Hamburg. Das Grundstück am Brahmsee haben Altkanzler Helmut Schmidt und seine Ehefrau 1986 gekauft – und der Natur überlassen.

Seit fast vier Jahrzehnten wird dieses Areal direkt am Brahm-see bewusst sich selbst überlassen. Die Natur findet dort paradiesische Zu-stände vor. „Lokis Urwald“, wie Nachbarn das 6,5 Hektar umfassende Grundstück liebevoll nennen, bietet seltenen Pflanzen und Tieren ein unberührtes Zuhause. Die Details dieser Entwicklung beobachtete Loki Schmidt bis zu ihrem Tod am 21. Oktober 2010 beglückt. Teilweise führte sie akkurat Buch. Ihr lag dieses Kleinod etwa 20 Kilometer südwestlich von Kiel besonders am Herzen.

Seit gestern hat das neben dem Ferienhaus der Familie Schmidt gelegene Biotop einen neuen Besitzer: Loki und Helmut Schmidts Tochter Susanne übertrug diesen Teil ihres Erbes am Mittwoch der gemeinnützigen Loki Schmidt Stiftung. In einem Notariat am Alstertor in der Hamburger Innenstadt, in dem früher auch der jüngst verstorbene Bürgermeister Henning Voscherau seine Kanzlei betrieb, wurde der Schenkungsvertrag beurkundet. Susanne Schmidt war zu diesem Zweck aus ihrem Wohnort in der Grafschaft Kent im Süden Englands in ihre Heimatstadt gereist. Noch am Abend flog sie zurück nach London.

„Für mich ist es ein freundlicher und fröhlicher Moment“, sagte die promovierte Volkswirtin dem Hamburger Abendblatt. „Ich weiß das Biotop in besten Händen.“ Es werde fortan so erhalten, wie es sich ihre Mutter Hannelore gewünscht hätte. Auf Deutsch: Es geschieht gar nichts damit, sodass die Natur weiterhin freie Blüten treiben kann.

Seit 1976 gedeiht „Lokis Urwald“

So geschieht es seit 1976, als die Roggenäcker letztmals bestellt wurden. Anschließend ließ der Bauer seine Koppeln in Ruhe. 1986, also vier Jahre nach Ende der Kanzlerschaft Helmut Schmidts, erwarb das Ehepaar Schmidt das Gelände einschließlich eines Sumpfes. Mit einer Sondergenehmigung der Landschaftspflegebehörde in Kiel konnte die Natur nach freien Stücken gedeihen.

„Ich habe Jahr für Jahr fasziniert die Veränderung beobachtet“, sagte Loki Schmidt einst. Es sei immer schon ihr Wunsch gewesen, eine Fläche studieren zu können, „bei der natürliche Sukzession ohne Eingriffe ablaufen kann“. Freunde berichten, dass auch Helmut Schmidt Gefallen an „Lokis Urwald“ fand und die grüne Oase zu ausgeruhten Spaziergängen nutzte – am liebsten alleine.

Heutzutage ist das Areal weitgehend zugewachsen. Gästen ist der Zutritt gestattet. „Liebe Nachbarn“, steht auf einem grünen Metallschild geschrieben. Darauf erbittet die ehemalige Eigentümerin schonenden Umgang mit dem Biotop. „Ihre Loki Schmidt“, ist auf der Warntafel als Unterschrift zu lesen.

Helmut Schmidt auf dem weitläufigen Grundstück am Brahmsee
Helmut Schmidt auf dem weitläufigen Grundstück am Brahmsee © dpa | Privat/ Loki Schmidt Stiftung

Die Stufen dieser natürlichen Ent-wicklung hielt sie begeistert fest – auf Fotos und in Kladden, grau eingebundenen Schulheften. Bilder in den privaten Alben der Familie Schmidt, die im Archiv am Neubergerweg in Hamburg-Langenhorn sorgsam verwahrt werden, zeigen den Wuchs der Pflanzenwelt, aber auch Helmut Schmidts Mußestunden inmitten des Paradieses. Es sind Fotos wie gemalt.

Gemeinsam mit ihrer Tochter Susanne notierte Loki Schmidt für beide faszinierende Erlebnisse. Von A bis Z wurde handschriftlich ein Register angelegt. Rührend registrierten Mutter Hannelore und Tochter Susanne zum Beispiel Ampfer, Adlerfarn, Busch-windröschen, Habichtkraut, aber auch Landreitgras oder Weißen Gänsefuß. Das damals zehn Jahre alte Schulkind Susanne sah am 13. April 1958 eine Dorngrasmücke.

Ein knappes Jahr später notierte Loki Schmidt in den Heften einen Eisvogel, einen Mäusebussard sowie einen Roten Milan. Dank der Helmut und Loki Schmidt Stiftung, die das politische Erbe des Ende vergangenen Jahres im Alter von 96 Jahren verstorbenen Staatsmanns verwaltet, werden solche Schätze im Archiv neben dem früheren Wohnhaus aufbewahrt und der Nachwelt erhalten.

Loki und Helmut Schmidt vor ihrem Haus am See
Loki und Helmut Schmidt vor ihrem Haus am See © picture-alliance / Sven Simon | dpa Picture-Alliance / SVEN SIMON

Loki Schmidt weidete sich an kleinen Beobachtungen. Einen Teil beschrieb sie in einem Aufsatz, der unter dem Titel „Von der Brache zum Eichen-Birkenwald“ als Sonderdruck der „Na-turwissenschaftlichen Rundschau“ er-schien. „Frau Schmidt wusste durchaus, dass sie etwas Besonderes ins Leben gerufen hatte“, sagt der promovierte Bo-taniker Hans-Helmut Poppendieck, ein Seelenverwandter und langjähriger Mitstreiter Loki Schmidts über das nun verschenkte Grundstück. „Sie war immer sehr stolz, wenn sie ihre Wildnis anderen zeigen konnte.“ Das Biotop am Brahmsee sei das erste Vorhaben in Deutschland gewesen, „ein Stück Landschaft sich völlig selbst zu überlassen“. Mit dem Projekt sei Loki Schmidt der Diskussion 30 Jahre voraus gewesen.

Bei Studien des Biotops, auch gemeinsam mit Studenten der Uni Hamburg und anderer Institutionen, war Helmut Schmidt nicht dabei – der frühere Bundeskanzler schätzte mehr die Ruhe und Abgeschiedenheit der Ökooase. Allerdings erinnert sich Poppendieck an ein Erlebnis aus dem Jahr 1997. In einer Gastwirtschaft am Brahmsee habe sich der Staatsmann ausführlich von Lokis Eindrücken berichten lassen. Als Vorsitzender des Botanischen Vereins zu Hamburg und Vorsitzender der Stiftung Internationaler Gärtneraustausch ist Hans-Helmut Poppendieck mit Herzblut engagiert, Lokis Vermächtnis am Leben zu erhalten.

In diesem Sinne trägt Susanne Schmidts Schenkung dazu bei, dass ein Urwald inmitten Schleswig-Holsteins auch zukünftig blühen und gedeihen kann.