Kiel. Er ist frustriert und tief enttäuscht, auch von der SPD. Mit dem Rückzug ins Privatleben hat er dennoch bis nach der NRW-Wahl gewartet.

Am Ende geht es ganz fix. Fünf luftige Sätze, per E-Mail verschickt: Torsten Albig macht den Laden zu und die Schotten dicht. Nein, es gibt keine weiteren Erklärungen zum Rücktritt des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten. Nein, Albig will jetzt nicht sprechen. Schon gar nicht mit Journalisten.

Es ist ein Rückzug voller Bitterkeit. Er folgt einer bitteren Niederlage und einem einigermaßen erstaunlichen Umgang mit dieser Niederlage. Die SPD hatte bei der Landtagswahl am 7. Mai alle Wahlziele verfehlt. Die Küstenkoalition­, die Albig selbst vor fünf Jahren gebildet hatte, wurde ab­gewählt.

Waren Äußerungen über seine Frau schuld?

Der Sündenbock war schnell gefunden, auch die Bundes-SPD konnte sich rasch darauf einigen. Albig war es. In einem Interview mit dem Magazin „Bunte“ hatte er sich in missverständ­licher Weise über seine Frau geäußert, von der er sich getrennt hatte. Er habe mit ihr „nicht mehr auf Augenhöhe“ sprechen können, sagte er. In vielen Medien wurde das hämisch kommentiert. Dieser arrogante Kerl, guck mal an: Das war ein Bild, das sich festsetzte.

Dabei hätte man die Geschichte auch ganz anders lesen können. Es sei auch seine Schuld gewesen, dass die Ehe gescheitert sei, hatte Albig gesagt, er hätte sich mehr kümmern müssen.

Presseexperte auf medialem Schlingerkurs

Doch er drang damit nicht durch. Wie so oft nicht. Der Mann, der jahrelang als Pressesprecher gearbeitet hatte, irritierte immer öfter mit seinen Ausflügen in die Medien. Mal schlug er seiner Partei vor, bei der nächsten Bundestagswahl auf einen Kanzlerkandidaten zu verzichten – gegen Angela Merkel von der CDU habe man ohnehin keine Chance. Dann wieder brachte er einen Schlagloch-Soli ins Spiel – eine Zwangsabgabe für Autofahrer, mit der die Straßen saniert werden sollten.

Diesen medialen Schlingerkurs setzte er im Umgang mit seinem Privatleben fort. Ja, er hatte sich von seiner Frau getrennt. Er lebte mit einer neuen Partnerin zusammen: der Werbeagentur-Inhaberin Bärbel Boy. Geht das die Öffentlichkeit etwas an? Albig fand zunächst: eigentlich nicht. Aber Kieler Medien hatten es spitzgekriegt und wollten es unbedingt berichten. Also ließ Albig sich zu einem Interview breitschlagen. Er hatte das Gefühl, dazu gezwungen worden zu sein. Die „Kieler Nachrichten“ hatten im Januar 2016 ihre Schlagzeile: „Ministerpräsident hat eine neue Liebe.“

SPD-Konzept sah auch "Landesmutter" vor

Im Wahlkampf fuhr Albig die Zahl der gemeinsamen Auftritte mit seiner neuen Lebensgefährtin deutlich hoch. Das Konzept der SPD sah vor, dem Ministerpräsidenten als Landesvater zu präsentieren – da durfte eine „Landesmutter“ nicht fehlen. Bärbel Boy spielte mit. Mit Marketing kennt sie sich aus. In einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt erhob Albig diese plötzliche Öffnung seines Privatlebens in den Rang einer Notwendigkeit. „Wir sind nicht Teil eines abgehobenen Systems, sondern Bürger mit einer besonderen Funktion auf Zeit“, sagte er. „Wenn wir das nicht deutlicher machen, untergraben wir die Legitimität unserer repräsentativen Demokratie. Dafür müssen wir aber auch die Menschen hinter den Politikern zeigen.“

Das war sicher ein diskutabler Gedanke. Nur wirkte es, als ob hier jemand gerade aus einer Not eine Tugend gemacht hat. Denn im Grunde sind Albig solche Werbe-Auftritte fremd. Sein Metier ist die Politik.

Verlust von Mehrheit und Parteisolidarität

Und da hatte er durchaus etwas vorzuweisen. Die erste Regierungs­koalition mit Beteiligung des SSW und der Grünen funktionierte reibungslos. Albig ließ den Ministern viel Freiheiten. Die Steuereinnahmen sprudelten, viele Probleme wurden mit Geld gelöst. Die Schleswig-Holsteiner waren zufrieden, im Land zwischen den Meeren war von einem „Wind of Change“ nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil: Es herrschte Wechselstimmungsflaute.

Umso härter war das Wahlergebnis. Albig verlor gleich doppelt: Die Mehrheit war weg, die Parteisolidarität ebenso. Mit Verbitterung beobachtete er, wie ihm die Schuld an der Nieder­lage zugeschoben wurde. Eine Woche lang schwieg er eisern. Er hatte im SPD-Bundesvorstand versprochen, seinen Rückzug erst nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen bekannt zu geben. Albigs Parteisolidarität.

„Spiegel“ nimmt sich Wahlverlierer zur Brust

Am vergangenen Wochenende nahm sich dann das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ den Wahlverlierer noch einmal zur Brust. Bärbel Boys Agentur vertrete den Lokomotivenhersteller Bombardier, und Bombardier bewerbe sich um einen millionenschweren Triebzug-Auftrag des Landes Schleswig-Holstein. Das erwecke den „Verdacht von Korruption und Patronage“, schreibt das Blatt. Es vergisst dabei zu erwähnen, dass das Ausschreibungsverfahren noch läuft, dass noch bis Ende des Jahres Angebote abgegeben werden können, dass ohnehin nicht der Ministerpräsident, sondern das Parlament entscheidet, welches Angebot zum Zuge kommt – und dass allemal Torsten Albig mit der Entscheidung nichts zu tun haben wird. Denn der war ja soeben abgewählt worden.

Albig fand den Artikel schäbig. Und hört nun nicht nur als Ministerpräsident auf, sobald ein Nachfolger gewählt ist, sondern tritt auch sein Landtagsmandat nicht an. Er wolle „jedweder ehrverletzenden Unterstellung der Vermischung öffentlicher und privater Interessen den Boden entziehen“, schreibt er in seiner Erklärung. Es ist eine Entscheidung gegen die Politik. Und für die Lebensgefährtin.