Nach der Ablehnung einer Landaufspülung für Hotels und Wassersport setzt die Hochseeinsel Helgoland mit aller Kraft auf Windenergie.
Helgoland. Selten dürfte dem Bürgerentscheid einer kleinen, nur 1400 Einwohner großen Gemeinde so viel Beachtung zuteil geworden sein. Doch am 26. Juni 2011, so gegen 19 Uhr, schauten republikweit Redaktionen auf neueste Nachrichten vom berühmten roten Felsen in der Nordsee. Dort, etwa 70 Kilometer vom Festland entfernt, votierten die Insulaner über ein Vorhaben, von dem selbst das japanische Fernsehen berichtet hatte: Eine gigantische Aufspülung sollte Hauptinsel und Badedüne wieder verbinden - so wie es noch im 18. Jahrhundert gewesen war, bevor eine Sturmflut eine Bresche durch beide Teile geschlagen hatte.
Platz wäre für neue Hotels, Strände. Yachthäfen, Wassersport - und das alles auf Deutschlands einziger Hochseeinsel. Wochenlang gab es erbitterte Diskussionen auf der Insel. Nur die Aufspülung könne die ersehnte Trendwende bringen, sagten die einen und verwiesen auf einen dramatischen Schwund bei Tagesgästen und Einwohnern. Wir zerstören unsere Einzigartigkeit, sagten die anderen.
Dann um 19 Uhr die Ernüchterung: Eine Mehrheit von rund 54 Prozent entscheid sich gegen die spektakulären Spülpläne. Und nun? Versinkt die Insel weiter in Agonie, ist alle Kraft für einen Neuanfang verraucht? "Mitnichten", sagt der alerte Bürgermeister Jörg Singer, der selbst zu den Befürwortern gehörte. Anfang des Jahres ist der studierte Wirtschaftsingenieur erst ins Amt gekommen, viele auf der Insel hatten sich neuen Schwung von ihm versprochen. Der in Konstanz geborene Singer lebte als Schüler einige Zeit auf der Insel, weil sein Vater, ein Architekt, dort arbeitete. Später arbeitete Singer in den USA im Bereich Windenergie. Und genau das Thema Windenergie und ihre Nutzung auf hoher See, die Offshore-Technik, soll jetzt Helgoland neue Puste für ein zweites Leben bringen. Rund 27 Millionen Euro werden dazu jetzt auf Helgoland investiert, um die Insel als Basis für die neuen Offshore-Anlagen herzurichten. "Das ist die größte Investition nach dem Wiederaufbau in den 50er-Jahren", sagt Singer zu dem Plan B der Insel. Aber, so versichert er, dieser Ausbau werde nicht zulasten des Tourismus geschehen, beides sei miteinander verträglich.
Und was wurde aus ...?
Tatsächlich konzentriert sich der Ausbau vor allem auf den Südhafen. Ein bisher weitgehend brachliegendes Areal neben dem Yachthafen. Vor Jahrzehnten fanden bei Sturm dort Fischkutter Schutz. Das Areal gehörte bisher dem Bund und wurde vor einigen Jahren erst von der Gemeinde Helgoland übernommen, die eigens eine Hafengesellschaft gründete. Drei Betreiber von Windkraftanlagen auf See, so die Pläne, werden dort Servicestationen aufbauen und Liegeplätze für Wartungsschiffe unterhalten. Das Energieunternehmen RWE werde bereits 2012 mit 60 Mitarbeitern und fünf Schiffen nach Helgoland kommen, sagt Singer. Geplant seien Pachtverträge, die Laufzeiten bis zu 50 Jahre hätten. Gut 150 neue Bürger könnten dauerhaft auf Helgoland leben. Neue Wohnprojekte sind geplant, mit internetbasierten Lernmethoden soll die Inselschule zum Pionier modernen Lernens werden, um auch Kindern von "Offshore-Familien" einen guten Start zu ermöglichen. Bereits ab Sommer 2013 soll Helgoland als Offshore-Basis in vollem Betrieb sein.
Und auch im Tourismus sieht der Insel-Bürgermeister weitere Chancen: Nicht zuletzt weil zwar der Tagestourismus nicht mehr die Bedeutung von früher hat - dafür aber die Zahl der Gäste ansteigt, die länger bleiben und auch übernachten. Ein Problem ist da allerdings noch immer die gelegentlich unsichere Schiffsverbindung. Wegen des sturmreichen Sommers gab es dieses Jahr einige Ausfälle. Bürgermeister Singer setzt daher darauf, dass langfristig Reeder in einen robusten Schiffstyp investieren, der auch bei rauem Wetter zum Einsatz kommt.
Das Thema Landaufspülung indes ruht derzeit weitgehend auf Helgoland. "Alle Untersuchungen empfehlen uns, Land zu gewinnen, um alle Lebensbereiche zu stärken", sagt Singer. Daher würden weiter alle Möglichkeiten zur Flächengewinnung geprüft - aktuell gebe es aber keine konkreten Initiativen mehr. Doch ganz vom Tisch ist die Frage nicht. Singer: "Wenn wir überzeugt sind, dass wir für die Zukunft der Insel mehr Land benötigen und im Bestand nicht weiterkommen, wird die Frage wieder neu gestellt und beantwortet werden müssen."