Kiel. 655 Euro musste ein „Reichsbürger“ Schleswig-Holsteins zahlen, weil er seinen Ausweis zurückgab. Bewegung “latent gefährlich“
Schleswig-Holsteins Innenminister hat den „Reichsbürger“-Erlass im Norden als Erfolg gewertet. „Die Verwahrgebühr hat Wirkung gezeigt“, sagte Hans-Joachim Grote (CDU). Die Reichsbürger seien zwar "latent gefährlich", aber zuletzt nicht mit Straftaten nicht übermäßig auffällig geworden. Die Zahl der Versuche sogenannter Reichsbürger, ihre Personalausweise als illegitime Dokumente zurückzugeben, sei seitdem zurückgegangen. Die Zahl der von Behörden aufbewahrten Dokumente liege auf konstant niedrigem Niveau.
„Wer der Meinung ist, dass er sich über geltende Gesetze und Vorgaben hinwegsetzen kann, der muss eben zahlen“, sagte Grote (kleines Foto). Ende 2018 wurden der „Reichsbürger“-Bewegung in Schleswig-Holstein laut Innenministerium 313 Personen zugerechnet. Anhänger der Bewegung lehnen die Bundesrepublik, deren Organe und Behörden ab und akzeptieren keine amtlichen Bescheide. Vereinzelt gingen sie auch gewaltsam gegen Vollstreckungsbeamte vor. 2016 hatte ein Reichsbürger im süddeutschen Georgensgmünd einen Polizisten ermordet, weil er sein Grundstück als eigenes „Staatsgebiet“ verteidigen wollte.
Seit 2016 nimmt Kiel Geld für verwahrte Reisepässe
Seit Ende Oktober 2016 werden in Schleswig-Holstein für die Verwahrung nicht abgelaufener Reisepässe und Personalausweise durch Behörden je angefangenem Tag fünf Euro fällig. Das Ministerium empfiehlt den Ämtern eine monatliche Festsetzung der Verwahrgebühr, damit die Betroffenen immer wieder daran erinnert werden und so für sich immer wieder neu entscheiden müssen, wie ernst sie ihren Glauben an das verflossene Deutsche Reich nehmen wollen.
Die Reichsbürger halten die Gründung der Bundesrepublik für illegal und glauben an den Fortbestand des Deutschen Reiches. Einige glauben, durch einseitige Erklärung aus der Bundesrepublik „austreten“ zu können. Die Bewegung wird vom Verfassungsschutz beobachtet, weil sie als eine eigene Form des politischen Extremismus angesehen wird. Teilweise bestünden auch Bezüge zur rechten Szene, sagt der Verfassungsschutz. Im Norden treffe das auf ein Dutzend „Reichsbürger“ zu.
Ein Reichsbürger zahlte 655 Euro für die Aufbewahrung
In einem hervorstechenden Fall wurde gegen einen „Reichsbürger“ im vergangenen Jahr eine Verwahrgebühr in Höhe von 655 Euro festgesetzt. Die Summe wurde nach Angaben des Innenministeriums mittlerweile im Vollstreckungsverfahren vollständig beglichen. Im Kreis Stormarn nahm ein „Reichsbürger“ seinen Ausweis nach einigen Tagen wieder zurück, nachdem er 80 Euro Verwahrgebühr zahlen musste.
Insgesamt gab es bei den Behörden des nördlichsten Bundeslandes seit Inkrafttreten der Verordnung 40 Abgabeversuche durch „Reichsbürger“. In 28 Fällen wurden die Ausweisdokumente nach Hinweis auf die Gebühr wieder zurückgenommen. Die Übrigen ließen ihre Dokumente aufbewahren. Ein anderer Fall beschäftigt Ende März das Verwaltungsgericht Schleswig. Ein „Reichsbürger“ hat gegen die Gebühr geklagt. Seit 2015 werden die Reichsbürger vom Verfassungsschutz beobachtet.
Reichsbürger beanspruchen Staatsgebiete in vier Regionen
Gemäß einer Antwort der Landesregierung auf eine große Anfrage zu den Aktivitäten der Reichsbürger kam es seitdem in 68 Fällen zu einer Weigerung, berechtigte staatliche Forderungen zu begleichen. Gewaltsamer Widerstand trat jedoch nicht auf. Trotzdem schätzt Kiel das Gefährdungspotential der Reichsbürger als "latent hoch" ein und verweist auf die große Affinität der Reichsbürger zu Waffen. Dies könne in Verbindung mit der Auffassung vieler Reichsbürger, ein eigenes, quasi staatliches Territorium zu verwalten, zu problematischen Eskalationen führen. Sogenannte "Selbstverwalter" unter den Reichsbürgern gibt es laut Landesregierung derzeit elf im Norden. Sie beanspruchen "Staatsgebiete" in Tating/Kreis Nordfriesland, Neumünster-Brachenfeld, Hohenwestedt/Kreis Rendsburg-Eckernförde und Lübeck.
Von den 288 als Reichsbürger identifizierten Personen haben laut Innenministerium 20 waffenrechtliche Erlaubnisse, auf die 46 Waffen eingetragen sind. In bisher 10 Fällen davon wurden die waffenrechtlichen Erlaubnisse widerrufen, so dass 19 erlaubnispflichtige Schusswaffen abgegeben werden mussten. Die Tatsache einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz allein reicht aber nicht aus, um die waffenrechtliche Erlaubnis etwa wegen "Unzuverlässigkeit" einzuziehen. Zu Verstößen gegen das Waffengesetz kam im Jahr 2017 und im Jahr 2018 in jeweils einem Fall. Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz sind der Landesregierung "nicht bekannt".