Kiel. AfD-Demo in Norderstedt wird kaum beachtet. 1500 Menschen bei Merkel-Auftritt in Eckernförde. News-Blog zum Wahlkampf.
Die Endphase des Wahlkampfs im Norden ist eingeläutet. Am kommenden Sonntag wird in Schleswig-Holstein gewählt und es könnte durchaus ein spannender Wahlkrimi werden – mit offenem Ausgang. In Umfragen hatte die regierende Küstenkoalition aus SPD, Grünen und SSW unter Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) zuletzt keine Mehrheit mehr. Obwohl Demoskopen schon seit Monaten behaupten, es gebe eigentlich keine Wechselstimmung, taucht nun also plötzlich doch das Wort „Machtwechsel“ an den Gestaden des meerumschlungenen Bundeslandes auf.
Rund 30 Prozent der Wähler sind noch unentschlossen, manche entscheiden sogar erst in der Wahlkabine, wo sie ihr Kreuz machen. Der Anteil dieser bis zuletzt Suchenden wird von Wahl zu Wahl größer, sagen Demoskopen. In den letzten Stunden vor Öffnung der Wahllokale wollen alle Parteien und ihre Kandidaten daher noch einmal Vollgas geben, um bei den Wählern zu punkten. Allen voran Albig für die regierende SPD und sein Herausforderer Daniel Günther, der die aus der Opposition kommende CDU wieder in die Regierung führen will. Beide absolvieren am Freitag und Sonnabend eine Reihe von Wahlkampfterminen im Norden. Das Abendblatt berichtet über alle Entwicklungen im News-Blog.
Angela Merkel hat für die AfD nur ein müdes Lächeln übrig
Angela Merkel kann Wahlkampf. Kunststück – die Frau ist erfahren darin wie kaum eine andere. Auf der Waldbühne im Norderstedter Stadtpark, wo sie am Freitag gemeinsam mit dem schleswig-holsteinischen CDU-Spitzenkandidaten Daniel Günther und der Norderstedter Landtagsabgeordneten Katja Rathje Hoffmann das Ende des Landtagswahlkampfes der Christdemokraten markiert, weiß sie genau, wie sie die Norderstedter an diesem nass-kalten Abend für ihre Politik erwärmen kann. „Norderstedt ist ein Schmuckstück in Schleswig-Holstein. Das müssen die in Kiel mal kapieren“, sagt Merkel energisch.
„Was glauben sie denn, mit welcher Partei es Schleswig-Holstein besser gehen wird?“, fragt sie die Runde an der Waldbühne. Und irgendeiner kräht „AfD!“, wofür Merkel nur ein müdes Lächeln übrig hat. Die Rechtsnationalen hatten sich an die Merkel-Show im Stadtpark angewanzt und eine klägliche Kundgebung vor dem Parkplatz des Stadtparks abgehalten. Ihre einzigen Zuschauer waren die Gegendemonstranten von Grünen, Linken, Jusos und dem Sozialen Zentrum. Auf der Waldbühne wird der Krakeeler von der Mehrheit weggeklatscht. Merkel stärkt Günther vehement den Rücken, als den Ministerpräsidenten, der das Land wieder voranbringen werde, der die A 20 fertig baue und dazu Kitas und Schulen, der außerdem für mehr Sicherheit und Wohlstand im Land sorgen werde.
1500 Menschen bei Merkel-Auftritt in Eckernförde
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat kurz vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein für einen Regierungswechsel im Norden geworben. Dafür sei es am Sonntag nötig, dass die CDU klar vor der SPD liege, sagte Merkel auf einer Wahlkampfveranstaltung am Freitagnachmittag in Eckernförde. Herausforderer Daniel Günther griff die Regierung von Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) scharf an. „Wir haben alle Chancen, einen Regierungswechsel zu schaffen“, sagte der 43-Jährige. Zu der Kundgebung kamen nach Polizeiangaben etwa 1500 Menschen.
Ärger um Wahlschein-Foto von Ex-Innenminister
Die Stimmen des früheren schleswig-holsteinischen Innenministers Andreas Breitner werden bei der Landtagswahl einem Medienbericht zufolge nicht gewertet. Der frühere Spitzenpolitiker der SPD habe ein Foto seiner ausgefüllten Briefwahlunterlagen bei Facebook gepostet, weshalb der Wahlleiter den Stimmzettel nicht anerkennen wolle, berichtete der schleswig-holsteinische Zeitungsverlag (sh:z) in seiner Onlineausgabe.
