Kiel. Ministerpräsident Torsten Albig über die Wahl 2017, Terrorangst und warum Wolfgang Kubicki den Steuerzahlern schadet.

Er ist auf der Zielgeraden – und er steht zugleich auf der Startrampe: Torsten Albig (53), Schleswig-Holsteins Ministerpräsident, sieht dem Ende der Legislaturperiode entgegen. Im Mai wird hier gewählt. Der Sozialdemokrat tritt erneu­t an. Am liebsten würde er seine Koalition mit SSW und Grünen fort­setzen. Sie hat trotz ihrer knappen Ein-Stimmen-Mehrheit besser funktioniert, als viele politische Beobachter eingangs vermutet hatten. Die Küstenkoalition überstand zwei Ministerrücktritte und ein paar kleinere Krisen relativ unbeschadet. Dennoch hat sie in Umfragen derzeit keine Mehrheit. Albig hofft, das im jetzt beginnenden Wahlkampf ändern zu können. Wie gesagt: Er steht auf der Startrampe.

Stimmt unser Gefühl, dass zwischen Hamburgern und Schleswig-Holsteinern gerade ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht?

Torsten Albig: Ja. Wir Schleswig-Holsteiner lieben unsere Perle Hamburg und die Hamburger das schönste Bundesland der Welt. Anders als früher begegnet man sich jetzt auf Augenhöhe. Wir haben dem jeweils anderen viel zu bieten – und das auf ziemlich hohem Niveau. Das schätzen wir aneinander. In Schleswig-Holstein gibt es Gewerbeflächen, bezahlbare Wohnungen, gute Schulen und Infrastruktur und immer wieder atemberaubend schöne Natur. In Hamburg Theater und Konzerte auf Weltklasse-Niveau und Sport, mit dem auch wir im echten Norden von Herzen mitleiden. Gemeinsam haben wir etwas, das es in Europa nicht oft gibt: ländliche Urbanität.

Wie weit strahlt Hamburg ins Umland aus?

Albig: Die Menschen sind mobil. Ich bewege mich aus Schleswig-Holstein nach Hamburg ja oft viel schneller, als man es in Hamburg schafft. Eine Stunde Fahrt ist für viele vollkommen in Ordnung. Das heißt: Hamburgs Attraktivität reicht bis nach Kiel. Die Hamburger Theater, der Hamburger Sport, das Hamburger Leben sind ebenso unsere Welt. Umgekehrt gilt das für unsere vielen schönen Orte, an denen Hamburger die Seele baumeln lassen können.

Die Schleswig-Holsteiner sind, wenn man Umfragen glauben darf, glücklich. Dem Land geht es ziemlich gut. Wenn Olaf Scholz da Ministerpräsident wäre, würde er wahrscheinlich – wir übertreiben jetzt mal ein bisschen – bei 60 Prozent liegen. Warum liegen Sie, warum liegt die SPD in Schleswig-Holstein in der letzten Umfrage nur bei 26 Prozent?

Albig: Es ist etwas anderes, ob sie in einer Stadt gewählt werden oder in einem Flächenland. Als Kieler Oberbürgermeister habe ich von 27 Wahlkreisen 25 gewonnen. Das ist doch Scholz-Niveau, oder? (lacht). Schleswig-Holstein ist ein immer noch eher konservatives Land. Es ist historisch eigentlich nicht zu erwarten, dass es uns Sozialdemokraten immer wieder gelingt, die Landesregierung zu stellen. Wir müssen uns das immer sehr hart erkämpfen, wir müssen immer doppelt so gut sein wie die anderen. Zum Glück sind wir das aber auch.

Sie müssten doch nach fünf Jahren als Ministerpräsident zumindest vom Amtsbonus profitieren ...

