Sylt. Die Nordseeinsel Sylt darf keine Touristen mehr beherbergen und verköstigen – die wichtigste Einnahmequelle fehlt damit.
Auf der Promenade von Westerland sind kaum noch Menschen unterwegs. Es ist viertel vor zwölf. Wegen Corona gilt auch auf der Insel Sylt ein Beherbergungsverbot für Touristen, zunächst bis Ende November. Eigentlich schon vom 2. November an, aber dann gab es noch einmal kurzfristig eine Karenzzeit bis zu diesem Donnerstag. Doch die meisten reisen bereits ab, einige wenige wollen noch bis zum Schluss bleiben. In einem Strandkorb, in warme Jacken gehüllt, haben es sich Sabine und Andreas Lux aus Herne gemütlich gemacht und beobachten das Meer.
Zweimal im Jahr fährt das Ehepaar auf die Nordseeinsel, diesmal läuft der Urlaub anders als geplant ab: „Wir haben eigentlich bis zum 8. November gebucht, aber jetzt müssen wir drei Tage vorher abreisen. Natürlich ist das nicht schön und nur schwer zu verstehen, denn hier auf der Insel ist so viel Platz und man ist viel an der frischen Luft. Nicht gerade ein Ort, an dem eine Ansteckungsgefahr mit Corona besteht“, sagt Andreas Lux, der Intensivpfleger für Dialysepatienten ist. Seine Frau ergänzt. „Wir sind jetzt seit anderthalb Wochen da und haben nur in unserer Ferienwohnung in Alt-Westerland gegessen. Restaurants haben wir nicht besucht, stattdessen lieber ausgiebige Spaziergänge gemacht.“
Corona-Zwangspause auf Sylt: "Beherbergungsverbot für uns eine Katastrophe"
Von der Lounge in der fünften Etage vom Wyn. Strandhotel Sylt hat Direktor Michael Esch die Nordsee im Blick. „Für uns ist dieses Beherbergungsverbot wirklich eine Katastrophe. Für November waren wir schon gut gebucht, wir hätten gut und gerne eine Belegung von 70 Prozent erzielen können. Aber daraus wird jetzt ja nichts. Die 53 Mitarbeiter müssen wieder in Kurzarbeit und sind natürlich traurig, dass sie eine Zwangspause machen müssen, wie auch schon von März bis Mai“, sagt Esch, der auch Schatzmeister vom Dehoga (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) Sylt ist.
Corona in Hamburg, Deutschland und weltweit – die interaktive Karte:
Neben ihm – mit gebührendem Abstand – hat der Dehoga-Vorsitzende Raphael Ipsen Platz genommen. „Die Haupteinnahmequelle auf Sylt ist der Tourismus, daran hängt hier fast die gesamte Wirtschaft. Deshalb ist dieser zweite Lockdown natürlich dramatisch und schwer nachvollziehbar. Auf Sylt gibt es kaum Corona-Fälle. Die Gastronomen und die Hotellerie haben alles dafür getan, dass die Gäste nicht gefährdet sind, sich mit Corona anzustecken. Sie haben viel Geld für Sicherheits- und Hygienekonzepte ausgegeben und als Dank müssen sie schließen.“
Die Wirtschaft auf Sylt hänge maßgeblich vom Tourismus ab
Vor allem wisse ja keiner, wie lange dieses Mal das Beherbergungsverbot und die Schließung der Restaurants gelte. Die Hoteliers und Gastronomen hätten gar keine Planungssicherheit, sagt Ipsen. Für Michael Esch steht fest. „Wir brauchen das Weihnachtsgeschäft, und deshalb hoffen wir natürlich, dass wir Anfang Dezember wieder starten können. Wir hatten für Silvester schon eine Belegung von mehr als 55 Prozent. Als der zweite Lockdown bekannt gegeben wurde, kamen Stornierungen rein, jetzt liegen wir bei knapp 40 Prozent Auslastung zum Jahreswechsel.“
Wenn es um Tourismus geht, dann ist Moritz Luft der erste Ansprechpartner auf der Insel. Seit 15 Jahren ist er Geschäftsführer der Sylt Marketing GmbH. Luft empfängt an einem langen Besprechungstisch in der ersten Etage des Tourismus-Zentrums Sylt in Westerland. „Die Monate nach dem ersten Lockdown sind auf Sylt sehr gut angelaufen. Die Gastronomen und die touristischen Vermieter konnten wieder ein bisschen aufholen, denn rund zwei Monate Geschäft hatten sie ja schon verloren.“ Aber nun sei es erst einmal wieder vorbei. Das bedeute einen harten Einschnitt für die Insel. Die Wirtschaft auf Sylt hänge maßgeblich vom Tourismus ab, sagte Luft.
