Grünendeich. Sommer-Serie über Hamburgs Inseln, Teil 3: Lühesand. Auf dem 124 Hektar großen Eiland hat jeder Wasserblick – und vor allem Ruhe.

Es dauert nicht lange, bis alle in einem Boot sitzen: reiselustige Frauen, Insel-Gastronom Kai-Uwe Gosch und Fährmann Holger Blohm. Der 58-Jährige steht am Ruder seines Elbkahns „Smutje“ und legt ab. Eine frische Brise weht über den Strom, der sich vor Stade ins weite Alte Land ergießt. Kaum hat Blohms Boot Fahrt aufgenommen, ist der Törn vorbei. Nach vier Minuten und 350 Metern ist Schluss. Aussteigen!

Willkommen auf Lühesand, dem Camperparadies vor den Toren Hamburgs. Das 124 Hektar große Eiland, seit Jahrhunderten aus Elbsand geformt, bietet 18 Brutvogelarten, 36 Gallowayrindern und im Sommer 50 bis 60 Campern einen einzigarten Lebensraum.

Ein beliebter Sehnsuchtsort für Romantiker

Während die Elbinsel Neßsand für Besucher tabu ist und sich auf Hahnöfersand ein Gefängnis befindet, ist Lühesand Sehnsuchtsort regentauglicher Romantiker. Wo andere viel Geld für Luxusimmobilien an der Elbchaussee bezahlen, kostet das Leben hier nicht viel: rund 600 Euro pro Saison für einen Camingwagen-Stellplatz, Elbblick inklusive. Bei Schietwetter sogar bis zum Abwinken.

Es ist einer der wenigen warmen Sommertage, an denen TÜV-Prüfer Ralf Krauth (60) in kurzen Hosen und T-Shirt vor seinem Wohnwagen und einer bis zum Rand gefüllten, blauen Regentonne sitzt und die Sonne genießt. „Das“, sagt er, „ist meine Elbchaussee“, wobei er mit weitem Blick, erkennbarem Stolz und seiner rechten Hand auf die Stromelbe zeigt, die keine 60 Meter vor ihm gemächlich Richtung Nordsee fließt. Seit 32 Jahren gehört er mit seiner Familie zu den Campern auf Lühesand, deren mobile Heime im Frühjahr mit einer von Blohms Fähren auf die Insel gebracht und im Herbst wieder an Land gehievt werden. Der Grund: Sturmflutgefahr und eisige Winter. Was immer mit Abschiedsschmerz verbunden ist. Ralf Krauths Wohnwagen stand erst jahrelang im Inselinneren. Doch als dieser Premium-Stellplatz am Wasser frei wurde, zögerte er nicht lange und zog, samt Solaranlage, in unmittelbare Ufernähe. Von einer Anhöhe aus kann er Tag und Nacht nun auf die großen und kleinen Pötte schauen, die den Hafen ansteuern und verlassen. „Schöner kann man es nicht haben.“

Von hier aus geht’s rüber: Treffpunkt Sandhörn, gegenüber Lühesand
Von hier aus geht’s rüber: Treffpunkt Sandhörn, gegenüber Lühesand © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Auch die anderen Camper und die Bewohner der wenigen festen Holzhäuser wissen die Vorzüge der 3,4 Kilometer langen und 550 Meter breiten, autofreien Insel zu schätzen. Dazu gehört nicht nur die enge Gemeinschaft der Insulaner, sondern auch der beträchtliche Abstand vom Nachbarn: Jeder Wohnwagen ist so weit vom anderen entfernt, dass der Eindruck eines Touristen-Camps erst gar nicht entsteht.