Landeswahlleiter Tilo von Riegen teilte demnach mit, wer gegen die Geheimhaltung der Wahl verstoße, dessen Stimmabgabe könne nicht einbezogen werden. Auch Briefwahlunterlangen müssten unbeobachtet gekennzeichnet und in den Umschlag gelegt werden, schreibt der sh:z unter Berufung auf die Landeswahlordnung.
Breitner zeigte sich laut sh:z überrascht: „Das habe ich nicht gewusst“, wird der heutige Chef des Verbands Norddeutscher Wohnungsunternehmen zu seinem Fauxpas zitiert. „Shit happens.“
Nord-Grüne halten an Koalition mit SPD und SSW fest
Vor der Landtagswahl haben sich die Grünen trotz des Umfragetiefs der SPD klar zu einer Neuauflage des Regierungsbündnisses mit den Sozialdemokraten und dem SSW bekannt. „Wir stehen für diese Küstenkoalition“, sagte Spitzenkandidatin Monika Heinold am Freitag in Kiel. „Wir wollen sie mit starken Grünen fortsetzen.“ Die letzten Umfragen sahen für die jetzige Koalition aber keine Mehrheit. Die Grünen stehen demnach bei 12 Prozent. „Da geht noch mehr“, sagte Heinold.
Bei der kleinen Wahlkampfrunde in der Kieler Innenstadt fehlte der angekündigte Umweltminister Robert Habeck, weil er auf der A7 im Stau stand. „Auch im Stau stehen ist Teil dieses Wahlkampfes“, sagte Heinold. Sie rief die anwesenden gut zwei Dutzend Wahlkämpfer auf, bis zur letzten Minute um Stimmen für die Grünen zu werben. Dabei sollten sie besonders junge Menschen ansprechen und zur Stimmabgabe motivieren: „Gerne Disco bis in den frühen Morgen, aber danach zur Wahl“, sagte Heinold.
Albig erwägt "Plan B" zu Küstenkoalition
Trotz der jüngsten Umfrageeinbußen hält Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) an seiner Koalitionsaussage für ein Bündnis mit Grünen und SSW fest. „Wir wollen genau die Koalition fortsetzen, die wir haben“, sagte Albig am Freitag im ARD-„Morgenmagazin“. Dies sei der Plan A. Über etwaige andere Bündnisse wie eine große Koalition mit der CDU von Spitzenkandidat Daniel Günther oder ein Dreierbündnis mit Grünen und FDP will er frühestens nach der Landtagswahl ab Sonntagabend um 18 Uhr diskutieren. Albig betonte: „Natürlich haben wir einen Plan B.“
CDU-Spitzenkandidat Daniel Günther forderte Albig auf, den „Plan B“ offenzulegen. „Die Menschen haben einen Anspruch darauf, vor der Wahl zu erfahren, mit welcher Partei Albig sein Amt retten würde“, sagte Günther. Dies erst nach Schließung der Wahllokale zu tun, wäre eine Missachtung der Wähler. Weder Albig noch SPD-Landeschef Ralf Stegner hätten eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausgeschlossen, äußerte Günther. „Das heißt doch: Um an der Macht zu bleiben, holt die SPD selbst die Linkspartei in die Regierung. Mit Radikalen regiert man nicht.“ Die CDU werde das verhindern.
Merkel auf Stippvisite in Hamburg
Vor ihren beiden Wahlkampfauftritten in Eckernförde und Norderstedt machte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitagmittag in Hamburg Station. Die Kanzlerin war auf Einladung des Überseeclubs in die Hansestadt gekommen und hielt vor mehreren Hundert prominenten Gästen ein 25-minütiges Plädoyer für Freihandel und internationale Zusammenarbeit und gegen Abschottung und Nationalismus. Im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel im Juli bat sie die Bürger der Stadt „für Unannehmlichkeiten um Verständnis“. Sie wisse, dass es auch Einschränkungen geben werde, aber sie nehme „auch Vorfreude“ wahr.
