Schleswig-Holstein. Die Bildungsministerin in Schleswig-Holstein spricht über Gleichberechtigung, einen Neuanfang und Flügelkämpfe in der Union.

Sie ist seit 40 Jahren Mitglied der CDU – selten aber dürfte sie so an ihrer Partei gelitten haben: Karin Prien. Bundesweite Aufmerksamkeit war der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin nicht nur mit der Berufung in Armin Laschets Wahlkampfteam gewiss, sondern auch dank ihrer klaren Positionierungen.

So hatte sie sich vor der Wahl zur besten Sendezeit von CDU-Rechtsausleger Hans-Georg Maaßen distanziert und zumindest indirekt zur Wahl von dessen SPD-Konkurrenten aufgerufen, um Maaßen im Bundestag zu verhindern – was auch gelang.

Hamburger Abendblatt: Frau Prien, Durchstechereien, Indiskretionen, Sticheleien, ein sich über Monate hinziehender Machtkampf – wie besorgt sind Sie über den Zustand der CDU?

Karin Prien: Wir müssen wieder zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit finden, um die Krise der Union zu überwinden. Dazu gehört auch, dass das vertrauliche Wort geschützt ist.

Ihre Mitglieder können sich aktuell nicht wirklich begeistern für die eigene Partei. Wie kann die CDU das wieder ändern?

Prien: Wir haben mehrere Baustellen. Wir müssen die Menschen wieder davon überzeugen, dass wir die bessere Alternative sind, um die großen Fragen zu lösen, die unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren bewegen. Damit sollten wir bei unseren Mitgliedern beginnen. Eine intensive inhaltliche Arbeit liegt vor uns. Das gilt für unser Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2007, das wir dringend überarbeiten müssen. Das gilt aber auch für aktuelle Themen der Politik.

Die Union ist bei der Bundestagswahl abgestürzt auf noch nicht einmal 25 Prozent. Die Umfragen danach zeigen weiter nach unten. Hat die CDU den Tiefstpunkt erreicht?

Prien: Es wird stark darauf ankommen, wie wir die Krise jetzt meistern, wie wir in den nächsten Wochen und Monaten miteinander umgehen und wie wir zu einer Befriedung der Konflikte in der Union kommen. Wir haben es in der Hand. Ich bin zuversichtlich, dass die Union zukünftig wieder bessere Zustimmungswerte und Wahlergebnisse erhält.

Der Absturz Ihrer Partei erinnert an den der SPD, die erst in diesem Sommer eine Trendwende einleiten konnte. Ist die Zeit der großen Volksparteien vorbei?

Prien: Jedenfalls hat sich die Gesellschaft verändert. Die Wählerinnen und Wähler sind weitaus weniger loyal in ihren Parteipräferenzen als früher. Parteien müssen immer wieder aufs Neue um Vertrauen und Sympathie der Wählerinnen und Wähler kämpfen. Der Satz „Einmal CDU, immer CDU“ gilt nicht mehr. Zudem hat sich die gesellschaftliche Struktur verändert. Es gibt immer mehr unterschiedliche Milieus, die einer besonderen Ansprache bedürfen. Auch das fordert Parteien zunehmend.

In einem Gespräch mit dem Berliner „Tagesspiegel“ haben Sie die CDU davor gewarnt, unterzugehen wie die italienische Democrazia Cristiana. Welchen Neuanfang braucht es, um das zu verhindern – programmatisch, personell, strukturell?

Prien: Zunächst einmal muss sich die CDU so aufstellen, dass die Partei selbst dahinterstehen kann. Die Partei muss befriedet werden. Das geht nur mit einem Team, das die Breite der Partei abbildet. Die Partei muss sich auf das Gemeinsame besinnen, statt das Trennende zwischen den Flügeln herauszustellen. Daran müssen wir arbeiten. Wir müssen neu definieren, was es in den 20er-Jahren des 21. Jahrhunderts bedeutet, Christdemokrat zu sein.

Sie sprechen von einem Team, das die Breite der Partei abbildet. Wie muss man sich das vorstellen – reicht das von Hans-Georg Maaßen bis Armin Laschet?

Prien: Sicherlich müssen wir diskutieren, wie breit genau wir uns aufstellen wollen. Die Breite sollte erheblich sein. Aber die Abgrenzung nach rechts muss glasklar sein. Hier steht uns noch eine intensive Diskussion bevor.

