Wedel. Bei der Sanierung der Bahnsteige wurde ein wichtiges Detail vergessen. Das kritisieren nun Volker König und die SPD der Stadt.
78 Jahre ist Volker König nun alt. Das betagte Alter hält ihn aber nicht davon ab, sich weiter für seine Rechte und die seiner Mitmenschen einzusetzen. Mit großer Leidenschaft. Schließlich kämpft er schon seit 55 Jahren – vor allem für die Belange von sehgeschädigten Menschen. Und für die gibt es gerade ein Problem am S-Bahnhof Wedel.
König lebt Inklusion vor: Der Wedeler ist seit 1968 blind und muss sich daher vornehmlich auf sein Gehör und den Tastsinn verlassen können, um ohne Augenlicht trotzdem bestmöglich – und sicher – die Welt erkunden zu können.
Gefahr am Wedeler Bahnsteig: Sehbehinderten drohen ohne Blindenleitsystem Unfälle
Am S-Bahnhof in Wedel wird es ihm nach einem Umbau am Bahnsteig nicht gerade leichter gemacht. Kürzlich ist er mit der S-Bahn nach Hamburg gefahren. Das Bodenleitsystem – also die geriffelten Plattenlinie entlang der Bahnsteigkante – ist entfernt worden. Auch, weil es nicht mehr DIN-gerecht war.
Stattdessen ist nun allerdings lediglich eine Farbmarkierung auf den neu geteerten Asphalt aufgetragen worden. Das ist der neue bauliche Endzustand. Für Sehende ist das kein Problem, für Wedeler wie König schon.
Der weißte Farbstreifen ist für Blinde mit dem Stock nicht ertastbar
Mit dem Blindenstock, auf den Sehbehinderte, die selbstständig ohne fremde Hilfe am Leben teilnehmen möchten, lässt sich dieser nicht ertasten. Und das kann zu brandgefährlichen Situationen führen.
Zumal auch der Abstand zwischen Kantstein und einfahrendem Zug mit etwa 19 Zentimetern genug Raum für folgenschwere Fehltritte bietet. Das Problem einer so großen Lücke, auch beim Einstieg in die geöffnete Bahn, sei jedoch ein bundesweites Phänomen, so Königs Ehefrau Marie-Luise,
Wedeler S-Bahnhof: Die Blindenleitstreifen waren seit 1984 fester Bestandteil
Am Wedeler S-Bahnhof waren seit 1984 die Blindenleitstreifen – wie von der Richtlinie der Deutschen Bahn gefordert – fester und wichtiger Bestandteil der Bahnsteigkante. Es war die erste Stadt Deutschlands mit solch einem System. Nun ist das System weg. Es soll in aller Schärfe auf das Problem hingewiesen werden – der Streifen müsse wieder eingebaut werden.
Volker König hat zwei unterschiedliche Varianten von den weißen Langstöcken mitgebracht und demonstriert an zwei unterschiedlichen Platten, wie die Vibration und auch das Geräusch einen Nicht-Sehenden davon abhalten, die Linie frühzeitig zu übertreten.
Volker König wird von der Wedeler SPD unterstützt
Unterstützung für eine Re-Installation des Blindenleitsystems erhält Volker König, der als Diplom-Ingenieur seit Jahrzehnten bundesweite und innovative Pionierarbeit für Sehgeschädigte geleistet hat, auch von der Wedeler SPD. Das Thema wird auch bei der nächsten Sitzung des Umwelt- Bau- und Feuerwehrausschusses am 29. Juni auf politischer Ebene erörtert.
Eine Anfrage von Wolfgang Rüdiger bei Wedels Fachbereichsleiterin für Bauen und Umwelt, Gisela Sinz, blieb bislang unbeantwortet. Grundsätzlich ist der S-Bahnhof in Wedel Sache des Betreibers. Betreiber der S-Bahn ist die S-Bahn-Hamburg GmbH, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG. Diese ist für Gleise und Bahnsteig zuständig, die Wedeler Verwaltung hat zumindest Mitspracherecht bei Entscheidungen, die das Bahnhofsgebäude selbst betreffen.
Bis 2026 sollen bundesweit sämtliche Bahnhöfe barrierefrei sein
Eine Bahnsprecherin verspricht auf Abendblatt-Anfrage, dass die Hilfen für Sehbehinderte nachträglich eingebaut werden: „In Wedel wurden die Bahnsteigkanten saniert, da sie Unebenheiten aufwiesen“, so die Unternehmenssprecherin. „Die taktilen Leitstreifen werden baldmöglichst aufgebracht. Wir bitten alle Betroffenen um Verständnis für die derzeitigen Beeinträchtigungen.“ Wann das passieren soll, lässt sie offen.
Bis 2026 sollen bundesweit alle Bahnhöfe barrierefrei sein, Ausnahmeregelungen sollen nicht mehr gelten. Es gibt ein Bundesprogramm Barrierefreiheit – im Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgehalten. Das Vorhaben war ursprünglich bereits für das Jahr 2022 geplant.
In Hamburg werde der Umbau der S- und U-Bahnhöfe für Menschen jedweder Beeinträchtigung forciert, so König. Da passe der Rückbau in Wedel überhaupt nicht ins Bild. Dieser Schritt sei einfach nicht zu begreifen, da sind sich König, Rüdiger und der ebenfalls anwesende SPD-Politiker Gerrit Baars einig,
Mit dem Experten Volker König habe niemand gesprochen
„Ich persönlich bin nicht zu dem Thema befragt worden. Obwohl ich Ende der 80er- und in den 90er-Jahren maßgeblich an der Planung solcher Infrastruktur in Wedel beteiligt war“, sagt König. Viele seiner Ideen konnten von nachfolgenden Tüftlern aufgenommen werden.
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Dank der Vehemenz Königs fanden innovative Erleichterungen für Sehgeschädigte ihren Weg durch Deutschland und auch aufs internationale Parkett. Unter anderem sorgte König dafür, dass 1994 bundesweit ein einheitliches Ampelsignal-System in Deutschland eingeführt wurde. Er hat zahlreiche Preise für seinen Einsatz erhalten, darunter 2004 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse.
Ertastbare Straßennamen in angenehmer Höhe – eine Erfindung Königs
Zuletzt erreichte seine Erfindung von ertastbaren Straßennamen auf kleinen Schildern bequem erreichbar an den Masten riesige Bekanntheit. Viele Städte – auch Hamburg – übernahmen das System. Vom Land Schleswig-Holstein erhielt König eine Ehrung gut 250 Schilder sind mit knapp 23.000 Euro aus dem Fonds für Barrierefreiheit gefördert worden.
Ende des Vorjahres wird Wedels Bürgermeister Gernot Kaser auf der Stadthomepage folgendermaßen zitiert: „Volker König hat mit den Straßenschildern für Sehbehinderte einen wichtigen Beitrag geleistet, um eine ganze Gesellschaftsgruppe besser am öffentlichen Leben teilhaben zu lassen.“ Zudem hob Kaser Königs „unermüdliche Beharrlichkeit“ hervor, mit der er das Projekt bis zur flächendeckenden Umsetzung gebracht habe.
Die allgemeine Entwicklung Wedels im Umgang mit sehbehinderten Menschen beurteilen sowohl Sozialdemokraten wie auch König weiterhin kritisch. „Maßnahmen für die Barrierefreiheit in Wedel haben im Laufe der Jahre eher abgenommen“, sagen sie. Auch an den Schulen in der Stadt. Auf den Schienenverkehr bezogen, sagt König: „Das Thema endet ja auch nicht in Rissen.“