Wedel. Die Albert-Schweitzer-Schule will den gebundenen Ganztag abschaffen. Eltern protestierten. Nun rudert die Schulleitung zurück.

Als sie von den Plänen an der Schule ihres Sohnes hörte, war die Wedelerin Verena Heyer fassungslos. Denn: Die Schulleitung der Albert-Schweitzer-Grundschule (ASS) in Wedel wollte den gebundenen Ganztag als Schulform abschaffen und zum nächstmöglichen Zeitpunkt in den offenen Ganztag wechseln. Grund: akute Personalnot. Nach der Schulkonferenz hätten noch die Stadt Wedel und das Land Schleswig-Holstein zustimmen müssen.

Bislang ist die Bildungsstätte an der Pulverstätte eine der wenigen Schulen in Schleswig-Holstein, die den gebundenen Ganztag anbietet. Das bedeutet: Die Grundschüler der Klassenstufen 1 bis 4 werden von Montag bis Donnerstag dort von 8 bis 16 Uhr unterrichtet und betreut, freitags bis 13 Uhr. Diese Verweil- und Lernzeiten – angepasst an den Bio-Rhytmus der Kinder – sind verpflichtend – und sogar kostenfrei für die Eltern.

Albert-Schweitzer-Schule: Wechsel in offenen Ganztag – Schulleiterin rudert zurück

Der ursprüngliche Plan war, auf der Schulkonferenz am 15. November über einen Beschluss abstimmen zu lassen. Doch nun rudert Schulleiterin Silke Bachmann nach Abendblatt-Anfrage zurück. In einer Mitteilung heißt es: „Der Antrag zur Umwandlung der ASS in eine offene Ganztagsschule wird durch die Schulleiterin zurückgezogen. Stattdessen soll mit den Schulkonferenzmitgliedern über die Situation und eventuelle Vorschläge der Schulaufsicht beraten werden.“

In den vergangenen Tagen sei in der Öffentlichkeit die Frage aufgeworfen worden, wie es um die Zukunft des gebundenen Ganztags an der Albert-Schweitzer-Schule bestellt sei. Die Rektorin habe laut Mitteilung einen internen Prozess initiiert, um die Zukunft des Ganztagsunterrichts an der ASS zu diskutieren.

Schulamt und Bildungsministerium erklärten, Status Quo solle bleiben

„Dazu lag den Schulkonferenzmitgliedern ein entsprechender Antrag zur Beschlussfassung vor. In diesem Zusammenhang haben Schulamt und Bildungsministerium erklärt: Der gebundene Ganztag an der ASS soll erhalten bleiben können. Schulleitung, Schulamt und Oberste Schulaufsicht im Bildungsministerium sind dazu erneut zu Beratungen zusammengekommen“, so die Schulleitung.

Für die weitere Ausgestaltung des Ganztagsangebotes werde nun kurzfristig ein Prozess mit Prüfung aller Optionen innerhalb der Schule unter Beteiligung des Schulträgers und der Elternschaft sowie in Mitwirkung der Schulaufsicht initiiert. „Ziel ist es, im Konsens mit allen Beteiligten ein mittelfristig tragfähiges Konzept für das Ganztagsangebot an der Albert-Schweitzer-Schule zu entwickeln, das den Bedürfnissen der Kinder und Eltern gerecht wird.“

Problemlösung ohne Beschlussfassung wird nun angestrebt

Es sei daher im Sinne der Schule, die Problemlösung zunächst ohne Beschlussfassung in der Schulkonferenz anzugehen. „Wenn die Ergebnisse des Bildungsministeriums vorliegen, können weitere Beratungen – und ggf. Beschlüsse – zu einer tragfähigen Lösung eingeleitet werden. Dies geschieht selbstverständlich unter Beteiligung aller an Schule eingebundenen Personen.“

Für Verena Heyer bedeutet dies, vorläufig durchatmen zu können. Heyers Sohn Mads geht in die erste Klasse. Würde der gebundene Ganztag wegfallen, „wäre dies eine katastrophale Wendung für den Stadtteil und ein Armutszeugnis für die Bildungslandschaft Schleswig-Holsteins.“ Im Bundesdurchschnitt seien laut einer IQB-Studie (Institut für Qualität im Bildungswesen) 19 Prozent der Schulen im gebundenen Ganztagsbetrieb, in Schleswig-Holstein liege diese Quote nur bei mageren 1,8 Prozent.

Wedelerin hält gebundenen Ganztag für „Vereinabrkeit von Familie und Beruf“ besser

Heyer, die seit zehn Jahren in Wedel lebt, und bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion ist, hält den von der Schulleitung ursprünglich eingeschlagenen Weg für komplett falsch. „Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Chancengleichheit der Schüler ist die bisherige Lösung weitaus besser.“

Denn: Im Einzugsgebiet Elbhochufer und Schulau gebe es auch Kinder aus bildungsfernen Schichten und einen hohen Migrationsanteil. Gerade für die Kinder jener Familien sei es laut Heyer wichtig, etwaige sprachliche Defizite durch ein längeres Beisammensein in der Schule besser ausgleichen zu können. Schließlich würde in diesen Familien zu Hause teilweise gar kein Deutsch gesprochen.

Für Kinder mit Migrationshintergrund sei ein langer Schulalltag wichtig

Dies sieht auch René Rosenbaum, Geschäftsführer des gleichnamigen Wedeler Autohauses so. Selbst eine Deutschlehrerin habe ihm bestätigt, dass ein dauerhafter Austausch in deutscher Sprache auf dem Schulgelände, jene Kinder sprachlich besser voranbringe, als der Unterricht selbst.

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Auch Rosenbaum fordert, dass der gebundene Ganztag bleiben müsse: „Die Eltern haben sich mit Absicht für diese Schule und für dieses Konzept entschieden. Meine Tochter Emilia geht in die erste Klasse und mein Sohn soll in drei Jahren dieselbe Schulform wahrnehmen können.“ Viele Lehrer würden ebenfalls dort gern unterrichten und hätten sich die ASS bewusst ausgesucht, weil sie die Gestaltungsmöglichkeiten für Unterricht und Freizeit im gebundenen Ganztag schätzen würden.

Verena Heyer ist Mutter und auch bildungspolitische Sprecherin der Wedeler Grünen-Fraktion.  
Verena Heyer ist Mutter und auch bildungspolitische Sprecherin der Wedeler Grünen-Fraktion.   © Lilly Petri | Lilly Petri

Für die anstehende Schulkonferenz am 15. November war die Umwandlung bereits auf der Tagesordnung vermerkt. Unter Punkt 3 hieß es: „Beschlussfassung über den Antrag „Umwandlung des gebundenen Ganztags zur offenen Ganztagsschule an der Albert-Schweitzer-Schule.“ Die Kinder sollten vormittags unterrichtet werden, mittags folge dann auf freiwilliger Basis eine Schulkindbetreuung, die Geld kostet. Und möglicherweise daher auch nicht von allen Familien genutzt werden könnte.

Der Hauptgrund, den bisherigen Weg der Ganztagsbetreuung verlassen zu wollen, ist aus Sicht der Schulleitung die Personalsituation. Seit dem Schuljahr 2016/17 seien beispielsweise sechs neue Lehrkräfte dazugekommen. 14 hätten die Schule wieder verlassen, drei seien in den Ruhestand gegangen. Die aktuelle Personalsituation, sowohl in der Lehrerschaft als auch im Ganztag, sei seit etlichen Jahren „extrem angespannt“, heißt es in einem Schreiben, das dem Abendblatt vorliegt.