Der 48-jährige einstige Sprecher dreier Bundesfinanzminister will am Sonntag in Kiel die CDU aus den Regierungssesseln stoßen.

Berlin. Torsten Albig soll der Mann sein, der seiner SPD in der Riege der Ministerpräsidenten wieder zur Mehrheit verhilft. Der 48-jährige einstige Sprecher dreier Bundesfinanzminister will am Sonntag in Kiel die CDU aus den Regierungssesseln stoßen. Sollte er Erfolg haben, wäre es ausgerechnet ein Mann ohne Partei- und Parlamentskarriere, mit dessen Hilfe die SPD künftig acht und die CDU nur noch sechs Ministerpräsidenten stellen würde.

Für Albig selbst dürfte dieses Symbol der Machtverschiebung kaum eine Rolle spielen. Im Sommer 2009 hat er Berlin verlassen, um als Oberbürgermeister die Landeshauptstadt Kiel zu regieren. Seit dem Umzug von der Spree an die Förde hat sich sein Blick auf die Bundespolitik verändert, die er Selbstbetrachtungswelt nennt, die sich mit sich selbst statt mit der Realität befasse.

Als Sprecher und Vertrauter von Finanzminister Peer Steinbrück hatte Albig bisweilen von oben herab die Zwänge der europaweiten Schuldenkrise erläutert. Als Stadtoberhaupt erfuhr er die Nähe zum Bürger. Auf eine gewisse Weise scheint er fast geläutert, wenn er nun davon spricht, dass Investitionen in Bildung nötig seien, um die „Reparaturkosten der Gesellschaft„ etwa für lebenslange Hartz-IV-Abhängigkeit zu verringern.

Albig ist der erste von drei populären Oberbürgermeistern, den die SPD bei den Landtagswahlen in diesem und im nächsten Jahr ins Rennen schickt. Wie seine Kollegen in Hannover und München (Stephan Weil und Christian Ude) ist Albig kein Politiker mit einer Parteikarriere. Sie stehen für Bürgernähe und Pragmatismus statt Parteiengezänk.

Das kommt im nördlichsten Bundesland gut an. Dort sind die Gräben zwischen CDU und SPD besonders tief und durch persönliche Fehden noch verstärkt worden. Albig – verheirateter Vater zweier Kinder – pflegt inzwischen einen Stil, der auf Ausgleich statt auf Attacke bedacht ist. Der in Bremen geborene Jurist begann seine Karriere 1992 in der Steuerverwaltung des Landes Schleswig-Holstein, wechselte in dessen Landesvertretung in Bonn - und fand sich im Planungsstab des damaligen SPD-Parteichefs Oskar Lafontaine wieder. Nach dem Bundestags-Wahlsieg für Rot-Grün 1998 wurde er Pressesprecher des Finanzministers Lafontaine. Nach dessen fluchtartigem Abgang blieb Albig als Sprecher des Nachfolgers Hans Eichel. Nach einem Zwischenspiel als Konzernsprecher der Dresdner Bank und Stadtkämmerer in Kiel kehrte Albig 2006 als Sprecher des damaligen Finanzministers Peer Steinbrück auf die bundespolitische Bühne zurück.

In seiner wechselvollen Karriere hat Albig Risiken nicht gescheut. Als er im Frühjahr 2009 zur Oberbürgermeisterwahl in Kiel antrat, siegte er überraschend bereits im ersten Wahlgang gegen die nicht unpopuläre Amtsinhaberin der CDU. Auch bei der Entscheidung über die Kandidatur für das Ministerpräsidentenamt ließ er die Wähler entscheiden – in dem Fall die SPD-Mitglieder, die ihn mit einer Mehrheit von 57 Prozent auf den Schild hoben.

Manche seiner Anhänger verärgerte er mit der Entscheidung, seinen unterlegenen Konkurrenten, SPD-Landes- und Fraktionschef Ralf Stegner, nicht zu verstoßen. Der Stratege Stegner, der im SPD-Parteivorstand die Linken koordiniert, polarisierte im Norden und wurde als „Roter Rambo“ beschimpft. „Er kennt die Partei besser als ich“, macht Albig die Rollenverteilung klar. Dennoch streuen Stegner-Kritiker weiter den Argwohn, dass am Ende Stegner unter Albig den Kurs bestimmen könnte. Bisher haben beide aber keine Zweifel an ihrem Zusammenhalt genährt.