Mit welchem Modus wollen Sie dieses Team finden? Jetzt tagen erst einmal die Kreisvorsitzenden der CDU. Kommt danach der umstrittene Mitgliederentscheid?

Prien: Ich verstehe, dass die Basis an der weiteren Entwicklung der Partei teilhaben will. Deshalb ist es wichtig, dass wir dazu die Kreisvorsitzenden jetzt erst einmal hören. Ich bin aber grundsätzlich kein großer Fan von Mitgliederbefragungen. Ich glaube nicht, dass die Qualität von Entscheidungen dadurch besser wird.

Sie haben ein Frauenproblem in der CDU ausgemacht, fordern deshalb die Frauenquote. Ist Ihre Position inzwischen mehrheitsfähig in der Partei?

Prien:Es ist jedenfalls die Position, die die Struktur- und Satzungskommission der Partei 2019 erarbeitet hat und die vom Bundesvorstand 2020 so beschlossen wurde. Insofern ist meine Forderung nicht exotisch. Die CDU versucht seit vier Jahrzehnten, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen umzusetzen. Das ist bisher nicht ausreichend gelungen. Jetzt ist die Zeit für ein vielleicht eher ungeliebtes Instrument gekommen, wenn wir das Ziel erreichen wollen. Wir müssen als CDU zeigen, dass wir den gesellschaftlichen Prozess der gleichberechtigten Teilhabe, der durch das Grundgesetz im Übrigen gefordert ist, ganz selbstverständlich bei uns umsetzen.

Die Namen, die als potenzielle CDU-Vorsitzenden ventiliert werden, sind allesamt Männernamen … Wie kann eine Frauenquote der CDU aktuell helfen?

Prien: Aktuell ist unsere Satzung noch nicht geändert. Und deshalb geht es auch nicht um die formelle Umsetzung der Quote bei der Bestimmung des neuen Parteivorsitzenden. Es geht jetzt darum, dass diejenigen, die sich jetzt gemeinsam aufmachen wollen, die CDU zu neuer Stärke zu führen, das in einem modernen Setting machen. Das bedeutet, dass Männer und Frauen das gemeinsam tun. Das erwarte ich von jedem, der sich jetzt mit einem Team zur Wahl stellt.

Gibt es die Kandidatin oder den Kandidaten, von dem Sie sagen, sie oder er stünde für einen starken Neuanfang und eine programmatische Neuausrichtung der CDU?

Prien: Es gibt mehrere, die ich dafür geeignet halten würde, aber ich nenne heute keine Namen.

Welche Rolle sollte Daniel Günther bei der Neuausrichtung der Partei übernehmen?

Prien: Daniel Günther spielt eine herausragend wichtige Rolle. Denn er ist derjenige, der im nächsten Mai wieder Ministerpräsident in Schleswig-Holstein werden soll. Es ist von großer Bedeutung, dass wir nach der schmerzlichen Niederlage bei der Bundestagswahl bei den nächsten Landtagswahlen Erfolge feiern werden.

Welche Rolle sehen Sie für sich in der Partei, nachdem Sie für viele überraschend von Armin Laschet in dessen Kompetenzteam berufen worden waren und so zu bundesweiter Aufmerksamkeit gelangten?

Prien: Meine Aufgabe ist, mein Amt als Bildungsministerin in Schleswig-Holstein mit aller Kraft auszufüllen. Ich werde kommendes Jahr zudem Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Ansonsten überlege auch ich zurzeit, wie ich meiner Partei am besten dienen und zu diesem Neuanfang sinnvollerweise beitragen kann.

In der „Welt“ und im „Handelsblatt“ fiel Ihr Name schon einmal im Zusammenhang mit dem Posten der Generalsekretärin …

Prien: Keine Ahnung, wie die darauf gekommen sind. Von mir jedenfalls kommt es nicht.

Jedenfalls können Sie kaum zufrieden sein mit der Arbeit von Paul Ziemiak. Es gibt zumindest einen zeitlichen Zusammenhang: Seit er Generalsekretär der CDU ist, läuft‘s nicht mehr.

Prien: Jeder in der Parteiführung, damit meine ich den gesamten Bundesvorstand, das Präsidium, den Parteivorsitzenden und den Generalsekretär, muss seinen Beitrag an dieser schwierigen Situation bewerten. Ich denke, das wird Paul Ziemiak auch tun.

