Der Fortbestand der Kieler Landesregierung liegt in den Händen von sieben Schleswiger Richtern. Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) droht der Verlust seiner Landtagsmehrheit.

Schleswig. Das Landesverfassungsgericht entscheidet am kommenden Freitag über die Zukunft der rot-grün-blauen Landesregierung. Mit Spannung erwarten die Parteien das Urteil des Gerichts über den Sonderstatus des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW), der Partei der dänischen Minderheit. Wenige Monate nach der Wahlniederlage der CDU im Mai 2012 hatten führende Mitglieder der Jungen Union Wahlprüfungsbeschwerde eingereicht. Sie bezweifeln den Charakter des SSW als Partei der dänischen Minderheit und halten die Befreiung des SSW von der Fünf-Prozent-Hürde deshalb für verfassungswidrig. Sollten die Richter dieser Ansicht folgen, droht die Regierungsmehrheit im Kieler Landtag verloren zu gehen. Erneute vorzeitige Neuwahlen in Schleswig-Holstein könnten die Folge sein.

Die Kläger argumentieren, die Privilegierung des SSW verstoße gegen die Grundsätze der Erfolgswertgleichheit der Stimmen und der Chancengleichheit der Parteien. Im Wahlprogramm befassten sich nur zwei der insgesamt gut 80 Seiten mit Minderheitenthemen, führte der Prozessbevollmächtigte der Jungen Union, Trutz Graf Kerssenbrock, vor Gericht an.

Der SSW bekam bei der Landtagswahl im Mai 2012 für 4,6 Prozent der Stimmen drei Sitze und ist seitdem erstmals Teil der Regierung. „Wir warten voller Respekt die Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes ab“, sagte Ministerpräsident Torsten Albig (SPD). Im Sommer hatte er es als äußerst unwahrscheinlich bezeichnet, dass die Regierungsmehrheit kippen wird. Sollte es doch so kommen, werde es Neuwahlen geben. Eine Minderheitsregierung, etwa toleriert von den Piraten, schloss er aus.

Mitte Juni hatte das Verfassungsgericht sieben Stunden lang mündlich über Wahlprüfungsbeschwerden im Nachgang der Landtagswahl verhandelt. Anschließend ließ Gerichtspräsident Bernhard Flor keinerlei Tendenzen im Bezug auf die Entscheidung erkennen. Lediglich eine erneute Neuwahl-Anordnung wie bei der umstrittenen Entscheidung des Gerichts aus dem Jahr 2010 stufte er als eher unwahrscheinlich ein.

Denkbar sind mehrere Rechtsfolgen: So könnte das Gericht zu der Einschätzung kommen, dass der SSW nicht mehr die Partei der dänischen Minderheit und dessen Befreiung von der Sperrklausel deshalb verfassungswidrig ist. Das Gericht könnte eine Neuverteilung der Sitze anordnen und damit die knappe Regierungsmehrheit kippen. Der aktuelle Landtag könnte aber auch Bestandsschutz erhalten – verbunden mit dem Auftrag, das Gesetz zu ändern. Denkbar ist auch, dass die Richter die Fünf-Prozent-Klausel selbst für verfassungswidrig erklären und diese senken oder gar abschaffen, wie von den Piraten gefordert.

Gerichtspräsident Flor hat die Befreiung des SSW von der Sperrklausel in den historischen Zusammenhang zu den Bonn-Kopenhagener-Erklärungen von 1955 gestellt, mit denen die Bundesrepublik und Dänemark den Schutz der Minderheiten fixiert hatten. Nach Ansicht von Ex-Innenminister Hans Peter Bull, der den Landtag vertritt, werde sich der Ausgang des Verfahrens auf das Verhältnis zu Dänemark auswirken. Die Beschwerdeführer stellten im Kern die Minderheitenpolitik des Landes infrage, die dazu beigetragen habe, alte Konflikte auszuräumen.

FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki geht davon aus, „dass das Landesverfassungsgericht eine Überprivilegierung des SSW feststellen und das vollständige Wegfallen der Fünf-Prozent-Hürde für den SSW als Verstoß gegen die Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen sehen wird“. Aus Gründen des Vertrauensschutzes werde das Gericht die notwendige Neuregelung des Wahlrechts aber erst zur Landtagswahl 2017 anordnen, sagte er der Nachrichtenagentur dpa.

Die Koalitionsspitzen demonstrieren vor der Verkündung der Entscheidung unterdessen weiter Gelassenheit. „Ich halte die Hoffnungen der schlechten Wahlverlierer von CDU und FDP, dass das Verfassungsgericht den Sonderstatus des SSW und damit die Regierungsmehrheit kippen wird, für völlig unbegründet“, sagte SPD-Landeschef Ralf Stegner. Ähnlich sieht es Grünen-Fraktionschefin Eka von Kalben: „Wir gehen davon aus, dass wir in der Küstenkoalition erfolgreich weiterregieren werden.“

Auch SSW-Landeschef Flemming Meyer gibt sich unbesorgt. Ihn beunruhige aber, dass der als Kläger auftretende stellvertretende CDU-Landeschef und Landesvorsitzende der Jungen Union, Frederik Heinz, „vor Gericht so weit gegangen ist, die Existenz der dänischen Minderheit an sich infrage zu stellen“, sagte er der dpa. Das sei eine neue Qualität. „Wir werden uns, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens, ernsthaft damit befassen müssen, wie wir damit umgehen wollen.“