Kiel. Zweimal drohte das Aus wegen der enormen Kostensteigerungen für die Sanierung. 2019 fährt sie wieder – mit neuer Crew.
Angesichts des Kostenanstiegs für die Reparatur der „Gorch Fock“ hatten dessen Kommandant mehrfach Angst vor einer Verschrottung des Segelschulschiffs. „Zweimal, wenn ich ehrlich bin“, sagte Kommandant Nils Brandt (53). Erstmals sei dies Anfang 2017 beim Anstieg der Kosten auf 75 Millionen der Fall gewesen und zuletzt im März, als sie auf bis zu 135 Millionen Euro angestiegen seien. „Durch diese enorme Kostensteigerung habe ich gedacht: Diesen Druck von außen hält die Politik nicht aus.“
„Heilfroh“ sei er über die Entscheidung, dass Schiff zu erhalten, sagte der 52 Jahre alte Kapitän zur See. Das Segelschulschiff lief vor 60 Jahren, am 23. August 1958, auf der Hamburger Werft Blohm+Voss vom Stapel. Die Bark habe einen hohen Ausbildungswert für die Marine, sagte Brandt. Die Ausbildung an Bord habe enormen Einfluss auf die Teambildung der angehenden Offiziere. Manch vermeintlicher Löwe aus den sozialen Medien entpuppe sich bei Sturm und Seekrankheit als Waschbär. „Alleine schafft man nichts an Bord. Das geht von den Kadetten bis zum Kommandanten.“ Für ihn gebe es keinen schöneren Posten bei der Marine. „Das ist mein Traumjob.“
Im Frühjahr läuft sie wieder aus
Im kommenden Frühjahr soll das Schiff zu seinem nächsten Ausbildungstörn starten. Brandt freut sich bereits darauf, wenn seine Crew nach dem Start im Heimathafen Kiel wieder alle Segel der Bark setzen wird. Nach der langen Werftzeit brauche die Stammbesatzung ein halbes Jahr, um wieder die nötige Routine für einen Ausbildungstörn mit Kadetten zu haben, sagte er. „Denn ich fange ja mit gut der Hälfte meiner Besatzung bei Null an, weil sich inzwischen viele Personalwechsel ergeben haben.“
Wegen der langen Werftzeit der „Gorch Fock“, sie liegt seit Januar 2016 in Bremerhaven im Dock, bekommt die Stammcrew des Segelschulschiffs eine umfangreiche Ausbildung. „Sie soll das Schiff in allen Wetterlagen wieder zur See fahren, aber auch ihren Ausbildungsauftrag für die Offiziersanwärter verantwortungsvoll erfüllen“, sagte der Sprecher des Marinekommandos in Rostock, Gunnar Wolff. Im September soll die neue Besatzung schon mal am Übungsmast der Marineschule Mürwik trainieren. Für Oktober hat die Marine das „Schulschiff Deutschland“ gebucht, ein ehemaliges Segelschulschiff. „Gut sechs Monate braucht das Training bestimmt“, sagte Kapitän Brandt.
Mehr als 750.000 Seemeilen auf dem Buckel
Mehr als 750.000 Seemeilen und so mancher Sturm haben der 89 Meter langen "Gorch Fock" in 60 Jahren mächtig zugesetzt. Entsprechend umfangreich ist die „Frischzellenkur“ für Deutschlands Segelschulschiff. Der Anblick der Bark im Trockendock der Bremerhavener Bredo-Werft erinnert noch gar nicht an den „Stolz der Marine“. Der Rumpf ist von Planen umhüllt, das Oberdeck nicht vorhanden, und auch die Masten fehlen. Klar ist: Seinen Ehrentag, den 60. Geburtstag am 23. August, wird das Segelschiff auf dem Trockenen verbringen.
„Das ist ein sehr trauriges Gefühl“, sagt Kommandant Nils Brandt. Am meisten belaste ihn die Situation der Besatzung. Teilweise verließen die Soldaten nach 15 oder 18 Monaten das Schiff ohne eine einzige Seemeile gesegelt zu sein. „Wir werden am 9. September - so hat es meine Besatzung ausgerechnet - tausend Tage Werft hinter uns haben.“ Dies könne wohl kein anderes Marineschiff toppen.
