Hamburg. Schleswig-Holstein will mit Einreisestopp das Virus eindämmen. Rechtsanwalt Gerhard Strate spricht von Verstoß gegen das Grundgesetz.
Mittwochmorgen, in Eckernförde. Vor einem Lebensmittelgeschäft steht ein Auto mit Hamburger Kennzeichen. Ein Kunde bemerkt das, und ruft beim Betreten des Ladens dem Betreiber zu: „Was macht denn der Hamburger da draußen? Müsste der nicht längst weg sein?“ Antwortet der Betreiber: „Entspann dich, der Wagen gehört Simon, der wohnt seit zehn Jahren hier.“
Es ist Tag eins, nachdem Schleswig-Holstein seine radikalen Maßnahmen im Kampf gegen die Ausbreitung der Corona-Epidemie verkündet hat. Alle Hotels und Pensionen müssen geräumt werden, alle Gaststätten geschlossen, Tagesausflüge an die Küste oder die Seen sind verboten. Eigentlich darf sich in Schleswig-Holstein nur noch aufhalten, wer hier wohnt oder arbeitet. Es ist, als hätte Hamburgs Nachbarland die Grenzen dichtgemacht. Nur: geht das überhaupt?
Strate: Schleswig-Holsteins Vorstoß verstößt gegen Grundgesetz
Die Antwort gibt einer der bekanntesten Rechtsexperten des Landes, der Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate: „Natürlich geht das nicht.“ Schleswig-Holstein verstoße mit dem Versuch, etwa Hamburgern einen Ausflug an die Nord- oder Ostsee zu verbieten, gegen das Grundgesetz. „Die in Artikel 11 Absatz 1 garantierte Freizügigkeit bedeutet die Freiheit, an jedem Ort der Bundesrepublik Aufenthalt zu nehmen“, so Strate.
Das sei nicht an einen Zweck oder an einen Wohnsitz gebunden. Zwar würden in Absatz 2 des Artikels 11 auch Einschränkungen, zum Beispiel entsprechend des Infektionsschutzgesetzes, geregelt. „Aber diese Einschränkungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eng auszulegen. Einen Hamburger an einer Reise nach Timmendorf zu hindern, bloß weil zum Beispiel die vermehrte Ansammlung von Gästen im Café Wichtig die Gefahr der Übertragung von Viren erhöhen würde, verstößt auf jeden Fall gegen das Übermaßverbot“, so Strate.
16 Prozent aller Schleswig-Holsteiner sind in einem Hamburger Krankenhaus
Dass Schleswig-Holstein sich mit der Begründung abriegelt, dass man die hier vorhandenen Intensivbetten im Notfall für die eigene Bevölkerung brauche und deshalb alle anderen bitte, das Land zu verlassen, hatte gerade in Hamburg für Irritationen gesorgt. Denn erstens werden hier (selbstverständlich) Corona-Patienten aus Schleswig-Holstein betreut, zumindest in einem Fall auch auf einer Intensivstation.
Und zweitens hatten sich in der Vergangenheit pro Jahr etwa 16 Prozent aller Schleswig-Holsteiner in einem Hamburger Krankenhaus behandeln lassen, in Hamburg-nahen Landkreisen waren es sogar bis zu 50 Prozent. „In einer Situation wie der Corona-Krise jetzt von Seiten Schleswig-Holsteins ein Stück weit die Solidarität aufzukündigen, halte ich nicht für klug“, sagt der Hamburger Psychiater Michael Schulte-Markwort. „Man darf jetzt nicht das Signal aussenden, dass jeder nur an sich denkt, sondern muss die Krise gemeinsam angehen.“
Umsätze im Einzelhandel sind eine Katastrophe
Kommt hinzu, dass das Leben in Schleswig-Holstein sich schon vor den aktuellen Maßnahmen deutlich verlangsamt hatte. „Hier war doch schon in den vergangenen zwei Wochen fast gar nichts mehr los“, sagt Monika Kemna-Horns, die mit ihrem Mann Uwe ein Einzelhandelsgeschäft in Kappeln an der Schlei betreibt.
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Die Umsätze seien eine Katastrophe: „Wir haben die Sommerware im Geschäft stehen und können sie nicht auspacken, weil wir nicht wissen, wie wir sie bezahlen sollen.“ Wenig los ist selbst beim wichtigsten Lebensmittelhändler am Ort, einem fußballfeldgroßen Edeka-Markt – zumindest bei unserem Besuch um 18.45 Uhr. Neben ein paar Angestellten verlieren sich fünf, sechs Kunden im Geschäft, Abstand halten ist also keine Probleme, an den zwei geöffneten Kassen kommt man sofort dran, die Regale sind gut bis sehr gut gefüllt. Nicht mal das Klopapier ist ausverkauft, „wir haben heute Morgen auch eine neue Lieferung bekommen“, sagt die Kassiererin.
Sperrung der Strände stößt auf Unverständnis
Noch ein Test in einem Getränkemarkt in Gelting: Wir sind die einzigen Kunden, es gäbe alles zu kaufen, was man sich nur wünscht. Und der Strand? Der war schon am Dienstag überall dort so gut wie leer, wo wir den Test gemacht haben, in Schleswig-Holstein wie in Mecklenburg-Vorpommern. Eine Mutter, die mit ihrem Kind unterwegs ist, versteht nicht, warum in diesen Zeiten gerade die Strände gesperrt werden sollen. „Besser als hier kann ich doch gar nicht dafür garantieren, dass ich möglichst viel Abstand zu anderen halte – ich sehe die doch schon mehrere Kilometer im Voraus.“
Die Beherbergungsbetriebe in Schleswig-Holstein mussten ihre Gäste am Mittwoch nach Hause schicken, selbst die, in denen die Menschen in vollkommen getrennten Häusern voneinander gelebt haben – wie etwa im Reetdorf an der Geltinger Birk. „Unsere Gäste sind alle extrem traurig“, sagt Norbert Essing, der zusammen mit seiner Frau Marion das Dorf gebaut hat, in dem es weder gemeinsame Mahlzeiten noch sonst irgendwelche Kontakte in geschlossenen Räumen für Touristen gibt. „Viele waren gerade in diesen unruhigen Zeiten hier sehr glücklich.“
Und sie würden fragen, ob sie umbuchen könnten, Stornierungen hätte es noch keine gegeben. Im Gegenteil: Die Anfragen für die kommenden Monate seien deutlich gestiegen. „Viele werden nach der Corona-Krise auf weite Reisen verzichten und lieber an die Ostsee fahren“, sagt Essing. „Wenn das Schlimmste überstanden ist, werden wir wohl mehr absagen müssen als zusagen können.“ Das wäre immerhin eine gute Nachricht für die Tourismusbranche an Nord- und Ostsee…