Viel Platz für Camper: Rund 20 Stellplätze  sind derzeit noch frei
Viel Platz für Camper: Rund 20 Stellplätze sind derzeit noch frei © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Es seien sogar noch Stellplätze frei, sagt Holger Blohm. Ohne ihn, den Fährmann, läuft auf Lühesand nichts. Seit 36 Jahren macht er diesen Job. Doch nicht nur das: Er setzt als Campingplatz-Pächter eine Familientradition fort. Sein Vater Heinrich hatte die Fläche beim Land Niedersachsen gepachtet und später dort ein Haus gebaut. Sein Sohn Holger verbrachte hier seine Kindheit, die Insel ist sein Zuhause. „Im tiefen Winter bin ich manchmal über das Eis der gefrorenen Elbe in die Schule gegangen.“

In seinem Elternhaus befindet sich heute der Inselgasthof, in dem gerade die Ausflüglergruppe eintrifft. Die Gäste nehmen auf der Terrasse Platz und bestellen Kibbelinge, frisch frittiertes Fischfilet. Jahrelang arbeitete Holger Blohm außerdem als Koch und Gastronom, sein Bauernfrühstück ist legendär. Aber die ganze Arbeit wurde ihm zu viel, sodass jetzt ein neuer Pächter den Betrieb managt.

Gastronom Kai-Uwe Gosch (l.) und  Camper Ralf Krauth
Gastronom Kai-Uwe Gosch (l.) und Camper Ralf Krauth © Edgar Hasse | Edgar Hasse

Es ist Kai-Uwe Gosch, Unternehmensberater aus Grünendeich und weder verwandt noch verschwägert mit Sylts „Fischpapst“. Er begrüßt die Gäste, während seine Frau in der Küche hantiert. Manchmal, sagt er, kommen viele Besucher nach Lühesand, schließlich fährt die Fähre mehrmals am Tag. Aber bei schlechtem Wetter machen sich die Gäste rar. Dann haben die Camper das Eiland für sich. Vor gut 100 Jahren bestand Lühesand noch aus zwei Teilen, aber Natur und Bagger spülten immer wieder Sand an, bis die heutige Insel geformt wurde. Während der feine Sandstrand längst durch Erosion abgetragen wurde, hat das Landschaftsschutzgebiet auf Lühesand mit seinen 102 Hektar seit 1982 Bestand. Zwar nagen Wind und Wetter an dem Land, auf dem Weiden wachsen, Rehe, Füchse, Dachse, Wiesel und Marder leben. Aber im Süden grasen neuerdings Galloway-Rinder. Die Tiere sollen Büsche und Bäume im Zaum halten.

Europas höchste Hochspannungsmasten

Camper Ralf Krauth schnappt sich gerade einen Campingstuhl, Schiffe gucken direkt am Strom. Dass auf Lühesand Europas höchste Hochspannungsmasten stehen, stört ihn nicht. Die 187 und 226 Meter hohen Bauwerke prägen freilich das Antlitz der grünen Insel. „Für mich ist die Ruhe hier entscheidend“, sagt er.

Wie alle anderen Camper wird er bis zum Herbst auf der Insel bleiben. Dann aber müssen sie mit ihren Wohnwagen das Eiland komplett räumen. Im Frühjahr werden sie zurückkehren, voller Hoffnung auf einen besseren Sommer als diesen.

So geht es zur Insel

Die Anfahrt zum Ableger erfolgt am besten bis nach Grünendeich. Vor dem Imbiss Sandhörn befinden sich Parkplätze. Hinter dem Deich fährt die Fähre ab, beispielsweise um 12 Uhr. Weitere Informationen zu den Fahrplänen unter www.luehesand.de

Ansprechpartner für das Inselgasthaus und den komplett eingerichteten Mietwohnwagen sind Iris und Kai-Uwe Gosch, Tel. 04142/ 880 04 41. Ansprechpartner für Fähre und Campingplatz: Holger Blohm, Tel. mobil 0178/ 350 81 37.

Auf der Insel werden Solarstrom und Gas genutzt. Öffentliche Toiletten und Duschräume sind vorhanden.

Nächste Folge:
Neßsand – die verbotene Insel