kommen einige Zehntausend Bilder zusammen, die gesichtet werden müssen“, sagt Oeffner.
Das stellt die Ermittler vor zwei Probleme: Die Menge ist gigantisch, bei der Sichtung nichts zu übersehen, ist deshalb eine große Herausforderung. Und zum anderen sind da neben den Urlaubsfotos, privaten Videos oder großen Text-Dateien auf dem Rechner oft auch verstörende, widerwärtige Szenen, in denen Kinder vergewaltigt werden.
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Sich durch diese Fotos zu kämpfen, „belastet die Ermittler psychisch stark“, sagt der Dezernatsleiter im LKA. Die Software ist schmerzfrei, allerdings ist sie noch nicht so gut und zuverlässig wie das menschliche Auge. Das hat auch ein Versuch gezeigt, der seit zwei Jahren bei der Bezirkskriminalinspektion Itzehoe läuft. Das Projekt nennt sich „Eagle Eye“ (Adlerauge).
„Das ist schon eine erhebliche Entlastung für die Sachbearbeiter“, sagt Oeffner, ohne Details zu nennen, da Ermittlungsfahren noch nicht abgeschlossen seien. Weil aber die Gefahr noch zu groß sei, dass die künstliche Intelligenz kinderpornografische Bilder übersieht, muss doppelt gearbeitet werden. „Wir können auf die Menschen an dieser Stelle noch auf keinen Fall verzichten“, sagt Oeffner.
KI kann Ermittler „hoffentlich deutlich entlasten“
Die Ermittler müssen also die sichergestellten Fotos und Videos allesamt noch einmal sichten, damit keine illegalen Dateien übersehen werden. Die Fehlerquote der Technik zu senken, wird erst einmal die Hauptaufgabe des IT-Experten, den das LKA noch sucht.
Oeffner ist trotz der großen Konkurrenz privater Unternehmen und ihrer hohen Gehaltsangebote sicher, einen KI-Experten von der Arbeit bei der Polizei überzeugen zu können. Die Aufgabe sei doppelt reizvoll. Zum einen sei es ein Grüne-Wiese-Projekt, das der Experte nach eigenen Vorstellungen entwickeln könne. Zum anderen gehe es um eine gute und wichtige Sache – die Bekämpfung von Kinderpornografie.
Kinderpornographie: Deutlich mehr sichergestellte Daten
Die Zahl der Fälle und damit die Menge sichergestellter Daten, also Fotos und Filme, hat massiv zugenommen. Weil tatsächlich mehr Taten passieren? Eher, weil genauer hingeschaut wird. Mehr als ein Drittel aller Fälle, schätzt der Polizeioberrat, geht zurück auf Warnmeldungen, die über die Internet-Provider und das Bundeskriminalamt schließlich bei den Länderpolizeien landen.
Und die Tech-Giganten in den USA haben in den vergangenen Jahren deutlich mehr Fälle entdeckt – weil sie besser hinschauen, weiß Oeffner. Um diese Fälle noch besser bearbeiten zu können, setzt er auf die künstliche Intelligenz. „Sie kann den Ermittler nicht ersetzen, aber ihn hoffentlich deutlich entlasten.“