Der Mann soll seine vierjährige Tochter und den sechsjährigen Sohn umgebracht haben. Bei den Nachbarn in der Kleinstadt Glinde war die Familie weitgehend unbekannt. Um das Motiv herrscht Rätselraten.

Glinde. Nichts deutet in dem bürgerlichen Wohnviertel vor den Toren Hamburgs auf die schreckliche Tat hin. Rauchschwaden steigen an diesem frostigen Wintermorgen von den Kaminen auf. Vorhänge in den Fenstern verschleiern das Licht von Zimmerlampen in der Siedlung am Rande der Kleinstadt Glinde. Ein Müllwagen fährt durch die schmale Straße des beschaulichen Viertels, vorsichtig rollt das Fahrzeug durch die Reihen geparkter dunkler Luxusautos. Hier und da baumelt in den Gärten ein Vogelhäuschen von einem Ast.

Wo viele Bewohner ihr bürgerliches Glück hinter mannshohen Hecken und penibel lackierten Holzzäunen zu verschanzen versuchen, ereignete sich die nahezu unfassbare Tat: Ein 38-jähriger Familienvater soll seine vierjährige Tochter und seinen sechsjährigen Sohn umgebracht haben.

Um 6.50 Uhr alarmiert am Freitagmorgen ein Notruf die Polizei in der Lübecker Einsatzleitstelle. Ein Anrufer gesteht, seine beiden Kinder getötet zu haben. Mit Blaulicht eilen die Ermittler zum Tatort. Dort finden die Polizisten die Kinder leblos in einem Zimmer. Der Vater stellt sich den Beamten und wird festgenommen. Die 30 Jahre alte Mutter, die sich beim Eintreffen der Polizei ebenfalls in dem Einfamilienhaus aufhält, kommt sofort in psychologische Behandlung, schildert Polizeisprecherin Carola Aßmann die Ereignisse. Die beiden Kinder sollen durch „Gewalteinwirkung im Halsbereich“ gestorben sein – ob erwürgt oder erdrosselt stand zunächst nicht fest. Laut Staatsanwaltschaft könnte auch ein Messer zum Einsatz gekommen sein. Das Motiv liegt im Dunklen.

Am Tatort ziehen Streifenwagen und Autos von Fernsehsendern die neugierigen Blicke von flanierenden Rentnern an. Hinter dem Absperrband bauen sich Polizisten wie eine menschliche Wand vor den Fotografen auf. Zweimal tragen Beamte vom Hauseingang jeweils eine Bahre zur geöffneten Heckklappe eines grauen Transporters. Der Wagen rollt davon, der Medientross zieht sich nach und nach zurück. Zurück bleiben die Nachbarn und ihre Gedanken.

Eine ältere Dame – dick eingehüllt in Wollmütze und Mantel – fegt eine fingerdünne Schneeschicht vom Bürgersteig. Die Familie, die seit etwa drei Jahren zwei Häuser weiter gewohnt habe, kenne sie nur flüchtig vom Sehen, erzählt sie, während der Besen unablässig Streifen für Streifen des Neuschnees vom Trottoir schiebt. „Er hat mit den Kindern oft im Garten gespielt“, sagt sie über den Vater. „Manchmal mit Spielzeugen auch auf der Straße. Die beiden habe ich als fröhliche Kinder in Erinnerung.“ Durch die dichten Sträucher kann man einen Basketballständer auf der Wiese der Familie erkennen.

Offensichtlich hatte der mutmaßliche Täter eher einen geringen Kontakt zu den Anwohnern gepflegt. Er soll nach unbestätigten Angaben eine Zahnarztpraxis in Hamburg haben. „Ich wusste gar nicht, dass in dem Haus überhaupt Kinder wohnen. Man kennt sich hier in der Straße nicht sonderlich gut“, sagt eine weitere Nachbarin, Pascale Guenard.

Nicht weit davon entfernt bringt Beate Plichta gerade ihre achtjährige Tochter von der Schule nach Hause: „Was heute passiert ist, ist Wahnsinn“, sagt sie betroffen. Ein ganzes Stück weiter weg bleibt ein Teenager-Trio von der Nachricht wie angewurzelt stehen. „Die Leute hier sind gesittet und nett, die Gegend ist eigentlich friedlich“, stammelt der 13-jährige Fin, ein Junge mit Zahnspange und Fahrrad.

„Gewaltdelikte kommen genauso in Plattenbausiedlungen wie in guten Vierteln vor“, sagt Polizeisprecherin Aßmann. Wenig später nimmt ein weiterer Nachbar vor seinem Haus einen Besen in die Hand. Wortlos kehrt er – bis kurz vor den Tatort. Vor dem Grundstück hat sich inzwischen ein Gewirr von Reifenlinien in den Schneeboden eingekerbt.

Gegen den tatverdächtigen Vater ist unterdessen die Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung angeordnet worden. Bei ihm wurde laut Staatsanwaltschaft eine geistige Erkrankung mit religiösen Wahnvorstellungen festgestellt. Ein Gutachter, der bei der Vorführung des Mannes dabei war, hat Schuldunfähigkeit diagnostiziert.