Albig: Das werde ich auch. Ein konservatives Land zeichnet sich dadurch aus, dass die Menschen Verlässlichkeit wollen. Und einen Ministerpräsidenten, der in seinem Leben schon etwas geleistet hat. Deswegen hat jemand, der seinen Job als Ministerpräsident gut macht, gute Chancen, wiedergewählt zu werden. Und wie Sie zu Recht sagen, haben wir unseren Job als Regierung ganz ordentlich gemacht. Mein Ziel für die Wahl im Mai ist es, dass wir stärkste Partei werden. Ich rechne mit gut 32 Prozent für die SPD.

Wenn Schleswig-Holstein so konservativ ist, warum tut sich die CDU dann so schwer, den richtigen Spitzenkandidaten zu finden?

Albig: (lacht) Ja, das scheinen die Christdemokraten hier zum Geschäftsmodell zu machen: Ihre Spitzenleute kurz vor einer Wahl gern mal auszutauschen. Aber bitte, jeder, wie er möchte. Aber machen wir uns nichts vor: Anders als bei einer Bürgermeisterwahl geht es bei uns nicht nur um Albig gegen Günther, sondern mindestens genauso stark um SPD gegen CDU. Und die CDU ist mit ihrer tiefen Verwurzelung im Land ein starker Gegner, den wir nie unterschätzen dürfen. Auch wenn die Spitzenleute sich bekämpfen, hat die Union in der Fläche starke Bürgermeisterinnen und Bürgermeister oder Landräte. In einer Stadt wie Hamburg sieht das anders aus. Hier lässt sich auch ganz anders Wahlkampf machen. Olaf Scholz kann durch seine Präsenz in der Stadt so etwas wie einen permanenten Wahlkampf machen. Da kommt man schnell mal vom Rathaus nach Rahlstedt. Auch medial. Zwischen Niebüll und Schwarzenbek, zwischen Brunsbüttel und Fehmarn ist das nicht ganz so einfach.

Ihr Dreierbündnis mit Grünen und SSW ist laut Umfrage weit entfernt von der Regierungsmehrheit. Wie wollen Sie gewinnen?

Albig: Wenn die SPD die 32 Prozent erreicht, dann haben wir die Mehrheit. Um das zu schaffen, werden wir insbesondere auch im Hamburger Umland viel unterwegs sein. Hier und in den Städten wird unsere Wahl entschieden. Olaf Scholz wird mich in den nächsten Monaten dabei massiv unterstützen. Er ist im Umland absolut populär. Wenn ich mit meinen Reinbeker Freunden spreche, dann sagen sie, dass sie gefühlt in Hamburg leben. Viele Reinbeker würden auf die Frage, wer ihr Regierungschef sei, wahrscheinlich antworten: Das ist Olaf Scholz. Sie sehen ja auch, weil sie viel in Hamburg unterwegs sind, seine Plakate viel häufiger als meine. Olaf Scholz ist der bestmögliche Wahlkämpfer, und er macht das auf eine großartige Art und Weise. Am 6. Februar starten wir in Pinneberg zusammen in den Wahlkampf.

Wann werden die Schleswig-Holsteiner in den Genuss eines kostenlosen Kindergartenplatzes kommen?

Albig: Wir sind jetzt endlich auf diesem Weg. Und wir werden ihn konsequent weitergehen. Wir wollen den 100-Euro-Zuschuss, den es seit Jahresbeginn für Kinder unter drei Jahren gibt, jedes Jahr auf den jeweils nächsten Jahrgang ausweiten. Wenn wir mit dem letzten Jahrgang durch sind, fangen wir wieder unten an und erhöhen Jahr für Jahr auf 200 Euro. Und so weiter, bis wir die Kitas wie in Hamburg gebührenfrei haben. Es wird wohl noch gut ein Jahrzehnt dauern. Wenn die Haushalte es hergeben, geht es vielleicht auch ein wenig schneller.

Das klingt schön. Aber was passiert, wenn Ihnen demnächst die Rechnung für die HSH Nordbank präsentiert wird?