Sie selbst stehen eher für eine linksliberale Ausrichtung der CDU. Ist das die Positionierung, in der Sie die CDU auch künftig sehen – oder plädieren Sie eher für ein konservativeres Profil der Partei?

Prien: Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, dass ich linksliberal sei. Ich vertrete sicherlich gesellschaftspolitisch eher liberalere Positionen. Ich bin Christdemokratin. Wir müssen definieren, was das heute bedeutet. Die CDU ist immer eine Partei gewesen, die sich aus liberaler, konservativer und christlich-sozialer Strömung gespeist hat. Wir tun gut daran, diesen Weg weiterzugehen. Wer glaubt, einen Alleinvertretungsanspruch für die CDU zu haben, weil er besonders konservativ oder besonders liberal ist, der ist auf dem Holzweg.

Worauf müssen Sie als CDU bei der programmatischen Neuaufstellung Antworten geben?

Prien: Am Ende müssen auch wir überzeugende Antworten finden für die großen Transformationsprozesse, Dekarbonisierung, Digitalisierung und Demografie. Es geht also zum Beispiel darum, unsere Wirtschaft sukzessive klimaneutral umzugestalten. Unsere Aufgabe als CDU ist zu zeigen, wie der Weg in die Klimaneutralität gelingt und wir trotzdem unseren Wohlstand erhalten. Das geht mit verlässlichen Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Gesellschaft. Wir müssen dabei den Menschen die Wahrheit sagen: Das wird für den Einzelnen spürbare Konsequenzen haben. Wir müssen weiterhin eine Antwort geben auf die demografische Entwicklung. Das gilt für den Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt als auch für die sozialen Sicherungssysteme. Es reicht nicht aus, nur zu sagen, was man nicht will, nämlich das Rentenalter, die Steuern und die Sozialversicherungsbeiträge nicht zu erhöhen. Sondern man muss auch sagen, wie man es machen will. Da fehlen uns bislang die überzeugenden Antworten.

Die Antworten von Gesprächspartnern bei SPD oder Grünen auf diese Frage wären vermutlich ähnlich ausgefallen …

Prien: Die Herausforderungen sind ja auch dieselben. Aber die Antworten sind es nicht.

Sie haben zuletzt Teile Ihrer Partei wegen Indiskretionen massiv angegriffen – und sich damit auch zugleich mit der „Bild“ angelegt. Dort hieß es über Sie: „Man kann fast sagen, sie ist durchgeknallt.“ Sie können jetzt gern zurückkeilen in Richtung „Bild“.

Prien: Nein, das war nie meine Intention. Das wusste die „Bild“ auch. Es ging nicht um Journalistenschelte – meine Kritik richtete sich gegen die Kolleginnen und Kollegen in der eigenen Partei, die Vertraulichkeit nicht mehr wahren und die nicht mehr zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit bereit sind. Das Berufsethos von Journalisten will ich gar nicht bewerten.

Sie sprachen mit der Kritik den Umgang der Partei mit Armin Laschet an. Kann man den in Teilen als „charakterlos“ bezeichnen?

Prien: Ich fand den Umgang mit Armin Laschet zum Teil beschämend.

Blicken wir auf die Landtagswahl im Mai. Sorgen Sie sich um die Mehrheit der CDU vor dem Hintergrund des Machtkampfes?

Prien: Wir haben ein großes Interesse daran, dass die Führungsfrage möglichst schnell gelöst wird, damit wir uns auf einen erfolgreichen Wahlkampf konzentrieren können.

Die SPD im Norden wirbt offen um die Grünen. Inhaltlich gibt es zwischen beiden viele Schnittmengen. Wie will die CDU die Grünen überzeugen, mit Jamaika nach der Landtagswahl weiterzumachen?

Prien: Wir haben als CDU mit FDP und Grünen in den vergangenen viereinhalb Jahren eine wirklich erfolgreiche Regierung geführt. Das Bündnis ist in besonderem Maße geeignet, über gesellschaftliche Grenzen und Gräben hinweg zu vermitteln und die Zukunft zu gestalten. Der Bedarf für eine solche Regierung wird eher größer. Jamaika ist angesichts der großen Herausforderungen die bessere Alternative. Das ist sie nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern das war und ist sie auch auf Bundesebene.

Streben Sie an, nach der Wahl weiterzumachen als Bildungsministerin?

Prien: Es gibt noch so viel zu tun in der Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturpolitik in Schleswig-Holstein, dass ich gerne die Chance hätte, diesen Bereich weitergestalten zu dürfen.