Niebüll/Berlin. Der Ausbau der Strecke Niebüll–Westerland wird nicht per Legalplanung beschleunigt. Nun bleibt nur die Hoffnung auf den Bundestag.
Im Norden kennen sie das schon: Da wird entworfen und geplant, da wird in Berlin präsentiert und argumentiert, und am Ende wird ein Verkehrsprojekt aus Bayern gebaut – und eben nicht das aus Schleswig-Holstein. Vor ein paar Tagen ist es wieder passiert. Der zweigleisige Ausbau der Marschbahn zwischen Niebüll auf dem Festland und Westerland auf der Insel Sylt flog aus dem „Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz“. Stattdessen stehen dort nun sieben andere Schienenprojekte, darunter zwei bayerische. Hat da wieder einmal der aus Bayern stammende Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die Hände im Spiel gehabt?
Doch ganz so einfach ist die Sachlage in diesem Fall nicht. Denn dieses Gesetz mit dem umständlichen Namen könnte tatsächlich eine Wende in der Geschichte der deutschen Verkehrsplanung einläuten. Es geht auf den GroKo-Koalitionsvertrag zurück und soll die extrem langen Planungszeiten verkürzen. „Legalplanung“ heißt das Zauberwort. Nicht mehr die Verwaltung, sondern der Bundestag trifft dabei wichtige Entscheidungen. Vor dem abschließenden Votum im Parlament soll eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung stehen. Klagen gegen das Vorhaben sind am Ende nur noch vor dem Verfassungsgericht möglich. Dort müssten etwaige Kläger nachweisen, dass der Bau gegen die Verfassung verstößt – eine schwer zu nehmende Hürde.
Marschbahn-Offensive ausgebremst
In Schleswig-Holstein hatte der Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP) gehofft, mit dieser Legalplanung endlich den Engpass auf dem Weg nach Sylt beseitigen zu können – den eingleisigen Streckenabschnitt zwischen Niebüll und Klanxbüll. Und bis vor Kurzem hatte es auch so ausgesehen, als ob das klappen könnte. Im Juni hieß es im Kieler Ministerium, der Bund prüfe eine „Lex Sylt“ – also den beschleunigten Ausbau der Marschbahnstrecke mithilfe eines Gesetzes. Im Oktober wurde ein erster Entwurf des Gesetzes vorgestellt. Sechs Bauprojekte wurden da genannt: fünf Wasserstraßen und ein Schienen-Vorhaben, nämlich Niebüll–Westerland. In Schleswig-Holstein war der Jubel groß. „Turbo-Baurecht für Marschbahn“, lautete eine Zeitungsschlagzeile.
Doch ob dieser Turbo tatsächlich gezündet wird, war schon damals fraglich. Denn für die Legalplanung gibt es hohe gesetzliche Hürden. Darauf machte auch Minister Buchholz aufmerksam. Das Verfassungsgericht hatte bereits vor Jahren in einem Urteil festgehalten, dass die Legalplanung nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen möglich sei.
Marschbahn hat keine Priorität mehr
Dennoch waren viele Verkehrspolitiker im Land alarmiert von der Möglichkeit, Schienenprojekte schneller fertigstellen zu können. Und deshalb passierte zweierlei. Die Zahl der im Gesetzentwurf genannten Projekte erhöhte sich plötzlich von eins auf sieben. Und Niebüll–Westerland wurde gestrichen. Verkehrsminister Buchholz war empört. Die Begründung für den Rauswurf, sagte er, sei „an den Haaren herbeigezogen“.
Die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hatte Buchholz einen Strich durch die Rechnung gemacht. In Kiel wird vermutet, dass Schulze mit ihrem Kabinettskollegen Scheuer über Kreuz liege – und ihm auf diese Weise eins auswischen wollte. Also machte Schulzes Umweltministerium, das sich wegen der üblichen Ressortabstimmung mit dem Maßnahmengesetz befassen musste, darauf aufmerksam, dass für alle genannten Maßnahmen „hohe verfassungsrechtliche Anforderungen“ gelten. Der klima- und verkehrspolitische Nutzen müsse sehr hoch sein, und das sei bei der Marschbahn eben nicht der Fall. So ganz falsch liegt das Ministerium damit nicht. In der Tat bringt es fürs Klima nicht viel, wenn dort nach dem Ausbau mehr mehr Dieselloks und Waggons fahren als vorher.
Dennoch ist gerade die Marschbahnstrecke wie keine zweite Bahnlinie in Deutschland für ein Maßnahmengesetz geeignet. Denn die Insel Sylt ist das einzige deutsche Territorium, das ausschließlich per Zug erreichbar ist – wenn man einmal von der Flugverbindung absieht. Hier eine Verbesserung per Legalplanung herbeizuführen, dürfte schon allein mit der Sylter Sondersituation gut begründbar sein.
Letzte Ausfahrt Bundestag
In Berlin spielte das indes keine Rolle. Politiker und Lobbyisten nutzten nun die Gelegenheit, um ihre regionalen Schienenprojekte in das Maßnahmengesetz“ hineinzudrücken. Buchholz beschrieb das so: „Jetzt kommen alle anderen und wollen ihre Projekte auch noch unterbringen.“
In der Tat waren da eigentümliche Karrieren zu beobachten. So ist plötzlich der Ausbau der Bahnstrecke München–Freilassing in das Gesetz aufgerückt. Vor gut einem Jahr gehörte die Strecke noch in die Kategorie „Kein Bedarf“. Die Kosten waren höher als der Nutzen. Dann ließ Scheuer noch einmal nachrechnen. Plötzlich wurde die Strecke deutlich billiger. Die reinen Baukosten sanken um rund 25 Prozent – von 924 Millionen Euro auf 694,9 Millionen Euro. Nun lohnte sich der Bau wieder. Und jetzt soll er sogar beschleunigt werden. Fraglich, ob sich so die hohen verfassungsrechtlichen Hürden überwinden lassen.
Der Norden hofft nun auf das Parlament. Das entscheidet letztlich, welche Strecken im Gesetz stehen. Die Marschbahn hat noch eine kleine Chance.