Inspektionen im AKW Brunsbüttel zeigen Atommüllfässer in desaströsem Zustand. Gefahr für Mitarbeiter oder die Bevölkerung soll nicht bestehen. Kritik an Atomaufsicht und AKW-Betreiber Vattenfall.

Brunsbüttel/Kiel/Berlin. Die 631 Atommüll-Fässer in den unterirdischen Lagerstätten im stillgelegten Kernkraftwerk Brunsbüttel sind teilweise in desaströsem Zustand. Von 40 weiteren untersuchten Fässern mit schwach- und mittelradioaktiven Müll seien zehn so stark verrostet, dass sie sich aufzulösen beginnen, sagte Energieminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch in Kiel. Dies sei eine neue Dimension. Anders als in bisherigen Fällen seien Fässer teilweise ausgelaufen.

Auf einer Folie am Kavernenboden sei eine breiige Masse mit dem radioaktiven Stoff Cäsium 137 festgestellt worden. Wegen der meterdicken Betonwände sei aber sichergestellt, dass keine Gefahr für Mitarbeiter des AKW oder für die Bevölkerung bestehe, versicherte Habeck. Auch ein Durchsickern ins Grundwasser sei ausgeschlossen. Habeck forderte vom Betreiber Vattenfall bis Ende September ein neues Bergungskonzept, um die Fässer „schnellstmöglich“ aus den Kavernen zu holen und den Inhalt in endlagerfähige Container umzufüllen.

Der bisherige Plan sei nicht mehr verlässlich, da die Deckel einiger Fässer defekt seien und diese nicht mehr von oben angehoben werden könnten. Mit Fassungslosigkeit und der Forderung nach Konsequenzen reagierten die Parteien. „Diese Situation ist mit gesundem Menschenverstand kaum noch zu begreifen“, sagte Angelika Beer, atompolitische Sprecherin der Piratenpartei. „Wie soll man das nennen? Schlampig? Fahrlässig? Verantwortungslos?“ Olaf Schulze (SPD) sieht Vattenfall in der Pflicht: „Die korrodierten Fässer müssen geborgen und so gesichert werden, dass Gefährdungen ausgeschlossen werden können.“

Oliver Kumbartzky (FDP) und Jens-Christian Magnussen (CDU) bezeichneten die neuen Ergebnisse „erschreckend“. Magnussen plädierte für eine überparteiliche, von Experten begleitete Initiative, die sich der sicheren Lagerung von Atomfässern und aller sonstigen atomaren Abfälle widmet. Bernd Voß (Grüne) hielt den AKW-Betreibern „Ignoranz und Wegsehen“ vor.

Vattenfall-Sprecherin Sandra Kühberger betonte, die Beton-Kavernen seien sicher. Die 1983, 1985 und 2011 eingelagerten Atomfässer seien nicht für eine langfristige Lagerung vorgesehen gewesen. Mitte der 1990er Jahre hätten sie umgefüllt und ins bis heute noch nicht in Betrieb genommene Endlager Schacht Konrad bei Salzgitter (Niedersachsen) gebracht werden sollen. Sie kündigte an, dass Vattenfall nach dem Inspizieren aller sechs Kavernen bis Anfang 2015 die Rostfässer bergen, in endlagerfähige Container umfüllen und zunächst in einer Halle des AKW Brunsbüttel aufbewahren werde – bis ein Transport nach Schacht Konrad möglich sei.

Zur Forderung nach einem neuen Bergungssystem sagte Kühberger, dies werde in Absprache mit der Atomaufsicht weiterentwickelt. „Das ist eine technische Aufgabe, die sich lösen lässt.“ Dagegen meinte Beer, im Moment wisse niemand, „wie die Fässer sicher geborgen werden können“.

Auch Habeck beurteilte den Umgang mit dem Atommüll kritisch: „Aus heutiger Sicht muss man sagen, alle Beteiligten hätten da früher systematisch reinschauen müssen – so, wie man sagen muss, rückblickend hätten Kernkraftwerke nie gebaut werden dürfen.“ Die Kieler Atomaufsicht hatte nach der Entdeckung eines rostigen Fasses Anfang 2012 angeordnet, dass Vattenfall alle Depots mit Atommüllfässern inspiziert. Dafür musste der schwedische Energiekonzern erst einmal eine Spezialkamera entwickeln. Inzwischen wurden zahlreiche Schäden an Fässern festgestellt.

Die Endlagerung im Schacht Konrad bei Salzgitter ist mit offenen Fragen versehen. Experten der Kieler Atomaufsicht konnten nicht einschätzen, ob dort der gesamte deutsche schwach- und mittelradioaktiven Atommüll gelagert werden kann, falls auch die Atomabfälle aus dem Zwischenlager Asse – etwa 12.600 Fässer – dort untergebracht werden sollten. In Asse, einem früheren Kali-Bergwerk bei Braunschweig, dringen täglich 12.000 Liter Wasser von außen ein, die Rückholung des Atommülls wird geprüft.

Habeck forderte Bundumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) auf, bundesweit den Zustand von Atommüllfässern in vorläufigen Lagerstätten von Kernkraftwerken kontrollieren zu lassen. Nach dem Fund des ersten Rostfasses in Brunsbüttel 2012 habe der Bund zwar eine Meldesystem eingeführt. Bisher sei aber lediglich ein einziges weiteres defektes Fass aus Niedersachsen gemeldet worden. Eine Sprecherin des Bundesumweltministerium in Berlin sagte, das Ministerium habe bereits im März 2012 die Länder um Bericht zu den in ihrer Zuständigkeit lagernden radioaktiven Abfällen gebeten.

„Über mit dem KKW Brunsbüttel vergleichbare Schäden an Fässern mit radioaktiven Abfällen haben die zuständigen Landesbehörden bislang nicht berichtet.“ Mit dem Kernkraftwerk Brunsbüttel vergleichbare Kavernen gebe es nur in den Siedewasserreaktoren der sogenannten 69er Baulinie: in Krümmel (Schleswig-Holstein), Isar Block 1 (Bayern) und Philippsburg Block 1 (Baden-Württemberg).