Friedrichsruh. Im Sachsenwald soll Kranken mit der “Kraft der Bäume“ geholfen werden. Heilkräfte von Wäldern seien “längst anerkannt“.

Ganz ruhig ist es. Scheinbar. Tatsächlich ist da eine Vielzahl an Geräuschen zu hören: Vögel, die zwitschern, Äste, die unter den Schuhen knacken, und der Wind, der durch die Baumkronen weht. Hier im Sachsenwald in Friedrichsruh spaziert Gregor von Bismarck häufig mit seinen drei Hunden, hier kennt er sich aus. Schließlich gehört ihm der Wald und in diesem plant der 56-Jährige etwas Besonderes: Ein kleiner Teil der 6500 Hektar großen Fläche soll als Heilwald zertifiziert werden. Es soll ein Ort werden, an dem Waldtherapeuten ihren Patienten mit der Kraft der Bäume helfen.

Klingt verrückt? Das ist es keineswegs. Die Heilkräfte von Wäldern sind längst anerkannt, sagt Lara Keuthen, Sprecherin der International Nature and Forest Therapy Alliance (INFTA) in Hamburg, dem internationalen Dachverband im Bereich klinischer Waldtherapie. Der Sachsenwald ist auf dem Weg, das Zentrum für klinische Waldtherapie im Norden zu werden. Wenn Corona die Pläne nicht durcheinanderwirft, treffen sich im Forsthaus Friedrichsruh Ende September Teilnehmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, um sich zu Waldtherapeuten ausbilden zu lassen (es gibt noch freie Plätze).

Bäume sind Freunde

Wenn ihm keine Termine dazwischenkommen, ist auch Gregor von Bismarck einer dieser angehenden Waldtherapeuten, die innerhalb eines halben Jahres Experten in Sachen Waldbaden und Co. werden. „Ich bin ja praktisch im Wald aufgewachsen“, sagt von Bismarck, einer der Ururenkel des ehemaligen Reichskanzlers Otto von Bismarck. Einen Großteil seiner Kindheit hat er im Sachsenwald verbracht, ist mit seinen Freunden von morgens bis abends durch den Wald getobt. Das schafft eine besondere Verbindung.

„Schon mein Ururgroßvater sagte: Die Bäume sind meine Freunde. Er hat quasi das Waldbaden erfunden“, sagt von Bismarck und lacht. „Für ihn war die Zeit im Wald der Ausgleich zum stressigen Leben in der Politik.“ Die Liebe zum Wald scheint tief verwurzelt zu sein bei den Bismarcks. Otto von Bismarck war es auch, der die Douglasie von der kanadischen Westküste in den Norden Deutschlands holte. Er war ein Freund und Förderer der Baumart aus Nordamerika. Und so stehen auch im Sachsenwald viele dieser bis zu 100 Meter hohen Bäume. Warum er den Wald so liebt? „Es ist die Luft, die Ruhe und das Licht. Das Grüne hat etwas Beruhigendes“, sagt Gregor von Bismarck.

Der Waldbesuch trägt dazu bei, Stresshormone zu senken

Wo genau und in welcher Größe der Heilwald entstehen wird, weiß von Bismarck noch nicht genau. Das wird er mit dem Mediziner Dieter Kotte besprechen. Der Hamburger leitet die International Nature and Forest Therapy Alliance in Hamburg und Australien. Wichtig ist: Der Heilwald muss ruhig liegen fernab von Lärm, wie lauten Straßen oder Flughäfen, er sollte barrierefrei und gut zu erreichen sein. „Es wird keine Zäune geben, aber vielleicht eine Plattform für die Therapeuten und ihre Patienten“, so von Bismarck. Die Größe der Fläche spielt dabei keine Rolle, entscheidend ist die Ruhe.

Mit Esoterik, das ist Waldtherapeuten ganz wichtig, habe das Ganze nichts zu tun. „Waldtherapie bewegt sich abseits von Wellbeing, Fitness oder Meditation. Es ist eine präventive, medizinische Maßnahme“, so Dieter Kotte. Der Wald könne dafür sorgen, dass Puls, Blutdruck und Blutzuckerspiegel sinken und sich natürliche Abwehrzellen gegen Krebs und Tumore vermehren, der Cortisolspiegel wird gesenkt – dadurch ist weniger Stresshormon im Blut, die Stimmung wird besser.

„Es gibt Studien darüber, die darlegen, dass es bei Depressionen und Angstzuständen helfen soll“, so Gregor von Bismarck. Wer an solchen Sitzungen teilnimmt, könne etwa Terpene aufnehmen, das sind Stoffe, die von Bäumen und Pflanzen abgegeben werden und die unter anderem antibakteriell und entzündungshemmende Eigenschaften haben.

Klinische Waldtherapie ist in Japan und Taiwan etabliert

Die klinische Waldtherapie, zu der das Waldbaden, das Eintauchen in den Wald gehört, nutzt die Energie des Waldes. Ein ausgebildeter Therapeut wird, wenn der Heilwald kommt, eine in der Regel dreistündige Sitzung mit bis zu 15 Teilnehmern leiten. „Klinische Waldtherapie stützt sich dabei wissenschaftlich auf Disziplinen wie Medizin, Physiologie, Psychologie und Forstwirtschaft. Hauptbestandteil der klinischen Waldtherapie sind ausgesuchte und aufeinander abgestimmte Sequenzen unterschiedlicher Aktivitäten und Übungen“, so Kotte. Klinische Waldtherapie ist in Japan, Südkorea und Taiwan bereits fest etabliert.

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Europa fehlt noch die wissenschaftliche Grundlage, um die positiven Eigenschaften der mitteleuropäischen Wälder zu belegen. Daher wird das Projekt der Infta an drei Standorten in Nordrhein Westfalen, Berlin und im Sachsenwald wissenschaftlich begleitet von Prof. Dr. Andreas Michalsen von der Berliner Charité. „Gespräche mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zur Datenerhebung der Effekte deutscher Wälder auf die Gesundheit laufen erfolgreich“, so Lara Keuthen.