Kiel/Hannover. 389 Müllteile auf 100 Meter Strandentdeckt. 60 Prozent der untersuchten Vögel hatten Plastikmüll im Magen. EU-Richtlinie nicht erfüllt.

Um Nord- und Ostsee ist es nicht gut bestellt. Der Nährstoffeintrag ist zu groß, die Schadstoffbelastung ist zu groß, die Vermüllung ebenfalls. Fische und Vögel leiden darunter. Das ist das Ergebnis der aktuellen Zustandsberichte für die deutschen Nord- und Ostseegewässer, die Ende Dezember der Europäischen Union übermittelt wurden. Fazit der von den Umweltministerien der Küstenländer verfassten Berichte: „Um den guten Zustand von Nord- und Ostsee zu erreichen, bedarf es fortgesetzter Anstrengungen.“

Die Bestandsaufnahme der beiden Gewässer ist eine Folge der – und nun wird es kompliziert – EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL). Sie ist 2008 in Kraft getreten. Ziel sollte es sein, bis 2020 einen „guten Zustand“ aller europäischen Meere zu erreichen. Nord- und Ostsee werden das absehbar nicht schaffen. Sanktionen sind damit aber nicht verbunden.

Beide Meere sind von Idealzustand weit entfernt

Die EU hat in ihrer Richtlinie durchaus harte Bedingungen für diesen „guten Zustand“ festgeschrieben. So heißt es zum Thema Nährstoffeintrag (Eutrophierung): „Die von Menschen verursachte Eutrophierung ist auf ein Minimum reduziert.“ Und bei den Abfällen wird gefordert: „Die Eigenschaften und Mengen der Abfälle im Meer haben keine schädlichen Auswirkungen auf die Küsten- und Meeresumwelt.“

Von einem solchen Idealzustand sind die beiden Gewässer derzeit weit entfernt. Spülsaumsammlungen an der Ostsee haben ergeben, dass pro 100 Meter Strandabschnitt im Schnitt 47 Müllteile zu finden sind. 70 Prozent davon bestehen aus Kunststoff. Besonders häufig sind Plastikteile, die kleiner als 50 Zentimeter sind, zum Beispiel Plastik- und Styroporstücke oder Folienfetzen. Danach folgen Papier und Pappe mit zwölf Prozent sowie Zigarettenfilter mit neun Prozent. Raucher tragen also nicht unwesentlich zur Verschmutzung bei. Im Bericht heißt es: „Das Gros des Mülls an deutschen Ostseestränden stammt aus touristischer Nutzung, Einträge aus der Schifffahrt und der Fischerei sowie von Offshore-Installationen spielen eine untergeordnete Rolle.“

389 Müllteile pro 100 Meter Nordseestrand

An der Nordsee sieht es noch schlechter aus. Dort wurden im Mittel 389 Müllteile pro 100 Meter Strand gefunden. 88,6 Prozent davon bestehen aus Kunststoff. Um die Müllbelastung der Wasseroberfläche zu bestimmen, wird regelmäßig der Mageninhalt von Eissturmvögeln untersucht. Etwa 60 Prozent der Tiere hatten mehr als 0,1 Gramm Plastikmüll im Magen. Dieser deutlich zu hohe Wert ist in den vergangenen zehn Jahren relativ konstant geblieben.

Fazit: Der von der EU geforderte „gute Zustand“ ist weder in Nord- noch in Ostsee erreicht. Und: Für den Berichtszeitraum, der etwa von 2012 bis 2017 reicht, gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass sich das Müllproblem verbessert hat. Beim Nährstoffeintrag, der im Wesentlichen von Düngemitteln verursacht wird, sieht es nicht besser aus. Nur sechs Prozent der deutschen Nordseegewässer sind in einem guten Zustand, 55 Prozent weisen zu hohe Einträge auf. Für den Rest (39 Prozent) fehlt eine abschließende Bewertung. Die Ostsee ist sogar zu 100 Prozent mit Nährstoffen belastet – auch eine Folge ihrer Randlage in den Weltmeeren, die eine Wasserauffrischung selten macht. Die übermäßige Belastung durch Nährstoffe gilt als eines der größten ökologischen Probleme von Nord- und Ostsee. Die Düngemittel werden vom Regen in die Flüsse gewaschen und dann ins Meer geschwemmt. Dort führen die Nährstoffe unter anderem zu unerwünschten Algenblüten, Änderungen der Planktonzusammensetzung und Trübungen des Wassers. Fazit: Der „gute Zustand“ wird auch hier nicht erreicht.

Lebensräume der Tiere sind beeinträchtigt

Was macht das mit dem Fischen und Seevögeln? Ihre Lebensräume sind beeinträchtigt. In der Nordsee geht es etwa der Hälfte der Küsten- und Seevogelarten schlecht, in der Ostsee liegt dieser Wert bei „nur“ 35 Prozent. Von den 32 in der Nordsee begutachteten Fischarten waren nur neun in Ordnung, 15 aber nicht. Die übrigen Arten konnten nicht bewertet werden. In der Ostsee waren sechs Fischarten okay, zwölf nicht, sechs Arten blieben ohne Bewertung. Fazit: Der „gute Zustand“ wird nicht erreicht.

Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD), der den Nordseebericht am Dienstag in Hannover vorstellte, sagte zu dieser Bilanz: „Unsere Nordsee ist ein einmaliges Ökosystem. Wir wollen die Lebensräume erhalten und schützen.“ Dazu bedürfe es weiterer Anstrengungen. Er rief die Bürger dazu auf, Plastikmüll zu vermeiden. „Verbraucher sollten zum Beispiel auf Einwegverpackungen verzichten und beim Getränkekauf auf Mehrwegsysteme setzen“, sagte er.

Anke Erdmann (Grüne), Umweltstaatssekretärin in Schleswig-Holstein, sagte: „Wir alle muten den Meeresökosystemen zu viel zu. Alle Anrainerstaaten gemeinsam müssen große Anstrengungen unternehmen, um die Ziele, die uns die europäische Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie vorgibt, zu erreichen.“ Schleswig-Holstein werde daher 2019 die Maßnahmen zur Verbesserung der Nord- und Ostsee weiter intensivieren und zum Beispiel eine Gewässerschutzberatung für Landwirte auch mit dem Ziel der Nährstoffreduzierung in Küstengewässern der Ostsee einführen.