Was passiert mit den Rostfässern im AKW Brunsbüttel? Vattenfall hat eine Umpack-Technik entwickelt. Das Kraftwerk, das seit 2007 vom Netz ist, soll abgerissen werden. Das Ganze könnte 15 Jahre dauern und eine Milliarde Euro kosten.
Brunsbüttel. Schon seit fast sieben Jahren erzeugt das Atomkraftwerk Brunsbüttel keinen Strom mehr. Es soll abgebaut werden; vielleicht in zwei Jahrzehnten wird dort nahe der Elbmündung wieder „Grüne Wiese“ sein. Also alles klar? Eher nicht. Betreiber Vattenfall führt ein Problem am Montag Journalisten vor. Sie stehen auf der Betonplatte eines der sechs unterirdischen Depots, in denen 631 Fässer mit radioaktivem Abfall lagern. Die sind nicht alle ganz dicht. In Kaverne 4 rosten 18 von 70 Fässern, einige heftig. Das belegten Kamera-Aufnahmen. Die Strahlung da unten ist hoch, der 1,10 Meter starke Betondeckel schützt. Wie viele Rostfässer noch dazu kommen, werden weitere Untersuchungen zeigen. Was tun mit ihnen?
Werkleiter Knut Frisch erläutert: Alle Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Material wie Filterharze und Verdampferkonzentrate müssen in Container umgefüllt werden, die den Annahmebedingungen im geplanten Endlager Schacht Konrad entsprechen. Der Inhalt der Rostfässer muss vorher noch einmal umverpackt werden. Das soll so gehen: Ein Kran hebt ein Fass mit einem Spezialgreifer aus der Kaverne heraus. Dem Fass wird ein Sack übergestülpt – entwickelt mit einem Segelmacher. Der Übersack wird unten zugezogen. Ein hermetischer Verschluss ist das nicht. Wenn etwas herausrieselt, fällt es zurück in die Kaverne. Der Kran lässt das Fass samt Übersack in ein Überfass; der Sack wird wieder abgezogen.
„Wir arbeiten mit Hosenträger und Gürtel zugleich“, sagt Ingenieur Martin Ganter zu den Sicherheitsvorkehrungen. Bei einer Vorführung hakt es. „Wir sind in der Entwicklungsphase“, kommentiert Ingenieur Björn Dahl. TÜV und Atomaufsicht müssen dem Verfahren noch zustimmen.
Die Fässer lagern in Brunsbüttel zum Teil schon über 30 Jahre. Seit Mitte der Neunziger sollten sie in Niedersachsen im Endlager Schacht Konrad sein. Das geht wohl erst irgendwann im nächsten Jahrzehnt in Betrieb. Deshalb hat Vattenfall ein Zwischenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Brunsbüttel beantragt. Ob hier ab 2015 auch noch Castor-Behälter mit wiederaufbereitetem Abfall aus Sellafield herkommen, ist offen. Ein weiterer Punkt auf der lange Liste ungelöster Atomprobleme in Deutschland.
Sie gehen nicht davon aus, dass ein Fass kaputtgeht, sagt Vattenfall. Das Foto eines Rostfasses ließ das befürchten. Ein weiteres Problem: Mit den Jahren ändern sich Anforderungen an die zu lagernden Container. Hunderte Fässer stehen seit langem endverpackt in einer „Transportbereitstellungshalle“. Entsorgungsleiter Klaus-Dieter Brandt: „Wir stellen seit 1995 für den Transport bereit“.
Brunsbüttel, das wegen Pannen seit Mitte 2007 vom Netz ist und 2011 nach der Fukushima-Katastrophe wie sieben weitere in Deutschland die „Genehmigung zum Leistungsbetrieb“ verlor, erzeugte seit 1977 exakt 124.211.289 Megawattstunden Strom. Das reicht, um rund 30 Millionen Vier-Personen-Haushalte ein Jahr lang zu versorgen. Aufgrund von Pannen war der Reaktor nur zu 66,8 Prozent der Zeit am Netz.
Frühestens 2017 dürfte der Abbau beginnen, 15 Jahre könnte er dauern, sagt Vattenfall-Geschäftsführer Pieter Wasmuth. Viel Beton und Stahl sind abzubauen, 340.000 Tonnen Material. „Wir gehen davon aus, 97 Prozent wiederverwenden zu können“, sagt Vattenfall-Sprecherin Sandra Kühberger. Fast 10.000 Tonnen schwach- und mittelradioaktiver Abfall sind zu entsorgen, 520 Brennelemente aus dem Reaktorgebäude in Castor-Behälter zu bringen. Nebenan steht ein Zwischenlager für hoch radioaktiven Abfall.
Für den Rückbau der Anlage in Dithmarschen, in der von einst 350 noch 284 Menschen arbeiten, rechnet Vattenfall mit Kosten zwischen einer halben und einer Milliarde Euro. Der Pressetermin vom Montag passte gut in die Zeit, wurden doch erst vor Tagen Pläne der Energiekonzerne publik, das Atomgeschäft abzugeben. Der Bund lehnte dankend ab: Die Unternehmen, die viel Geld mit Atomstrom verdienten, sollen die Milliardenkosten für Rückbau und Entsorgung selbst tragen.
„Deutschland ist in die Atomenergie eingestiegen ohne zu wissen, wohin mit dem ganzen Atommüll in den nächsten vielen Jahrtausenden“, sagt der Kieler Energieminister Robert Habeck (Grüne). „Jetzt steht es da mit großen Mengen an schwach- bis mittelradioaktivem Müll, hoch radioaktiven Abfällen und Atommeilern, die zurückgebaut werden müssen – und die Entsorgung ist immer noch nicht wirklich gelöst.“
Für Habeck wird der Atomausstieg erst mit dem Abbau der Anlagen tatsächlich unumkehrbar. Dass Vattenfall auch Krümmel „abhaken“ will, kann er nicht erwarten. Der Betreiber geht davon aus, dass die Abschaltung dieses Reaktors rechtswidrig war. „Daher werden die beiden Eigentümer für das Kernkraftwerk Krümmel derzeit kein Stilllegungsgenehmigungsverfahren einleiten“, sagt Kühberger.
„Krümmel ist für Vattenfall Faustpfand“, sagt Habeck. „Der Konzern weigert sich, den gesetzlich beschlossenen Atomausstieg zu vollziehen. Das ist nicht akzeptabel.“ Habeck bedauert eine Gesetzeslücke: „Der Staat hat keine Möglichkeit, die Atombetreiber zu zwingen, den Rückbau voranzutreiben“.