Am Mittwochabend lieferte sich Albig ein TV-Duell mit CDU-Spitzenkandidat Jost de Jager (CDU). Der Sozialdemokraten-Nachwuchs hatte rote Fahnen und auch einige gefälschte CDU-Wahlplakate dabei. Die Kontrahenten bildeten für de Jager ein Spalier und stimmten ein rhythmisches „Jost de Jager Ministerpräsident“ sowie „Hier regiert die CDU“ an. Die Jusos konterten mit einem knackigen „Noch“. Während de Jager sich feiern ließ, nahm Albig einen anderen Eingang ins Funkhaus.

Vier Tage vor der Landtagswahl im nördlichsten Bundesland stellten sich die beiden Politiker in einem einstündigen TV-Duell den Fragen von NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz. Dabei lieferten sie sich einen Schlagaustausch vor allem bei den wichtigen Themen Bildungs- und Finanzpolitik. Wirtschaftsminister de Jager warf Albig vor, nur „konkret zu werden, wenn es ums Geld ausgeben geht“. Seine Partei hingegen habe mit dem harten Sparkurs erst Freiräume für Investitionen geschaffen.

Der Sozialdemokrat wiederum bemängelte bei der CDU fehlenden Gestaltungswillen. Die Union betreibe Politik mit der „Attitüde eines Mathematikers“. Die SPD wolle den Bildungsbereich stärken, weniger Lehrerstellen streichen und das Landesblindengeld auf 300 Euro anheben. Beim Sparen gebe es aber auch für die SPD „keine Tabubereiche“. CDU-Vorwürfe, dass die SPD die Gymnasien langfristig abschaffen wolle, wies Albig kurz und knapp als „Unfug“ zurück.

CDU und SPD liefern sich in Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Gesucht wird ein Nachfolger für den scheidenden Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU). Albig liegt bei den Persönlichkeitswerten in den Umfragen vorn. Regieren will er nach der Wahl mit den Grünen, braucht dazu aber voraussichtlich den Südschleswigschen Wählerverband (SSW), die Partei der dänischen Minderheit.

Ein solches Bündnis mit dem SSW funktioniere auf kommunaler Ebene in Kiel gut, sagte Albig. Angriffe der CDU auf eine solche Koalition im Wahlkampf seien nicht anständig. Der CDU sei es unterschwellig vor allem darum gegangen, die Rechte der Minderheitenpartei infrage zu stellen. „Der SSW ist eine Partei wie jede andere“, betonte Albig.

CDU-Mann de Jager wies Vorwürfe zurück, Ressentiments gegen die Minderheiten-Partei zu schüren. Gleichwohl sei „eine solche Dänen-Ampel nicht stabil“, sagte er.

Nach dem Duell zeigten sich beide Seiten zufrieden mit dem Verlauf. Das Gespräch sei kämpferisch gewesen, sagte de Jager. „Sehr eindeutig“ machte er dabei Vorteile für sich aus. Albig empfand den Verlauf als „ganz okay“. Darüber werde die SPD die Wahl nicht verlieren.

Der Politikwissenschaftler Joachim Krause von der Kieler Christian-Albrechts-Universität sagte in einem dapd-Interview, Albig habe in dem Duell stark angefangen. Sein Kontrahent sei zunächst wegen der unglücklichen Kampagne gegen eine Dänen-Ampel fast hoffnungslos in der Defensive gewesen. „Allerdings hat dann de Jager bei den energiepolitischen, haushaltspolitischen und den wirtschaftspolitischen Themen deutlich mehr Kompetenz gezeigt als Albig, der sich viel zu häufig in Allgemeinheiten verlor“, urteilte Krause.

Nach Angaben des NDR hatte das TV-Duell insgesamt 340.000 Zuschauer, darunter 150.000 in Schleswig-Holstein.

Mit Material von rtr und dapd