Coronavirus: Die Insel Sylt ist wieder leer
Auch auf der Fußgängerzone Friedrichstraße ist wenig los. Neu ist, dass hier nun eine Maskenpflicht gilt. Was bei manchem Insulaner für Kopfschütteln sorgt, weil die Touristen ja jetzt weg sind. Die Insel ist leer. Die meisten Geschäfte sind noch geöffnet, aber Kunden sind Mangelware. Eine Institution ist das Modehaus H.B. Jensen, seit 165 Jahren auf der Insel vertreten. In der sechsten Generation führt Oliver Boettiger die Geschäfte, bespielt hier 3600 Quadratmeter Fläche über vier Etagen. Auch das benachbarte Freizeithaus gehört zu dem Familienunternehmen. „Wir leben von den Touristen.
Lesen Sie auch:
- Zwischen Ärger und Verständnis: Touristen verlassen Sylt
- Strandglück: Ein Hotel an der Ostsee ganz in Frauenhand
- Der Newsblog für Norddeutschland von Donnerstag, 5. November
Jetzt werden uns 70 bis 80 Prozent des Umsatzes wegbrechen. Das ist natürlich bitter“, sagt Boettiger. Die Öffnungszeiten hat er bereits eingeschränkt, auf 11 bis 17 Uhr von Montag bis Freitag und 11 bis 14 Uhr am Sonnabend. Der Unternehmer hat rund 70 Angestellte. „Unsere Mitarbeiter bauen jetzt erst mal Überstunden ab und nehmen bereits geplante Urlaube. Da wir deutlich weniger Kunden haben werden, wird aufgeräumt und Inventur gemacht. Auch Kurzarbeit sei eine Option.
Auf der Insel leben rund 20.000 Einwohner mit Erstwohnsitz, dazukommen viele Zweitwohnungsbesitzer. Die dürfen auch weiterhin ihre Domizile nutzen. Für Schlagzeilen hatte beim ersten Lockdown auch das Betretungsverbot für die Insel gesorgt. Das werde es aber diesmal nicht geben, wie Luft versichert. Aber man hoffe darauf, dass die Menschen freiwillig zu Hause bleiben und nicht als Tagestouristen nach Sylt kommen.
„Wir haben alle Corona-Auflagen erfüllt, und jetzt müssen wir wieder schließen.“
Ortswechsel. Das Severin’s in Keitum gehört zu den führenden Häusern der Insel. Seit rund sechs Jahren ist das Luxusresort, das dem Bremer Unternehmer Kurt Zech gehört, am Markt. Direktor Christian Siegling sagt: „Wir haben alle Corona-Auflagen erfüllt, und jetzt müssen wir wieder schließen. Da fühlt man sich hilflos.“ Die meisten der rund 170 Mitarbeiter im Severin’s und im Schwesterhotel Landhaus Severin’s müssen in Kurzarbeit oder bauen Urlaub ab. „Nach dem Dämpfer durch den ersten Lockdown ist es gut gelaufen. Wir hätten im November eine Auslastung von bis zu 70 Prozent gehabt, natürlich mussten wir alle Buchungen stornieren.“ Silvester ist das Severin’s bereits ausgebucht. „Dass die Gäste uns die Treue halten, motiviert natürlich in diesen schwierigen Zeiten. Aber keiner kann voraussehen, ob dieser zweite Lockdown nur bis Ende November dauert oder möglicherweise länger“, sagt Siegling.
Diese Ungewissheit treibt auch Tobi Kusch um. Der Gastronom hat mit Partnern das Pony in Kampen Mitte Februar übernommen. Der Club ist eine Legende und wird 2021 bereits 60 Jahre alt. „Wir haben viel Geld in die Übernahme und die Renovierung vom Pony gesteckt und wollten Ostern wieder eröffnen. Daraus wurde wegen Corona nichts, dann haben wir am 20. Mai aufgemacht und natürlich schon mal auf viel Umsatz verzichtet.“ Im Pony, über Jahrzehnte ein Ort für ausschweifende Partys des Geldadels der Hamburger Society, darf wegen Corona nicht mehr getanzt werden.
Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde
- Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum, und halten Sie mindestens 1,50 Meter Abstand zu anderen Personen
- Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
- Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
- Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
- Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an Ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden
„Wir haben aus dem Pony und der großen Terrasse erst mal ein Pop-up-Restaurant mit Speisen von unserem Food-Truck gemacht. Das wurde sehr gut angenommen. Wir hatten für November schon viele Reservierungsanfragen und wollten Gänseessen und Fondue anbieten. Das können wir jetzt alles vergessen.“ Tobi Kusch, der auch das Restaurant Tobis Hüs in Westerland führt und dort jetzt Außer-Haus-Service anbietet, wirkt niedergeschlagen. „Ich bin wirklich traurig. Man hält sich an alle Auflagen, und dann wird einem wieder eine Art Berufsverbot auferlegt.“
Hier können Sie den täglichen Corona-Newsletter kostenlos abonnieren