Kiel/Stockholm. Wird das Land zur Sackgasse für tausende Transit-Flüchtlinge? Die Sorge basiert auf den angekündigten Grenzkontrollen in Schweden.

Die neuen Grenzkontrollen in Schweden haben erste Konsequenzen in Schleswig-Holstein: Seit Donnerstag nimmt das nördlichste Bundesland aus Bayern überstellte Flüchtlinge vorerst nicht mehr auf. Am gleichen Tag zeichnete sich noch kein Rückstau von Transit-Flüchtlingen, die nach Schweden wollten, ab. Doch auch dafür hat sich das Land mit 7000 kurzfristig nutzbaren Notunterkünften in Flensburg, Lübeck und Kiel gewappnet. „Egal, welches Szenario kommt, wir sind vorbereitet“, sagte Innenminister Stefan Studt (SPD) in Kiel. Außerdem kündigte er weitere Erstaufnahmeinerichtungen in Husum und Elmenhorst-Lanken an. Bis Jahresende sollen die Plätze landesweit von zurzeit etwa 13 250 auf 25 000 ausgeweitet werden.

Studt bezeichnete den vorläufigen Aufnahmestopp von Flüchtlingen, die aus Bayern überstellt würden, als Vorsichtsmaßnahme, um nicht zu viele Flüchtlinge in Schleswig-Holstein zu haben. Die Maßnahme sei mit der zuständigen Bund-Länder-Koordinierungsstelle abgesprochen, sagte Studt. Asylbewerber, die sich in Schleswig-Holstein direkt melden, würden selbstverständlich weiterhin aufgenommen.

Schleswig-Holstein hatte zuletzt deutlich mehr Flüchtlinge aufgenommen als es nach dem Königsteiner Schlüssel müsste - dieser regelt anteilig die Verteilung auf alle Bundesländer. Schleswig-Holstein sei im Plus und könne daher vorübergehend mit der Aufnahme aus Bayern aussetzen, sagte Studt.

Bis Donnerstagnachmittag gab es nach seinen Angaben noch keine zugespitzte Situation mit Transit-Flüchtlingen in der Grenzstadt Flensburg oder den Fährhäfen Kiel und Lübeck. In Flensburg und in Lübeck könnten kurzfristig jeweils 3000 Menschen und in Kiel 1000 Menschen in Notunterkünften untergebracht werden.

Zur besseren Kontrolle des Flüchtlingsandrangs führte Schweden am Donnerstag stichprobenartig Passkontrollen ein. Überprüft wird vorerst nur, wer aus Deutschland und Dänemark kommt. Betroffen sind der Auto- und Zugverkehr über die Öresundbrücke und die Fährverbindungen zwischen Dänemark, Deutschland und Schweden.

Schwedens Regierungschef Stefan Löfven sagte bei einem EU-Sondergipfel in Malta: „Wir müssen wissen, wer nach Schweden kommt.“ „Wenn die Behörden uns sagen, sie sorgen sich um die Sicherheit und Ordnung im Land, dann ist unsere Reaktion, sowohl Grenzkontrollen als auch Identitätskontrollen auf den Fähren einzuführen.“ Die Kontrollen sind zunächst auf zehn Tage angesetzt.

Schweden mit seinen knapp 10 Millionen Einwohnern nimmt relativ gesehen von allen EU-Ländern die meisten Asylbewerber auf. Bis Jahresende wird mit bis 190 000 Flüchtlingen gerechnet.

Im Zug über die Öresundbrücke zwischen Kopenhagen und Malmö, die der einzige Landweg zwischen Dänemark und Schweden ist, forderte die Polizei am Nachmittag 30 Personen auf mitzukommen. Alle sagten, sie wollten Asyl beantragen. Am Fährhafen Rostock wurde 86 Flüchtlingen die Weitereise mit den Morgenfähren nach Trelleborg verweigert. Nach Angaben eines Rostocker Stadtsprechers hatten sie nicht die nötigen Reisedokumente. Die Reederei TT-Line wies 25 Flüchtlinge ohne gültige Pässe zurück, die von Travemünde nach Trelleborg wollten.

In Schleswig-Holstein kommen zurzeit etwa täglich 1000 Transit-Flüchtlinge an. Allein im Oktober waren es 27 000. Die meisten wollen mit Zügen und Bussen über Flensburg oder Fähren von Kiel und Lübeck in Richtung Schweden weiterreisen. Wie viele der Transit-Flüchtlinge geltende Papiere haben, konnte Studt nicht sagen. „Das wissen wir einfach nicht.“

Die schwedische Regierung will die Einführung der Grenzkontrollen nicht als eine Neuausrichtung der Asylpolitik verstanden wissen. Jeder, der Asyl beantragen wolle, werde auch ins Land gelassen, betonte der Chef der Grenzpolizei, Patrik Engström. Bis Montag sollen die Grenzstationen mit Personal aus dem ganzen Land verstärkt werden.

Der mit der Flüchtlingsunterbringung in Schleswig-Holstein befasste stellvertretende Landespolizeidirektor Joachim Gutt versicherte, Schleswig-Holstein werde - so schrecklich sich das anhöre, denn es handle sich ja um Menschen - nicht überlaufen.

Unterdessen geht der Ausbau der Erstaufnahme-Kapazitäten in Schleswig-Holstein zügig weiter. Auf dem Husumer Messegelände (Kreis Nordfriesland) soll eine Unterkunft mit rund 500 Wohncontainern für bis zu 1500 Flüchtlinge entstehen. Die Inbetriebnahme ist im Dezember geplant mit zunächst 1000 Plätzen. Im Gewerbegebiet Elmenhorst-Lanken (Kreis Herzogtum Lauenburg) soll eine Erstaufnahme mit 450 Containern für bis zu 1800 Flüchtlinge entstehen. Der Betrieb soll bis Jahresende starten. Ebenfalls im Dezember soll in Lütjenburg (Kreis Plön) in der ehemaligen Schill-Kaserne eine Erstaufnahme den Betrieb aufnehmen, zunächst mit 400 bis 600 Flüchtlingen, später dann 1000.

Die eigentliche Integration der Menschen bleibe Aufgabe der Kommunen. Um den Bau von kommunalen Unterkünften zu forcieren, hat das auch für Baufragen zuständige Innenministerium Gebäudekonzepte ins Internet gestellt. Solche Bauten seien in sechs bis zwölf Monaten umsetzbar. sagte Studt. Der Minister hält 5000 Neubauwohnungen nicht nur für machbar, sondern auch förderbar. Es gehe darum, günstigen Wohnraum allen, die darauf angewiesen seien, anbieten zu können, nicht nur Flüchtlingen, betonte der Minister.