AfD plant Kundgebung gegen Merkel-Besuch
Emotionen wecken und Bilder liefern: Das jedenfalls ist das Ziel der Kandidaten in den letzten Stunden vor der Wahl. Dabei holen sich die Spitzenkandidaten der Parteien prominente Unterstützung: CDU-Kandidat Daniel Günther begrüßt am Freitag seine Parteifreundin Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin wird am Nachmittag zunächst in Eckernförde (16 Uhr) und wenig später in Norderstedt auftreten (18 Uhr, Waldbühne im Stadtpark). Erwartet wird, dass sich Merkel zu Verkehrsprojekten, Bildung und Flüchtlingspolitik äußern wird.
Die Alternative für Deutschland (AfD) will beim Merkel-Besuch gegen die Politik der Kanzlerin demonstrieren. Heiko Evermann, AfD-Kandidat im Norderstedter Wahlkreis, kommt zusammen mit den Landesvorsitzenden Jörg Nobis (Schleswig-Holstein) und Leif Erik Holm (Mecklenburg-Vorpommern) sowie dem Bundestagskandidaten Bruno Hollnagel nach Norderstedt. Die AfD darf jedoch nur auf der Straße vor dem Stadtpark protestieren. Auch zahlreiche AfD-Gegner werden erwartet. Die Polizei hat für diese Lage ihre Kräfte entsprechend verstärkt.
Schulz zeigt sich zuversichtlich
Auch die SPD will noch einmal alles in die Waagschale werfen, um am Sonntag stärkste Kraft zu werden. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zeigte sich bei seinem Besuch im Norden am Donnerstag ungeachtet der auch bundesweit nachlassenden Umfragewerte zuversichtlich. Der Ministerpräsident habe eine „zukunftsgewandte Haltung“, und er gehe davon aus, dass es den Menschen im Land wichtig sei, dass er bleibt, sagte Schulz. „Die SPD hat mich vor 100 Tagen nominiert, da lag die Partei bei 20 Prozent, wir liegen heute in den Umfragen bei 29, 30. Wenn in den nächsten 100 Tagen die Entwicklung so weitergeht, bin ich zufrieden.“ Entscheidend für ihn sei, dass die SPD wieder an Selbstbewusstsein gewonnen habe. Für Schulz standen am Donnerstag Termine in Husum, Flensburg, Kiel und Lübeck auf dem Programm.
Liberale planen „50-Stunden-Wahlkampf“
Auch die anderen Parteien wollen bis zur Öffnung der Wahllokale am Sonntag kämpfen. Die Jungen Liberalen planen von Freitag an einen „50-Stunden-Wahlkampf“. Der Fraktionschef und Spitzenkandidat der FDP, Wolfgang Kubicki, will am Morgen des Wahlsonntags frische Brötchen an Haustüren verteilen und darum bitten, zur Wahl zu gehen. Für die FDP erwarte er ein Wahlergebnis von „10 Prozent plus“, sagte Kubicki zuletzt. Eine so positive Stimmmung für die FDP habe er seit 1990 nicht mehr in einem Wahlkampf erlebt.
Umfrage sieht CDU vor SPD
In dem am Donnerstagabend veröffentlichten ZDF-„Politbarometer Extra“ liegt die CDU unverändert mit 32 Prozent vor der SPD, die im Vergleich zur Vorwoche einen Punkt auf 29 Prozent einbüßt. Die FDP legt um zwei Punkte auf 11 Prozent zu. Die Umfragewerte von Grünen (12 Prozent), AfD (6 Prozent) und Südschleswigschem Wählerverband SSW (3 Prozent), der von der Fünf-Prozent-Hürde ausgenommen ist, bleiben im Vergleich zur Vorwoche unverändert. Die Linke büßt einen halben Prozentpunkt auf 4,5 Prozent ein. Viele (35 Prozent) sind der Umfrage zufolge noch unsicher, ob und wen sie wählen wollen.
Bei der Frage, wen man lieber als Ministerpräsidenten hätte, verfügt der SPD-Kandidat und Amtsinhaber Torsten Albig mit 43 Prozent (minus 3 im Vergleich zur Vorwoche) nur noch über einen Vorsprung von sieben Prozentpunkten vor seinem Herausforderer von der CDU. Daniel Günther kommt auf 36 Prozent (plus 5).
Sollte die jetzige Koalition in Kiel am Sonntag eine neue Mehrheit verpassen, kämen eine Ampel aus SPD, FDP und Grünen, ein „Jamaika“-Bündnis aus CDU, FDP und Grünen oder eine Große Koalition in Frage.