Jork. Sommer Serie über Hamburgs Eilande, Teil 5: Hahnöfersand. Auf der einen Seite die JVA, auf der anderen Stille und Abgeschiedenheit.

Eine schmale Straße führt hinter dem Elbdeich in den Jugendknast. Zwei Möwen fliegen kreischend über die Borsteler Binnenelbe und dann weiter über Stacheldraht und Postenhaus. „Achtung Anstaltsgelände! Unbefugten ist das Betreten strengstens verboten“ steht warnend auf einem Schild.

Peter Vetter kennt die Regeln – und hat die Lizenz zum Betreten von Hahnöfersand. Der Diplom-Psychologe arbeitet seit mehr als einem Jahr als Anstaltsleiter auf dieser Insel, die durch Deich- und Straßenbau längst zur Halbinsel geworden ist, spezialisiert auf Jugendvollzug und Jugendarrest. Eine Enklave der Hamburger Justizbehörde in Niedersachsen, zu deren Verwaltungsvermögen gut die Hälfte des 1,6 Qua­dratkilometer großen Eilands gehört. Der Rest ist seit 2008 Naturschutzgebiet und steht unter der Obhut des Hamburger Umweltsenators. In Sichtweite erstreckt sich die grüne und wilde Naturschutzinsel Neßsand und weiter elbabwärts das Camperparadies Lühesand.

Die JVA hat rund 180 Mitarbeiter

Keine Hamburger Insel wird so gut bewacht wie Hahnöfersand. Dafür sind neben Peter Vetter rund 180 Mitarbeitende der Justizvollzugsanstalt (JVA HSand) in verschiedenen Bereichen zuständig. Nach der Schließung der „Teilanstalt Frauen“ umfasst der Jugendvollzug derzeit 150 Inhaftierte. Während sich für sie der wahre Reiz der Elbinsel vermutlich niemals erschließt, genießt Anstaltsleiter Vetter täglich seinen Arbeitsweg. „Ich kenne keinen schöneren“, sagt er.

Blick auf die Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand
Blick auf die Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Marcus Brandt

Mit dem Rad fährt er die Elbe entlang bis Blankenese. Danach setzt er mit der Hadag-Fähre zum Este-Sperrwerk über, und weiter geht es per Bike Richtung Hahnöfersand, die schmale Asphaltstraße lang, wo Klee und Disteln wuchern. „Morgens habe ich meist Gegenwind als Einstimmung auf den Arbeitstag“, sagt Vetter, der seit 2008 in der JVA Hahnöfersand in verschiedenen Leitungspositionen tätig ist.

Nach zwei Kilometern und zahlreichen Begegnungen mit Schafen, Hasen, Rehen und Hunderten Zugvögeln taucht schließlich sein Arbeitsplatz auf – keine „Trutzburg“, wie er sagt, sondern eine lockere und weitläufige Ansammlung von Zweckbauten unterschiedlichster Stile. Umzäunt und nicht ummauert, eingebettet in viel Natur. Neun Häuser stehen auf dem JVA-Gelände, zum Teil besteht Sanierungsbedarf.

1412 trennte eine Flut Hahnöfersand vom Festland

Peter Vetter steigt von seinem Fahrrad ab und sagt: „Es gibt bei uns Büros und Hafträume, aus denen Mitarbeiter wie Inhaftierte auf die Elbe und bis nach Blankenese schauen können. Das löst entweder Fern- oder Heimweh aus.“ Keiner hat die Kontraste der Gefängnisinsel Hahnöfersand besser beschrieben als der Schriftsteller Siegfried Lenz in seiner „Deutschstunde“. Die Hauptfigur des Romans, Siggi Jepsen, sitzt in einer Anstalt für schwer erziehbare Jugendliche ein – Hahnöfersand. Und beobachtet: „(...) schau ich zum Fenster hinaus, fließt da durch mein weiches Spiegelbild die Elbe; mach ich die Augen zu, hört sie nicht auf zu fließen, ganz bedeckt mit bläulich schimmerndem Treibeis.“

JVA Hahnöfersand – bei einem Teil der insgesamt neun Häuser besteht Sanierungsbedarf
JVA Hahnöfersand – bei einem Teil der insgesamt neun Häuser besteht Sanierungsbedarf © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Ursprünglich gehörte Hahnöfersand zum Festland, dem Alten Land. Bis die Cäcilienflut im November 1412 nicht nur rund 30.000 Menschen das Leben kostete, sondern auch Hahnöfersand von dem festen Land trennte. Womöglich geht auch darauf der illustre Inselname zurück: Bei dieser Sturmflut war es nur noch der Hahn auf der Kirchturmspitze, der über dem Sand herausragte (Hahnöfer Sand). 1902 zahlte der Hamburger Senat für den Erwerb des Eilands rund 250.000 Reichsmark an die preußische Domänenverwaltung. Anfangs diente es nur als Lagerstätte für den Sand aus dem Hamburger Hafen. Deshalb ist Hahnöfersand noch heute etwa acht Meter höher als das Niveau des Alten Landes.

1913 kamen die ersten Gefangenen auf die Marschinsel, im Ersten Weltkrieg folgten Hunderte russische Kriegsgefangene. 77 von ihnen starben bei einer Ruhr- und Skorbutepidemie. Für Anstaltsleiter Vetter ist dieser der Öffentlichkeit nicht zugängliche Inselfriedhof ein „schöner, leiser und melancholischer Ort“, den er häufiger aufsucht.

So ist Hahnöfersand wohl beides: Auf der einen Seite der Alltag in der Justizvollzugsanstalt. Und auf der anderen die Stille, Abgeschiedenheit und überschaubare Größe der 3,5 Kilometer langen und 700 Meter breiten Halbinsel in der Elbe. Wenn es nach dem Willen des Hamburger Senats geht, wird die Gefängnisinsel in den kommenden Jahren stillgelegt. Stattdessen soll es eine noch engere Zusammenarbeit mit Schleswig-Holstein geben.

Der Besitzer des Imbisses kennt alle seine Gäste

Bis dahin will ein Mann weitermachen, der seit 16 Jahren bei Wind und Wetter an der schmalen Asphaltstraße zum Jugendknast am Grill steht: Es ist ein Rentner aus Jork, der hier einen Imbisswagen betreibt und der seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen will. „Ich kenne alle hier“, sagt er und zeigt auf die JVA. „Staatsanwälte, Eltern von Inhaftierten, Rechtsanwälte, Handwerker, Vollzugsbeamte, Entlassene.“ Sie alle stärken sich mit Currywurst, Pommes und Majo für ihren Tag vor und hinter den Absperrungen von Hahn­öfersand.

Teil 6: Pagensand