Kiel/Pinneberg. Erstmals soll in Deutschland ein Problemwolf abgeschossen werden. Ein paar Hürden muss Schleswig-Holstein noch nehmen.
Während in diesem Moment irgendwo im Norden von Hamburg, vielleicht im Kreis Pinneberg, ein Wolf nach Beute sucht, wird in Kiel über sein Schicksal beraten. Dem Rüden droht der Abschuss. Er wäre die erste Tötung eines Problemwolfs nach Wiederansiedlung der Tiere in Deutschland. Die beiden anderen Tiere, die 2016 (Sachsen) und 2018 (Niedersachsen) mit behördlicher Genehmigung erlegt wurden, hatten sich gegenüber Menschen auffällig verhalten.
Der Wolf, um den es nun geht, ist in dieser Hinsicht unauffällig. Er hat nur das gemacht, was arttypisch ist. Er hat Schafe gerissen – dabei allerdings mehrfach einen „wolfssicheren“ Zaun überwunden. Das ist das Ergebnis einer DNA-Analyse vom Dienstag. Seitdem ist der Wolf mit dem behördlichen Namen „GW 924“ in Lebensgefahr.
Schäfer hat Angst vor Naturschützern
Denn der scheswig-holsteinische Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) hat schon mehrfach angekündigt, handeln zu wollen. Überspringe ein Wolf nachweislich einen Schutzzaun, so Albrecht, könne er „entnommen“ (getötet) werden. Für die „Entnahme“ wird allerdings einen Ausnahmegenehmigung benötigt. Die Frage ist deshalb: Wer setzt den Mechanismus in Gang, der zur Wolfsjagd führt? Wölfe stehen in ganz Europa unter Artenschutz, nirgendwo dürfen sie bejagt werden. Ausnahmen sind zwar auf Antrag möglich.
Aber wer will verantwortlich sein für den Tod von „GW924“? Klar ist: Der Schäfer im Kreis Pinneberg, in dessen Herde der aus Dänemark kommende, knapp zweijährige Rüde zugeschlagen hat, will sich nicht exponieren – aus Angst vor Repressalien von Naturschützern. An seiner Stelle wäre der Landesverband der Schleswig-Holsteiner Schaf- und Ziegenzüchter durchaus bereit, die Aufgabe der Antragstellung zu übernehmen. „Aber der Landesverband ist anscheinend nicht berechtigt, weil er nicht wirtschaftlich betroffen ist“, sagt die Geschäftsführerin Janine Bruser. Dennoch lag dem Ministerium am Dienstag ein Antrag auf „Entnahme“ vor. Wer ihn gestellt hat, war nicht zu erfahren.
CDU fordert Vereinfachung von Abschüssen
Der Wolf ist kein einfacher Fall. Er schleppt eine Rücksack von Sagen und Mythen mit sich herum. Der böse Wolf, der blutrünstige Wolf spielt in vielen Erzählungen aus alten Zeiten eine Rolle. Die „Angst vorm Wolf“ ist sprichwörtlich. Sie führte schließlich zur Ausrottung der Tiere, aber nicht, wie deren Rückkehr zeigt, zur Ausrottung der Ängste. Die CDU in Schleswig-Holstein fordert mittlerweile, den Wolf ins Jagdrecht aufzunehmen und Abschüsse zu vereinfachen. Der Bauernverband schlägt in dieselbe Kerbe – und warnt etwa davor, dass an die Zivilisation angepasste Tiere Jogger im Wald anfallen könnten. Auf der anderen Seite stehen die Naturschützer. Ole Eggers, Geschäftsführer des BUND Schleswig-Holstein, findet die Diskussion um den Wolf überzogen. „Vier- bis fünfmal so viele Schafe wie durch den Wolf werden durch Hunde getötet, und da wird kein solches Brimborium gemacht“, sagt er. Ja, der Pinneberger Wolf habe Zäune überwunden. „Aber vielleicht waren das ja keine wolfssicheren Zäune.“
"GW 924" riss schon früher Schafe im Norden
„GW 924“ ist schon seit längerem in den Kreisen Pinneberg und Steinburg aktiv. Im vergangenen August riss er nachweislich bei Quickborn ein Schaf, im September machte er dasselbe in Westerhorn. Der Wolf hatte leichtes Spiel. Es gab keine Schutzzäune. Zwischen dem 28. November und dem 2. Januar übersprang er dann insgesamt achtmal in Westerhorn, Hemdingen, Bilsen, Ellerhoop und Heede über Zäune und verletzte dabei Schafe. In sechs Fällen, das ist nun nachgeweisen, war es ein Wolf. Das Ministerium geht davon aus, dass es sich dabei um "GW924" handelt. Ein anderer Wolf ist dort nicht unterwegs. Die Fachleute halten ihn für eine absolute Ausnahme. Er habe nun gelernt, die Zäune zu überwinden, und werde es immer wieder tun, sagen sie. Deshalb müsse er entnommen werden. In vielen anderen Teilen Deutschlands funktioniert der Schutz mit Elektrozäunen sehr gut. Sobald die Wölfe einen Stromschlag bekommen haben, meiden sie die Zäune.
Schleswig-Holstein ist Wolf-Entwicklungsland
Schleswig-Holstein ist in Sachen Wolfsbesiedelung noch Entwicklungsland. In Niedersachsen leben 20 Rudel, in Mecklenburg-Vorpommern vier. In Schleswig-Holstein halten sich derzeit nur zwei „alleinlebende“ Wölfe auf. Der Kollege von „GW924“, der meist im Segeberger Raum unterwegs ist, verhält sich dabei völlig unauffällig. Er hat noch nie ein Nutztier gerissen.
Tatsache ist, dass die Wolfspopulationen fast überall in Europa wachsen. In der EU leben mittlerweile 13.000 bis 14.000 Wölfe. Illegale Abschüsse sind die wichtigste Bedrohung. Untersuchungen aus Finnland zeigen laut EU, dass das Töten von Wölfen als soziopolitische Straftat zu sehen ist. Mit dem Abschuss will der Täter auch gegen Wolfsschutzmaßnehmen protestieren.
In dieser angespannten Atmosphäre soll nun erstmals in Deutschland ein Problemwolf abgeschossen werden. Ein paar Hürden müssen noch genommen werden. Ein Jäger muss gefunden werden, der sich auf die Pirsch macht. Laut Ministerium soll nur eine Person eine befristet Schusserlaubnis bekommen. Beim schleswig-holsteinischen Jagdverband glaubt man, dass es damit nicht getan ist. „Der Pinneberger Wolf ist heimlich, den hat noch keiner gesehen“, sagt Geschäftsführer Marcus Börner. „Der Plan, nur einem Jäger eine Schusserlaubnis zu erteilen, ist zum Scheitern verurteilt.“