Kiel. CDU will das Hochschulgesetz ändern, Grüne nicht. An Schulen sollen Gesichtsschleier jedoch untersagt werden.

„Vollkommen unverständlich“ sei das Verhalten des Koalitionspartners, eine „rote Linie“ sei überschritten: In der „Jamaika“-Koalition stehen die Zeichen auf Sturm. Anlass: Der Streit um ein Verbot der Vollverschleierung, das nach Vorstellung der CDU ins schleswig-holsteinische Hochschulgesetz aufgenommen werden sollte – nach Vorstellung des grünen Koalitionspartners aber gerade nicht. „Wir lehnen ein Verbot der Vollverschleierung weiterhin ab und werden in der Koalition keinem derartigen Vorhaben zustimmen“, sagte Ann-Kathrin Tranziska, Landesvorsitzende der Grünen, in großer Deutlichkeit. Der Sonnenschein im Kieler Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP, das seit 2017 in Schleswig-Holstein regiert, trübt sich offenbar gerade ein.

Dabei geht es zunächst nur um einen Einzelfall – um eine Studentin der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel. Die 22-Jährige hat sich im Fach Ökotrophologie eingeschrieben und kommt im Niqab zu den Uni-Veranstaltungen. Das blieb anfänglich auch ohne Beanstandungen. Doch dann forderte ein Dozent die Frau auf, in seinen Veranstaltungen den Schleier abzulegen. Sie weigerte sich, die Uni-Leitung wurde informiert. Seit gut einem Jahr ist der Fall ein Politikum – umso mehr, seitdem bekannt ist, dass sich die Frau von einem Verein helfen lässt, der dem Salafismus nahesteht. Die Studentin selbst behauptet, keine Salafistin zu sein. Früher war sie nach eigenen Angaben evangelikale Christin. Vor rund fünf Jahren konvertierte sie zum Islam.

Die Studentin durfte in der Uni den Niqab tragen

Wie also umgehen mit einer Frau, die offenbar extremen Formen der Religionsausübung zuneigt? Die „Jamaika“-Koalition verschob das Thema erst einmal in den Bildungsausschuss und startete eine Anhörung. Es wurde eine der umfangreichsten Anhörungen, die der Landtag je durchgeführt hat. Rund 100 Vereine, Verbände und Einzelpersonen wurden zu Stellungnahmen aufgefordert ­– auch die Studentin selbst. Juristen wie Professor Rudolf Steinberg, ehedem Präsident der Frankfurter Goethe-Universität, äußerten rechtliche Bedenken gegen ein Verschleierungsverbot. In Deutschland hätten alle Gerichte, die sich bisher damit befasst hätten, die Vollverschleierung von Volljährigen als religiöse Betätigung angesehen, die vom Schutzbereich der Religionsfreiheit umfasst werde, merkte Steinberg an. Ziel müsse es deshalb sein, einen schonenden Ausgleich zwischen den Belangen der Hochschule und denen der Studentin zu finden. Nun, diesen schonenden Ausgleich hatte man im Schatten der Monate währenden Anhörung bereits gefunden.

Die Studentin durfte in der Uni den Niqab tragen. Nur bei bestimmten Veranstaltungen, etwa bei Prüfungen, lüftete sie in einem Nebenraum in Anwesenheit einer Frau den Schleier, um ihre Identität zweifelsfrei feststellen zu können – um also klären zu können, dass es auch tatsächlich die 22-Jährige war, die da die Prüfung ablegte. Auf diese Weise konnte sie auch einige Klausuren wiederholen, die sie in der anfänglich recht heißen Phase des Niqab-Streits nicht hatte mitschreiben dürfen.

Im Schulbereich gibt es kein Verbot der Vollverschleierung

FDP und CDU drängen darauf, ein Gesichtsschleierverbot im Hochschulgesetz zu verankern. „Der Gesetzentwurf war schon ein Kompromiss“, sagte der CDU-Fraktionschef Tobias Koch. „Es ist unerfreulich, dass die Grünen dem nicht zustimmen wollen.“ Zudem hatte man eigentlich vereinbart, im regelmäßig tagenden Koalitionsausschuss über das Thema zu sprechen. Stattdessen hätten die Grünen Tage vor dem Treffen der Koalitionäre eine Pressemitteilung versendet und ihre Ablehnung so publik gemacht. Koch: „Da hat uns die Kommunikation der Grünen schon sehr überrascht.“ Auch die FDP missbilligt die Entscheidung. „Ich bedaure sehr, dass es in der Koalition nicht möglich war, dem Wunsch der Uni nach einer rechtssicheren Lösung nachzukommen“, sagt Fraktionschef Christopher Vogt.

Etwas anders sieht es offenbar im Schulbereich aus. Auch dort gibt es derzeit in Schleswig-Holstein kein Verbot der Vollverschleierung. Die „Jamaika“-Koalitionäre wollen das ändern. Tobias Koch sagt: „In diesem Jahr steht ohnehin eine Novelle des Schulgesetzes an, da muss das Verschleierungsverbot mit hinein. Sonst schaffen wir es in dieser Legislaturperiode nicht mehr.“ Lasse Petersdotter, Landtagsabgeordneter der Grünen und Mitglied im Bildungsausschuss, ist zumindest nicht abgeneigt: „In der Schule ist das eine ganz andere Situation. Hier hat der Staat einen anderen Auftrag.“ Und auch die FDP will jetzt Druck machen. Christopher Vogt sagt: „Der Fall in Hamburg macht deutlich, dass wir das Vollverschleierungsverbot an Schulen zeitnah in Angriff nehmen sollten.“ Am Montagabend tagte der „Jamaika“-Koalitionsausschuss. Es bleibt bei der Haltung der Grünen für ein Verschleierungsverbot an Hochschulen. An Schulen aber will die Koalition ein solches Verbot einführen. Vielleicht hellt sich der Himmel ja jetzt wieder auf.