Bad Oldesloe/Reinbek. Laut Statistik landen immer mehr junge Patienten in Schleswig-Holstein wegen einer Alkoholvergiftungen in einer Klinik.
Nachdem in den vergangenen Jahren weniger Kinder und Jugendliche in Schleswig-Holstein mit Alkoholvergiftungen in Krankenhäuser eingeliefert wurden, setzt sich dieser positive Trend nun leider nicht fort. Nach jüngster Auswertung des Statistikamtes Nord wurden im vergangenen Jahr 681 Kinder und Jugendliche nach exzessivem Alkoholkonsum in einer Klinik behandelt. Im Vorjahr waren es 20 Patienten weniger im Alter zwischen zehn und 20 Jahren.
Unverändert bleibt, dass mehr Jungen als Mädchen wegen einer Alkoholvergiftung behandelt werden müssen. 391 männliche Patienten und 290 weibliche zählten die Mediziner landesweit. Besonders erschreckend: Immer mehr Kinder kommen nach Trinkgelagen in Kliniken. 29 Jungen zwischen zehn und 15 Jahren erlitten eine Alkoholvergiftung, fünf mehr als im Vorjahr.
Oldesloer Ärzte behandeln immer mehr junge Komatrinker
Wie viele Kinder und Jugendliche in Stormarn 2017 so betrunken waren, dass sie ärztliche Hilfe benötigten, lässt sich nicht genau ermitteln. Denn im Kreis gibt es kein Kinderkrankenhaus. Viele Kinder im Vollrausch werden nach Hamburg ins Kinderkrankenhaus Wilhelmstift oder in die Kinderklinik nach Lübeck gebracht. „Bei uns in die Notaufnahme kommen in der Regel Jugendliche ab 16 Jahren“, sagt Peter Wellhöner, Chefarzt der Inneren Medizin in der Asklepios Klinik in Bad Oldesloe. 2017 wurden 16 Menschen, die höchstens 20 Jahres alt waren, mit einer Alkoholvergiftung in die Notaufnahme gebracht. Seit 2007 hat sich die Zahl damit fast verdoppelt. Damals waren es neun junge Patienten.
Im Krankenhauses St. Adolf-Stift in Reinbek wurden zwischen 2013 und 2017 jeder Jahr neun bis 13 Patienten im Alter unter 21 mit einer Alkoholvergiftung in die Notaufnahme gebracht. 2017 waren es nur neun. Allerdings waren es in den ersten elf Monaten 2018 schon 18 Fälle. Beide Krankenhäuser warnen jedoch davor, allein anhand dieser Zahlen eine Entwicklung abzulesen. Peter Wellhöner: „Unklar ist beispielsweise, ob die Hemmschwelle früher höher war, jemanden nach übermäßigen Alkoholgenuss in ein Krankenhaus zu bringen.“
Promille-Wert bei Jugendlichen immer höher
Eine beunruhigende Entwicklung, die der 52 Jahre alte Chefarzt in den vergangenen Jahren selbst beobachtet hat, sind steigende Promille-Wert bei jungen Patienten. „Vor 20 Jahren hätte ich nie gedacht, dass Jugendliche ab einem Promille-Wert von 1,5 noch bei Bewusstsein sind“, sagt Wellhöner und fügt hinzu: „Inzwischen habe ich schon 17- oder 18-Jährige gesehen, die mit drei Promille noch vor einem stehen.“
Doch solche Fälle seien die absolute Ausnahmen. In der Regel haben es die Ärzte in den Notaufnahmen mit einmaligen Entgleisungen zu tun. „Das sind Ausrutscher, die dem Jugendlichen und den Eltern ziemlich peinlich sind.“ Sollten Jugendliche jedoch ein zweites Mal mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus landen, werde ein Kinderpsychologe hinzugezogen. Vermuten die Ärzte gar eine Kindeswohlgefährdung, wird das Jugendamt alarmiert.
Im Koma fehlen Schutzreflexe
Eine konkrete Behandlung bei einer Alkoholvergiftungen gibt es laut dem Mediziner hingegen nicht. Die Patienten schlafen ihren Rausch aus und werden dabei beobachtet. „Im Koma fehlen Schutzreflexe wie das Husten. Es besteht die Gefahr, dass Patienten an ihrem Erbrochenen ersticken.“ So sei es auch nicht ungewöhnlich, Patienten nach dem Komasaufen auf die Intensivstation zu legen. „Dort können wir sie besser beobachten“, sagt Wellhöner, der weiß, dass Alkohol im Körper von Kinder und Jugendlichen größeren Schaden anrichtet als bei Erwachsenen.
„Das gilt insbesondere für die Leber und das Gehirn.“ Patienten, die bereits mit 30 Jahren an einer Leberzirrhose leiden, berichteten dem Mediziner, dass sie seit ihrem 14. Lebensjahr Alkohol trinken. Auch Karsten Kraatz, Oberarzt in der Zentralen Notaufnahme des Krankenhauses Reinbek St. Adolf-Stift, kennt die Gefahren des Komasaufens. „Beim sogenannten Binge-Drinking geht es Jugendlichen meist darum, in möglichst kurzer Zeit viel Alkohol zu konsumieren. Darum fehlen manchmal die ersten Anzeichen einer Alkoholvergiftung, stattdessen tritt plötzlich eine schwere Vergiftung auf.“
Gesundheitsminister unterstützt Präventionsaktion
Neben gesundheitlicher Risiken, könnte es laut dem Oberarzt zu Entwicklungsstörungen sowie zu schweren Störungen von sozialen und beruflichen Beziehungen kommen. Damit es erst gar nicht soweit kommt, versuchen diverse Institutionen über die Gefahren aufzuklären und so Trinkgelage unter Jugendlichen im Vorwege zu verhindern. Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg sagt: „Kinder und Jugendliche müssen so gestärkt werden, dass sie selbst erkennen, dass sinnloses Betrinken weder cool noch schlau ist.“ Garg ist Schirmherr des DAK-Wettbewerbs „bunt statt blau – Kunst gegen Komasaufen“. Dieses Jahr sind Schüler zwischen zwölf und 17 Jahren zum zehnten Mal aufgerufen, mit Plakaten kreative Botschaften gegen das Rauschtrinken zu entwickeln.
Auch die Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialdienstes (ASD) gehen in Schulen und klären über die Gefahren auf. Zudem laufen sie gemeinsam mit der Polizei bei Stadtfesten Jugendschutzstreifen. „Wir sprechen Jugendliche an und verteilen Informationsmaterial“, sagt Wilhelm Hegermann, Fachbereichsleiter für Jugend, Schule und Kultur in der Kreisverwaltung.
Schulzentrum in Bargteheide ist ein Brennpunkt
Laut Gerd Dietel, der bei der Polizei für Prävention zuständig ist, werden bei den Jugendschutzkontrollen auch alkoholische Getränke eingezogen oder vor Ort vernichtet. Allerdings habe beispielsweise die Polizei in Ahrensburg und Bargteheide zuletzt „keine besonderen Auffälligkeiten auf den Stadtfesten festgestellt“, so Dietel.
Die Bargteheider Polizisten berichten ferner, dass die Alkoholproblematik am Schulzentrum auffälliger sei als bei den Stadtfesten. „Dort werden deutlich mehr betrunkene Kinder und Jugendliche angetroffen, die dann von uns an die Eltern übergeben werden“, sagt der Polizist. Präventiionsarbeit gibt es an diesem Brennpunkt weder durch die Mitarbeiter des ASD noch durch die Polizei. Gerd Dietel: „Dort können wir nur noch repressiv tätig werden.“