Hunderte Schiffe ziehen während der Kieler Woche ihre Bahnen auf der Förde. Problematisch für die alltäglichen Fähren – es wird eng. Die Kapitäne müssen trotz Ausnahmezustand den Fahrplan einhalten.

Kiel. Hollywood und Kiel liegen Tausende Kilometer entfernt, aber es erinnert schon ein wenig an einen Piratenfilm, was Dennis Bachmann gerade sieht. Fünf oder sechs große, traditionelle Segelschiffe steuern auf ihn zu, die Segel stramm in Wind. Dahinter eine Armada kleinerer Segler, wendig und schnell. „Wenn wir keine Kieler Woche haben, ist es nicht mal die Hälfte“, brummt Bachmann. Er arrangiert sich damit, Stress bereitet es ihm aber schon, wie er sagt. Bachmann ist Kapitän einer Fähre in der Kieler Förde, quasi ein Busfahrer auf dem Wasser. Die Fähre bringt Tag für Tag Menschen zu den Anlegern und Stadtteilen der Landeshauptstadt. Wenn einmal im Jahr die Kieler Woche ansteht, wird das zu einer kniffligen Aufgabe: Beim weltgrößten Segelereignis wird es eng auf dem Wasser.

Dabei haben es die Fähren auch bei normalem Hafenbetrieb schon schwer. Kreuzfahrt- und Containerschiffe sind in Kiel jeden Tag unterwegs. Segler bei gutem Wetter sowieso. Kieler Woche bedeutet Ausnahmezustand. „Wenn so etwas wie die Windjammerparade auf dem Programm steht, ist alles, was irgendwie schwimmen kann, auf der Förde“, sagt Bachmann. Bachmanns Schicksal ist das jener Menschen, die bei Großereignissen den normalen Betrieb aufrechterhalten müssen: Von den Fährenfahrern beim Hamburger Hafengeburtstag bis zu den Buslenkern beim Münchner Oktoberfest.

„So. Jetzt sind die ersten fünf Minuten Verspätung da“, sagt Bachmann und ärgert sich über ein Segelschiff, das links neben seiner Fähre zuckelt und den Weg zum Anleger versperrt. „Segler denken oft, dass sie sowieso Vorfahrt haben“, sagt der 38-Jährige. Hinzu kämen überraschende Manöver. Während die kleineren Segelschiffe wendig sind, braucht Bachmann mit seinem über 30 Meter langen Damper 200 Meter Bremsweg, bis er steht. Den kleineren Booten sei das aber oft nicht bewusst. Einige wollten auch testen, wie nah sie an die großen Schiffe ran kommen. „Mich wundert das. Sein Boot und sein Leben will man ja in der Regel behalten“, sagt Bachmann. Die Schlepp- und Fährgesellschaft Kiel rechnet in der Kieler Woche mit 2000 bis 3000 Seglern, die von außerhalb in die Stadt kommen. Seit einigen Jahren würden sie mit Infoschreiben auf ein friedliches Miteinander auf dem Wasser eingestimmt.

„Verkehrsmäßig ist die Kieler Woche der Supergau“, sagt Bernhard Kaczenski von der Kieler Wasserschutzpolizei. Und dennoch: Ganz selten passiere etwas. Vor drei Jahren sei mal ein Segler mit einer Fähre zusammengestoßen – er habe ein unerlaubtes Manöver gemacht. Außer dem Boot sei aber nichts zu Schaden gekommen. „Es ist bewundernswert, wie sich die Fährenkapitäne da durchschlängeln“, sagt Kaczenski. Zu deutlich mehr Regelverstößen als gewöhnlich käme es bei der Kieler Woche nicht, erklärt die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Ein Verstoß ist zum Beispiel das unerlaubte Queren des Fahrwassers.

Aber selbst wenn sich alle an die Regeln halten: Die große Menge an Schiffen macht das Navigieren zur Herausforderung. Vor allem weil es Grauzonen gibt, sagt Kapitän Bachmann. „Im Grunde läuft es auf dem Wasser ähnlich wie im Straßenverkehr. Rechts vor links. Das Problem ist: Bei uns gibt es mehr Ermessensspielraum“, sagt er. Der Grund: Eine durchgezogene Begrenzungslinie wie auf einer Autobahn fehlt. Wenn Bachmann erklärt, wer in dem Gewusel zum Beispiel als Überholer gilt, wird es kompliziert. Definitionen wie „Ein Strich achterlicher als querab“ fallen dann. Dreimal muss er die Tour vom Kieler Bahnhof bis zum Vorort Laboe fahren, das sind gut zehn Stunden Arbeit.

Bevor er vor drei Jahren in Kiel anfing, war Bachmann 15 Jahre lang mit Containerschiffen auf den Weltmeeren unterwegs. Vermisst er die Reisen auf den großen, weiten Ozeanen? „Wenn man nach Hongkong einfährt, ist es auch eng“, sagt Bachmann. Kiel ist vielleicht nicht Hollywood. Aber schon ein bisschen Hongkong.