Sylt . Sie sind vor Terror geflohen und leben nun in einer Touristenhochburg. Flüchtlinge auf Sylt müssen sich zurechtfinden – Ehrenamtliche helfen.
Vor fünf Jahren hatte die Familie von Basem Ibrahim noch 90 Mitglieder, die alle in ihrem Heimatland lebten. Inzwischen harren noch 25 in dem von Bürgerkrieg und islamistischem Terror geschundenen Syrien aus. Ibrahim, ein 37 Jahre alter Sportlehrer aus Hasaka, hat es geschafft und sich, seine Frau und seinen Sohn in Sicherheit gebracht. Jetzt leben sie auf Sylt, und in der milden Sommerabendsonne erzählen sie Geschichten aus einer anderen Welt.
Einer Welt, in der Kinder auf der Straße gefragt werden, ob sie Christen oder Muslime sind, und denen bei der „falschen“ Antwort das Messer in den Leib gestoßen wird. Eine Welt, in der Häuser zerstört werden, weil sie Christen gehören. In der Christinnen als Sklavinnen in Aleppo verkauft werden und herzkranke Christen für eine Operation konvertieren sollen, weil der Arzt nur Muslime behandelt. Ibrahim und seine Frau Rita Mahran sind Christen. 18 000 Euro hat den Lehrer die Flucht gekostet.
„Auto verkauft, Haus verkauft, alles verkauft“, sagt er auf Deutsch. „Ich habe 20 Jahre gearbeitet, in fünf Minuten - alles weg.“ Zu Fuß ging es von Syrien in die Türkei, mit dem Schiff nach Griechenland und mit dem Flugzeug nach Berlin. Seit Anfang 2015 leben sie mit ihrem fünfjährigen Sohn auf Sylt. Betreut werden sie von „Onkel“ Joachim Leber und dessen Frau, „Mama“ Leah Leber. Die Mitglieder des Vereins Integrationshilfe Sylt stehen der Familie bei, bringen ihnen Deutsch bei, sind Motivatoren und Familienersatz. „Deutschland ist auch geholfen worden“ nach dem Zweiten Weltkrieg, sagt Joachim Leber. „Da hat auch keiner gefragt, was kostet das.“
Und Sylt, ergänzt seine Frau, sei wirklich nicht nur die Insel der Reichen und Schönen. „Die Reichen kriegen Sie schon lange nicht mehr zu sehen.“ Das Klischee mache die Insel eher billig. Die Auswirkungen des Inselbooms hat aber auch Ibrahim schon bemerkt: „Sylt ist teuer“, sagt er, und rechnet vor, dass eine Praktikantin für ein Zimmer 500 Euro bezahle. Einst hatte die Familie ihr eigenes Haus, mit Marmor an den Wänden, erzählt Leah Leber. Auf Sylt wohnen sie in einer ehemaligen Obdachlosen-Unterkunft. „In Not geratene Menschen kommen zu uns, nicht, um sich zu verbessern. Es geht darum, dass sie ihr Leben retten“, sagt Joachim Leber.
Ibrahim und Mahran treffen auf Sylt auf Flüchtlinge aus Afghanistan oder Armenien. Aus dem Land im Kaukasus floh der 16-jährige Karabet Gabrielyan mit seiner Mutter. Er wollte dem Zwangseinzug in die Armee entgehen. Zudem ist er Epileptiker, bekam falsche Tabletten, nahm in zwei Jahren 35 Kilogramm zu. Jetzt betreut ihn eine Sylter Ärztin. Sein Traum: in einer deutschen Judomannschaft mitmachen.
Mitte August wurden von der Sylter Inselverwaltung 120 Flüchtlinge betreut. Die meisten stammen aus Afghanistan, Somalia und Syrien. „Derzeit wird dezentral in von der Gemeinde angemieteten Wohnliegenschaften untergebracht“, berichtet Sylts Bürgermeister Nikolas Häckel (parteilos). Natürlich sei es in der Hochsaison schwerer, Wohnungen zu finden. Wöchentlich würden Angebote geprüft.
Joachim Leber kritisiert die übergeordnete schleppende Planung auch des Bundes, Bürokratie, Herumgeschiebe von Anträgen, wo schnelle Hilfe nötig wäre, fehlende Unterrichtsräume. „Die Flüchtlinge werden einfach geschickt“, sagt Leah Leber. Seit einiger Zeit aber gibt es eine Flüchtlingshilfekoordinatorin, jetzt laufe es besser.
Auf Sylt bleiben wird das syrische Paar wohl nicht, auch, weil die Familie fehlt. Vielleicht gehen sie nach Baden-Württemberg, wo Ibrahims Schwester wohnt. Eins aber ist sicher: „Ich möchte bleiben in Deutschland“, sagt die 29-Jährige Mahran. „Ich möchte hier arbeiten“, betont ihr Mann. Beide haben ein Praktikum in einer Sylter Schule gemacht. In Deutschland gefällt es ihnen, doch eine Angst hat Ibrahim: dass sich die Terrormiliz Islamischer Staat auch in Deutschland ausbreitet. Mit ihm seien Islamisten eingereist, berichtet er. Eigentlich würde er gern mal mit Lebers in seine Heimat fahren - aber dazu braucht es eine andere Welt.