Hamburg/Fehmarn. Eine Hamburgerin soll nun das Vierfache pro Jahr bezahlen. Andere Küstenorte rechnen noch, pochen aber auf Steuergerechtigkeit.

Als Sandra Becker (Name geändert) den Brief öffnet, traut sie ihren Augen nicht. Das Schreiben kommt von der Stadt Fehmarn. Für ihr kleines Häuschen auf der Ostseeinsel soll sie für das aktuelle Kalenderjahr 3369,05 Zweitwohnungssteuer bezahlen. Im Jahr 2019 lag der Betrag noch bei 803,82 Euro. „Das ist fast eine zweite Miete“, sagt die Hamburgerin, „und es kommen ja noch die ganzen Versicherungen dazu.“

Die 53-Jährige hat sich auf Fehmarn vor einigen Jahren einen Traum erfüllt. „Ich habe mir 2012 ein Gartengrundstück in einem kleinen Dorf am südlichen Inselrand gekauft“, sagt Becker. Noch im selben Jahr habe sie mit Handwerker aus der Region das kleine Holzhaus bauen lassen, „nach meinen Plänen – mit großen Fensterflächen“. 62 Qua­dratmeter habe das Ferienhaus, groß genug für sie und ihren zwölf Jahre alten Sohn. Sandra Becker hat es ganz nach ihren Bedürfnissen eingerichtet, an Vermietung hat sie nie gedacht, denn sie ist selbst gern und oft an der See. In Hamburg lebt sie in einer Wohnung.

Zahlreiche Städte und Gemeinden verlangen eine Zweitwohnungssteuer

„Jetzt wurde die Bemessungsgrundlage geändert, und das Haus ist plötzlich in der höchsten Stufe“, sagt sie. „Das Alter des Hauses, die Nähe zum Meer, dass es ein Einfamilienhaus ist und die Qua­dratmeterzahl – das alles zählt jetzt.“ Sie sei hin- und hergerissen, rechne immer wieder alles durch, um zu entscheiden, ob sie verkaufen muss, weil sie sich ihr Haus nicht mehr leisten kann. „Aber ich möchte nicht verkaufen“, sagt die PR-Agentin.

Zahlreiche Städte und Gemeinden verlangen eine Zweitwohnungssteuer, um so den Steuerausgleich, den sie für jeden Bewohner mit Erstwohnsitz erhalten, wieder hereinzuholen. Denn je mehr gemeldete Einwohner eine Stadt hat, desto höher sind die Zuschüsse aus dem kommunalen Finanzausgleich. Weil im Herbst 2019 die frühere Berechnungsgrundlage (Jahresrohmiete) als verfassungswidrig eingestuft wurde, müssen die Kommunen neu rechnen.

Auf Fehmarn gibt es derzeit 2600 Zweitwohnsitze.
Auf Fehmarn gibt es derzeit 2600 Zweitwohnsitze. © Imago | Unbekannt

Auf Fehmarn hat man das bereits getan. Es gibt dort nach Angaben von Bürgermeister Jörg Weber 2600 Zweitwohnungen, von denen aktuell rund 1500 steuerpflichtig und 1100 nicht steuerpflichtig (wegen Dauervermietung oder ausschließlicher Vermietung an Feriengäste) seien. Fehmarn habe die Bewertungsgrundlagen für die Zweitwohnungssteuer verändert, „weil die Verwaltungsgerichte die alte Berechnungsgrundlage auf der Basis der nach dem Bewertungsgesetz errechneten Jahresrohmiete als nicht mehr rechtmäßig angesehen haben“, sagte Jörg Weber auf Anfrage.

Nicht für alle hat sich die Zweitwohnungssteuer erhöht

Die neue Berechnung der Zweitwohnungssteuer auf Fehmarn lautet seinen Angaben zufolge wie folgt: „Bodenrichtwert x Quadratmeterzahl der Wohnfläche x Faktor Baujahr x Faktor Gebäudeart x Verfügbarkeitsgrad x Steuersatz = Steuerbetrag.“ Ob eine dermaßen enorme Erhöhung wie im Fall von Sandra Becker angemessen ist, sei „eine politische Frage und wurde politisch mit dem Beschluss über den Steuersatz entschieden“, sagt Weber. Und nicht für alle hätte sich die Zweitwohnungssteuer erhöht: „Von den rund 1500 Steuerpflichtigen sind 320 mit geringerer Steuer, rund 920 mit einer Erhöhung bis 1000 Euro, 210 Steuerpflichtige mit einer Erhöhung zwischen 1000 und 2500 Euro und 50 mit einer Erhöhung ab 2500 Euro“ konfrontiert, so der Bürgermeister.

