Die Ärztin erkannte die Erkrankung über Monate nicht. Der Patient überlebte die Erkrankung nur knapp, zuletzt waren sogar in seinem Gehirn Metastasen. Die Marineärztin wurde nun in Hamburg verurteilt.

Neustadt. Am Ende erkannte ihn noch nicht einmal mehr seine eigene Familie. So verändert, so abgemagert, so krank und so ausgemergelt sah der Marinesoldat aus, von Schmerzen gebeugt, vor Schwäche kaum noch fähig zu gehen. Der junge Mann war in Lebensgefahr, Krebs durchwucherte seinen Körper, als er endlich nach monatelangem Auslandseinsatz auf der Fregatte „Emden“ unter anderem vor der ostafrikanischen Küste in ein Krankenhaus kam. Fast wäre es zu spät gewesen für den 22-Jährigen.

Doch seine Schiffsärztin, in deren Behandlung der junge Obermaat sich über Wochen immer wieder begeben hatte, hatte sein Leiden nicht erkannt. Sie verordnete Schmerzmittel statt Therapie, Placebos statt einer vernünftigen Diagnostik. Jetzt verhängte das Landgericht in einem Prozess ein Jahr Haft mit Bewährung für die Medizinerin Anne P. (alle Namen geändert) wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt. „Das, was sich auf dem Kriegsschiff ereignet hat, war eine menschliche Tragödie für den Soldaten“, sagte der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung. Zudem muss die 41-Jährige 12.000 Euro Schmerzensgeld an ihren damaligen Patienten zahlen. Eine Entschädigung von 200.000 Euro bekam Erik L. bereits von der Bundeswehr, darüber hinaus erhält er eine monatliche Rente von 900 Euro und ist bis heute dort beschäftigt.

Die Angeklagte habe „vielfältige, grobe Sorgfaltspflichtverletzungen begangen“, so der Richter. Anne P. selber sprach von einer „zu kurz geratenen Behandlung“. Insgesamt tatsächlich 29mal hatte sich ihr Patient an sie gewandt, ihr zunächst seine immer stärker werdenden Rückenschmerzen geschildert, auch über Beschwerden im Unterleib und schließlich über wochenlanges Erbrechen geklagt. Die Ärztin verabreichte Schmerzmittel, forderte ihn zu mehr Sport auf, behandelte ihn mit Infusionen gegen den Flüssigkeitsverlust und notierte einen „ausgemergelten“ Zustand. Eine gründliche Diagnose blieb indes aus; es gab keine Magenspiegelung, keine MRT-Untersuchung, nicht einmal einen Ultraschall nahm die Ärztin vor. Doch bei den Symptomen und dem körperlichen Verfall des jungen Mannes wäre eine Diagnostik „medizinischer Standard“ gewesen, führte ein Sachverständiger im Prozess aus. Erik L. hätte ausgeflogen und in ein Krankenhaus überwiesen werden müssen.

Als das Krebsleiden endlich erkannt wurde, hatten sich im Körper des Obermaats überall Metastasen gebildet, sogar im Gehirn. Wegen einer Thrombose musste ein Unterschenkel amputiert werden, etliche weitere Operationen waren notwendig, aufwendige Chemotherapie und Bestrahlungen – nach Worten des Richters eine „zwei Jahre andauernde Odyssee“.