Albig: Bei der HSH sind in der Vergangenheit viele Fehler gemacht worden. Nichts davon ist rückgängig zu machen. Olaf Scholz und ich haben jetzt die Aufgabe, die Probleme zu bereinigen. Wir müssen die Bank so geräuschlos und bruchlos wie möglich in eine neue Struktur führen. Wenn es gut läuft, kriegen wir die Schäden für die Steuerzahler minimiert. Die Reeder haben uns gesagt: Bitte behaltet bei der Bank Ruhe und Augenmaß. Irgendwann werden die Frachtraten wieder nach oben gehen. Wenn es schlecht läuft, dann wird das nicht nur den Landeshaushalt, sondern auch den Bund und die EU betreffen – weil die Summe zu groß ist. Da reden wird dann über bis zu 16 Milliarden Euro für die beiden Bundesländer zusammen. Sicher ist, dass jede negative Pressemeldung zur HSH Nordbank dem Steuerzahler schadet.

Sie spielen auf FDP-Chef Wolfgang Kubicki an. Kann man mit ihm koalieren?

Albig: Es ist unverantwortlich, was er macht. Jemand, der Regierungsverantwortung übernehmen wollte, würde sich so nicht verhalten. Ich entnehme dem, dass er es offenbar nicht will.

Welche Rolle spielt das Thema Terrorismus in Ihrem Wahlkampf? Da hat die SPD ja nicht gerade ihre Kernkompetenz.

Albig: Das wird ein wichtiges Thema sein. Ich kann für mein Land zeigen, dass wir die Sicherheitslage beherrschen. Wir haben zusätzliche Polizisten eingestellt – bis zum Limit dessen, was wir ausbilden können. Und wir haben Täter recht­zeitig identifiziert und aus dem Verkehr gezogen. Hätten wir denen zur Unzeit Fußfesseln angelegt, wäre das nicht gelungen. Weil ich dann gar nicht die Hinweise bekommen hätte, die zur Festsetzung geführt haben.

Das war ein Tipp für Ihren Parteifreund Maas, den Bundesjustizminister, der den Einsatz von Fußfesseln forcieren will­ ...

Albig: Nein, es zeigt nur die Schwierigkeit der Debatte. Mutmaßliche Täter früh zu identifizieren, ist ja nur ein Aspekt des Themas. Mit der Fußfessel wird mög­licherweise auch erschwert, dass die Behörden weitere Hinweise bekommen. Ich möchte da nur die Erwartungen etwas dämpfen, dass die Fußfessel quasi ein Allheilmittel im Kampf gegen den Terrorismus ist. Ich traue mir zur, beim Thema Innere Sicherheit und beim Thema Flüchtlinge auch gegen eine sehr populistische Auffassung bestehen zu können. Ich passe auf, dass solche Leute keinen Schindluder treiben, aber ich weiß auch, dass 99,9 Prozent der Menschen, die zu uns kommen, keine Verbrecher sind. Sondern sie flüchten vor Verbrechen. Und mit diesen Menschen gehen wir vernünftig und human um. Die Zivilgesellschaft in Schleswig-Holstein hat in den letzten beiden Jahren in einer wirklich beeindruckenden Art eine große integrative Kraft gezeigt.

Was halten Sie von dem Vorschlag des Bundesinnenministers, ausreisepflichtige Gefährder in Haft zu nehmen?

Albig: Zunächst einmal haben wir ja bei Gefährdern, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die damit ausreisepflichtig sind, die Möglichkeit, sie bis zu 18 Monate in Abschiebehaft zu nehmen. Das sollten wir auch tun. Sollte es jedoch um eine Ausweitung des Rechts auf alle Gefährder generell gehen, wäre dies ein rechtsstaatlich nicht unproblematischer Vorschlag. Er beschreibt einen Haftgrund für jemanden, der noch keine Straftat begangen hat, der aber in Verdacht steht, es demnächst zu tun.

Um in Schleswig-Holstein auf 32 Prozent zu kommen, muss die SPD auch im Bund noch ordentlich zulegen. Muss Sigmar Gabrie­l jetzt Kanzlerkandidat werden?

Albig: Ich wünsche mir, dass er es wird. Wir als SPD sollten den Spekulationen Ende des Monats ein Ende bereiten.