Überraschende Wende im Prozess um die getötete Joggerin aus Lübeck: Der Angeklagte brach am Montag sein monatelanges Schweigen. Er habe die junge Frau nicht umbringen wollen. Als Motiv für die Tat gibt er eine ungewöhnliche Erklärung ab.

Schwerin. Der Angeklagte im Joggerin-Mordprozess hat die tödliche Attacke auf eine junge Frau aus Lübeck überraschend zugegeben. „Es tut mir unendlich leid“, heißt es in einer sechsseitigen Erklärung, die der Anwalt von Norman L. am Montag im Landgericht Schwerin verlas. Er habe den Tod der Frau nicht gewollt.

Die 29 Jahre alte Anna-Lena U., Mutter eines kleinen Sohnes, war am 7. Juli 2013 auf einem Waldweg zwischen Lübeck und Herrnburg (Mecklenburg-Vorpommern) beim Joggen erstochen worden. Norman L. wurde vier Tage später in seiner Lübecker Wohnung festgenommen, er ist wegen Mordes und sexueller Nötigung angeklagt.

Der 46-Jährige stellte die Tat am Montag im Gericht als eine Art Körperverletzung mit Todesfolge dar. Er habe jemandem in den Arm oder die Seite stechen wollen, um verhaftet zu werden, heißt es in der Erklärung. Es sollte „nichts Schwerwiegendes“ sein. Er habe sich mit einer Straftat seiner von ihm getrennt lebenden Verlobten entziehen wollen, die ihn hinausgeworfen, ihm aber ständig die Verantwortung für die vier gemeinsamen Kinder aufgeladen habe. Die Idee sei ihm spontan gekommen. Heute sei ihm dieser Gedanke unverständlich. Damals habe er sich beruflich wie privat in einer Sackgasse gefühlt. Er habe mit einer Strafe zwischen einem und sieben Jahren gerechnet.

Dass es die Joggerin Anna-Lena U. traf, war demnach Zufall. Wäre ihm ein kräftiger Mann auf dem Waldweg entgegengekommen, hätte er auch den angegriffen, sagt Norman L. nach der fünfzehnminütigen Verlesung seiner Erklärung auf Fragen von Richter und Anklagevertretern. Er spricht mit leiser, leicht belegter Stimme. Zwei Stunden dauert die Befragung. Seine Gesichtszüge sind weitgehend unbewegt, er schaut seinem Gegenüber stets direkt in die Augen. Norman L. wirkt hochkonzentriert.

Seine Version vom Geschehen in der Palinger Heide geht so: Auf dem Weg sei ihm eine Person entgegengekommen, die er erst als Frau erkannt habe, als sie 100 bis 150 Meter von ihm entfernt war. Dann sei alles ganz schnell gegangen. Er habe in Richtung ihrer linken Seite gestochen. Sie habe ins Messer gegriffen. Dann, als er habe weglaufen wollen, habe die Frau ihn festgehalten und zurückgerissen. Er, damals 105 Kilogramm schwer, habe das Gleichgewicht verloren. Beide seien zu Boden gegangen, sie habe plötzlich unter ihm gelegen. Beim Sturz sei das Messer offensichtlich im Hals der Frau gelandet. Das sei nicht bewusst geschehen, beteuert er. Dann sei er weggerannt. Das ganze Geschehen habe höchsten 15 Sekunden gedauert.

Nach etwa 20 Metern habe er sich noch einmal umgedreht und gesehen, dass sich die Frau erhob und in die Richtung bewegte, aus der sie gekommen war. Anna-Lena U. kam nicht weit. Sie brach zusammen und verblutete. Passanten fanden ihre Leiche wenig später. Die Tat selbst hat offenbar niemand beobachtet.

Sein Butterflymesser habe er eigentlich bei dem Spaziergang dabei gehabt, um es im Wald wegzuwerfen, sagt L.. Das habe er schon eine Woche lang vorgehabt. Ihm sei klar gewesen, dass der Besitz eines solchen Messers illegal ist. Ihm sei mehrere Tage lang nicht bewusst gewesen, dass er die Frau tödlich getroffen hatte. Blut habe er nicht gesehen. Allerdings waren Hemd und Hose, die er am Tattag trug, frisch gewaschen, als die Polizei vier Tage später in seine Wohnung in Lübeck kam.

Er sei weggelaufen und habe sich nach etwa 350 Metern hingesetzt, um eine Zigarette zu rauchen, berichtet Norman L. weiter. Dabei habe er das Messer fallen lassen und mit dem Fuß Sand darübergescharrt. Warum später dort auch ein Cuttermesser von ihm gefunden wurde, könne er sich nicht erklären. Möglicherweise sei es bei einem früheren Spaziergang aus seiner Weste gefallen. Er habe an dem Ort auch früher schon eine Pause gemacht, um zu rauchen.

Laut Anklage hat Norman L. die Frau überfallen, um sich an ihr zu vergehen. Eine Gutachterin hatte ihm in der Verhandlung am vergangenen Freitag eine Persönlichkeitsstörung bescheinigt. Das Risiko, dass der vorbestrafte Mann weitere schwere Gewalttaten begeht, schätzte sie als hoch ein. Nun kam überraschend die Erklärung mit dem Geständnis. „Warum gerade jetzt und nicht schon am ersten Verhandlungstag?“, fragte der rechtsmedizinische Gutachter Fred Zack. Die Aussage der Mutter von Anna-Lena U. im Gericht habe ihn berührt, antwortete Norman L.. Ihm sei dabei klar geworden, welches Leid er über die Familie gebracht hat. „Das war auch ein Grund für meine Aussage heute.“