Für die Insel dürften sich die Einnahmen aus der Zweitwohnungssteuer jedenfalls deutlich erhöhen, auch wenn diese abhängig seien von der Dauer der Vermietung der Objekte und der persönlichen Nutzung. Vorhersagen seien nur schwer exakt bestimmbar, sagt Weber, nennt aber doch Zahlen: „2018 und 2019 lagen die Erträge aus der Zweitwohnungssteuer bei rund 1,2 Millionen Euro, für das Jahr 2020 liegt die Prognose zurzeit bei 1,9 bis zwei Millionen Euro“.

Den Vorwurf von Sandra Becker, die Inselverwaltung wolle Selbstnutzer dazu drängen, ihre Immobilie zu vermieten oder zu verkaufen, um sie dem Dauerwohnungsmarkt zur Verfügung zu stellen, weist Weber zurück. „Die Verwaltung will niemanden zu etwas Derartigem drängen.“ Er fügt aber hinzu: „Im Rahmen der politischen Diskussion über den Steuersatz und die zukünftige Höhe der Zweitwohnungssteuer waren durchaus auch Stimmen dabei, die sich eine vermehrte Nutzung der Wohnungen für den Dauerwohnungsmarkt wünschen, um der zurzeit vorherrschenden angespannten Wohnungsmarktsituation auf Fehmarn entgegenzutreten.“

St. Peter-Ording hat zwar Anfang 2020 ebenfalls seine Berechnungsgrundlagen geändert, allerdings plane man nicht, mehr als die bisherigen 1,8 Millionen Euro einzunehmen. „Bei uns wird in diesen Zeiten keine Erhöhung angestrebt“, sagt Bürgermeister Rainer Balsmeier. Das sei derzeit auch nur schwer vermittelbar. Der Finanzdienstleister Dataport arbeite noch am Programm, deshalb werde die Abrechnung für dieses Jahr erst im nächsten Jahr erfolgen.

Mehr Gerechtigkeit

Balsmeier sagt, das alte Berechnungssystem sei nicht differenziert genug gewesen. Die neuen Faktoren Lage, Quadratmeter der Wohnfläche, Baujahr, Wertfaktor (Art der Immobilie, also etwa Wohnung oder Einfamilienhaus) und der Verfügbarkeitsgrad (wie viel wird vermietet) sollten für mehr Gerechtigkeit sorgen. Dabei sei natürlich möglich, dass manche Eigentümer der 4272 Zweitwohnsitze künftig mehr, andere weniger bezahlen müssten, sagt Balsmeier.

In Timmendorfer Strand wurden noch keine Bescheide für 2019 und 2020 verschickt. Auch in der Ostseegemeinde seien die Berechnungsgrundlagen rückwirkend ab 2019 so verändert worden, dass nun Bodenrichtwert, Baujahr, Wohnungsgröße und Verfügbarkeit die entscheidenden Faktoren sind, sagte An­dreas Müller, Zweiter stellvertretender Bürgermeister. Es sei aber sichergestellt, dass für 2019 niemand schlechter gestellt werde als vorher. Wer also eigentlich mehr bezahlen müsste, bekomme für das vergangene Jahr keine Erhöhung. „Ab 2020 wird die neue Satzung greifen“, sagt Müller.

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Laut Nikolas Häckel, Bürgermeister der Gemeinde Sylt, sei das Ziel der neuen Berechnung Steuergerechtigkeit für die Eigentümer der 14.810 Zweitwohnungen, nicht aber, mit der Zweitwohnungssteuer mehr Geld einzunehmen. Noch in diesem Jahr soll die Gemeindevertretung über die beiden Varianten abstimmen, die ausgearbeitet wurden. Auch auf der Nordseeinsel spielen natürlich die üblichen Kriterien die entscheidende Rolle „Wir fummeln da schon ein gutes Jahr dran rum. Primär ist mir wichtig, dass wir eine nachvollziehbare Rechnung vorlegen“, sagt Häckel. Anfang kommenden Jahres könnten dann die Bescheide für 2019 und 2020 verschickt werden.

Ob Sandra Becker ihr Haus auf Fehmarn behalten kann, ist noch unklar. „Eigentlich war die Idee, ganz nach Fehmarn zu ziehen, wenn mein Sohn aus dem Haus ist“, sagt sie. Aber es sei unsicher, ob sie die Mehrbelastung bis dahin finanziell durchhalte.