Hamburg. Vor 25 Jahren schlossen Schleswig-Holstein und Hamburg eine Vertragsgemeinschaft. Der „Nordstaat“ schien nur noch eine Frage der Zeit.

Das Hamburger Abendblatt sprach von der „höchsten Stufe unterhalb einer Länderneugliederung“. Als vor 25 Jahren, am 22. November 1991, die Regierungschefs von Schleswig-Holstein und Hamburg, Björn Engholm und Henning Voscherau (beide SPD), eine „Vertragsgemeinschaft“ beider Länder schlossen, schien der „Nordstaat“ für manchen nur noch eine Frage der Zeit.

„Voscherau und Engholm demons­trierten nach der gemeinsamen Kabinettssitzung erneut die freundschaftliche Einigkeit, die beide sich seit einiger Zeit in Sachen Länderzusammenarbeit zu eigen gemacht haben“, berichtete das Abendblatt am Tag nach der Vertragsunterzeichnung und fügte hinzu: „Umso erstaunlicher ist es, dass es überhaupt einer besiegelten Vertragsgemeinschaft bedarf, um die beide Länder betreffenden Probleme einvernehmlich zu lösen.“

Offenbar sollte das Abkommen eher eine Art „Disziplinierungsmaßnahme für Kommunalpolitiker, Parlamente und Beamtenebene“ sein. So wollten die Regierungschefs, dass wesentliche Fragen beider Länder gemeinsam entschieden werden. Das Papier verpflichte die Länder, sich miteinander zu befassen, sagte Voscherau.

Geburtsstunde der Metropolregion Hamburg

Als Erstes sollte – gemeinsam mit Niedersachsen – ein „Entwicklungskonzept für die Region“ aufgestellt werden. Dabei dachten die Initiatoren an Hamburg und die Umlandkreise nördlich und südlich der Elbe. Auch wenn das damals niemand so formulierte, könnte man rückblickend von der Geburtsstunde der Metropolregion Hamburg sprechen.

Zumal die Pläne für die Vertrags­gemeinschaft seinerzeit ambitioniert waren. „Engholm nannte als Beispiel das Thema Abfallwirtschaft, bei dem Schleswig-Holstein Hamburg die Abnahme von 360.000 Tonnen Siedlungsabfall zugesagt habe“, hieß es im Abendblatt. Auch die vierte Elbtunnelröhre, eine weitere Elbquerung und ein norddeutsches Luftverkehrskonzept waren im Gespräch.

Die anspruchsvollen Pläne, deren erfolgreiche Umsetzung weit über die Metropolregion hinaus Wirkung entfalten würde, machten deutlich, dass es den führenden Politikern um mehr ging als um eine kleinteilige Kooperation von Landkreisen mit der Hansestadt. Dass man aber seinerzeit Vorsicht walten ließ, mochte historischen Ursachen haben.

So war der Sozialdemokrat Hermann Lüdemann, Schleswig-Holsteins erster Ministerpräsident nach dem Zweiten Weltkrieg, mit seinem Vorschlag, Schleswig-Holstein, Hamburg und die Gemeinden südlich der Elbe zu einem Bundesland Unterelbe zu vereinigen, auf heftige Kritik gestoßen. Hamburg hielt den Wiederaufbau des Hafens nach Kriegsende für wichtiger.

Widerstand gegen einen Nordstaat

Trotzdem flammte in den darauffolgenden Jahren immer wieder die Debatte über einen Norddeutschen Staat auf. Regelmäßig wurde in Politik und Wirtschaftsverbänden darüber diskutiert. Die Befürworter erhofften sich vor allem mehr Effizienz in der Politik und der Verwaltung. Im internationalen Ringen der Metropolregionen um Investitionen in Bereichen wie erneuerbare Energien, Schiffbau oder Biotechnologie sollte der geeinte Norden bessere Chancen haben.

In Hamburg wurde damit geworben, dass ein Nordstaat die wachsenden Probleme der Hansestadt mit seinen Nachbargemeinden lösen könnte. In den 70er-Jahren geriet die Stadt in einen heftigen Strukturwandel und erlebte zugleich, wie die Umlandgemeinden ökonomisch aufblühten.

Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass Lohn- und Einkommensteuer am Wohnort erhoben wurden. Für Hamburg bedeutete jeder Arbeitnehmer, der ins Umland zog, eine Schwächung der eigenen Finanzkraft. Die im Länderfinanzausgleich vereinbarte „Besserstellung“ eines Hamburger Einwohners glich diesen Verlust nicht mehr aus.

Gegner eines Nordstaats verwiesen auf die kulturelle Identität des jeweiligen Landstrichs. Gerade Hamburg hatte über Jahrhunderte erfolgreich seine Eigenständigkeit verteidigt und ökonomisch erheblich davon profitiert. Der Zusammenschluss hätte für Hamburg und Schleswig-Holstein zudem erhebliche finanzielle Einbußen und Verlust von politischem Einfluss zur Folge. Im Bundesrat verfügte ein Nordstaat über vier Stimmen. Derzeit haben Hamburg und Schleswig-Holstein sieben Stimmen. Auch beim Länderfinanzausgleich würde ein Nordstaat schlechter abschneiden als beide Bundesländer zusammen.

Angesichts des anhaltenden Widerstands gegen einen Nordstaat, hat sich die Politik auf den „Weg durch die Institutionen“ gemacht. Statt einer Fusion wurden auf unterer Ebene Möglichkeiten der Zusammenarbeit gesucht. Das gemeinsame Statistische Landesamt, das Hanse-Office oder die HSH Nordbank stehen für diesen Prozess – und natürlich die Schaffung der europäischen Metropolregion Hamburg.

Über einen Nordstaat redet heute keiner mehr

Schleswig-Holstein und Hamburg hatten bereits im Mai 1984 eine „Rahmenvereinbarung“ geschlossen, die den „Austausch von Leistung und Gegenleistung zwischen beiden Ländern“ auf jene „Geschäftsfelder reduziert, die politisch von vorrangigem Interesse waren“, heißt es in einer Festschrift der Arbeitsgemeinschaft der Hamburg-Randkreise aus 2010. Die vor 25 Jahren geschlossene Vertragsgemeinschaft war dann der folgerichtige Schritt.

Inzwischen ist die Metropolregion Hamburg zu einem wichtigen Faktor in der Politik und Verwaltung Norddeutschlands geworden. Rund fünf Millionen Menschen leben in der Region, die in ihrer Ausdehnung Nord-Süd 189 Kilometer und Ost-West 209 Kilometer umfasst. Drei kreisfreie Städte und 17 Landkreise gehören ihr an. Die Herausforderung, derart viele unterschiedliche Interessen unterzubringen, ist enorm.

Trotzdem redet derzeit kaum jemand offen über den Nordstaat. Zuletzt sorgte der damalige Erste Bürgermeister Ole von Beust (CDU) für eine Debatte, als er im Februar 2005 eine Zusammenlegung der Länder Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein binnen zwölf Jahren anregte. Inzwischen scheint sich eine andere Haltung durchgesetzt zu haben: immer daran denken, aber nicht darüber reden.