Von 10 auf 135 Millionen Euro Sanierungskosten
Am 23. August 1958 war die „Gorch Fock“ bei der Hamburger Werft Blohm + Voss vom Stapel gelaufen. Im Herbst 2015 startete ihre 168. und bisher letzte Ausbildungsfahrt von Kiel über Dublin, Madeira, Cadiz, Dartmouth nach Wilhelmshaven - dann ging es in die Werft. Die Reparaturen zogen sich und wurden immer teurer. In diesem Frühjahr leitete der Bundesrechnungshof wegen der explodierenden Kosten ein Prüfverfahren ein, Experten sahen sich an Bord um.
Die jahrelange Reparatur soll statt ursprünglich veranschlagter 10 Millionen inzwischen 135 Millionen Euro kosten. „Der Zustand des Schiffes erwies sich als deutlich schlechter als vermutet“, sagt der Sprecher des Marinekommandos in Rostock, Gunnar Wolff. „Um nur die größten Posten zu nennen: Alle Masten, Rahen, Stengen und der Bugspriet wurden beziehungsweise werden nachgebaut und ausgetauscht, große Teile der Außenhaut wurden erneuert, das Oberdeck und Zwischendeck wurden vollständig ausgetauscht, wie auch das Kartenhaus insgesamt erneuert wird.“ Außerdem wird der Dieselmotor ausgebaut und komplett überholt.
Ein tödlicher Sturz stellte das Schiff in Frage
Der Bund der Steuerzahler sprach von einem „Fass ohne Boden“. Nicht zum ersten Mal wurde darüber diskutiert, ob ein Neubau nicht günstiger käme. Bei einer Verschrottung wäre von dem Schiff nur Altmetall übrig geblieben. 1959 führte der erste Ausbildungstörn von Kiel nach Teneriffa. Als Botschafter in Weiß hat der 89 Meter lange Dreimaster mit seinen bis zu 45 Meter hohen Masten fortan die Weltmeere befahren. Der Offiziersnachwuchs der Marine - etwa 17.000 Männer und Frauen - hat auf ihm das seemännische Rüstzeug erhalten. Während der Törns gab es auch tragische Zwischenfälle wie den tödlichen Sturz der Kadettin Jenny Böken 2008 während einer Nachtwache in die Nordsee. Die Kieler Staatsanwaltschaft geht von einem tragischen Unglück aus. Die Todesumstände sind aber bisher nicht geklärt.
Ernsthaft in Frage gestellt wurde die „Gorch Fock“ nach dem tödlichen Sturz der Kadettin Sarah Seele 2010 aus der Takelage in Brasilien. Die Ausbildung wurde unterbrochen, die Zukunft als Schulschiff war zwischenzeitlich ungewiss. Es gab Klagen über angebliche Schikanen und unwürdige Rituale an Bord wie eine Wäscheleine im Maschinenraum, an dem Damen-Slips als Landgang-„Trophäen“ hingen.
Der Kapitän wurde beschuldigt - zu Unrecht
Vorschnell schasste der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zur Guttenberg (CSU) den Kommandanten Norbert Schatz und ordnete die Rückkehr des Schiffs an. Eine Untersuchungskommission der Marine kam aber zu dem Ergebnis, dass die Vorwürfe der Schikane, der sexuellen Belästigung und massiven Drucks auf Kadetten an Bord sich zum großen Teil als nicht haltbar erwiesen hätten. Schatz verzichtete aber auf eine Rückkehr an Bord.
Allen Vorfällen zum Trotz: Das Verteidigungsministerium bezeichnete die Bark immer wieder als wertvollen Bestandteil der seemännischen Tradition - selbst im Hightech-Zeitalter. Aktuell nutzt die Marine das rumänische Schwesterschiff „Mircea“ als Ersatz. Kommandant Brandt glaubt fest daran, dass „sein“ Schiff im Frühjahr endlich wieder im Wasser ist: „Unter dem Zelt ist schon eine Menge zu sehen.“ Etliche Stahl-Bauarbeiten im Bereich der Außenhaut und der Stahldecks seien bereits erfolgt. Der Rumpf ist zurzeit noch rostschutzrot.
Bis über 2040 hinaus soll sie fahren
Der weiße Anstrich, mit dem die „Gorch Fock“ wieder durch die Weltmeere gleiten wird, folgt aber noch. Brandt sehnt den Moment herbei, „wenn wir wieder mit den Kadetten an Deck stehend Kiel verlassen dürfen und unserem eigentlichen Auftrag nachkommen können“. Bis über das Jahr 2040 hinaus soll die „Gorch Fock“ dann durch die Meere gleiten.