Wedel. Wedel will 70 Jahre alte Straßen „erstmalig herstellen“ – und die Kosten von den Anwohnern kassieren. Das sorgt für Unmut.

Die Gemütslage bei den Anwohnern der Straßen Im Sandloch, Sandlochweg und Kleinsiedlerweg schwankt zwischen Erstaunen, Verzweiflung, Verärgerung, Wut und Galgenhumor. Wegen anstehender umfangreicher Baumaßnahmen in ihrer Wohnsiedlung sollen sie von der Stadt Wedel zur Kasse gebeten werden. Es geht um Erschließungskosten in Zeiten, in denen wegen der Krisen das Geld ohnehin knapp ist. Betroffen sind davon alle Grundeigentümer an den drei Straßen.

Wedel: Anwohner sollen für Straßenausbau zahlen

„Aus Sicht der Stadtverwaltung sind in ganz Wedel insgesamt fünf Straßen wohl nicht baukonform. In dreien davon leben wir“, sagt Thomas Buhse. Die drei Straßen sind kleine Nebenwege eines reinen Wohngebietes – ohne Durchgangsverkehr. Sie sind ein Teil der Moorwegsiedlung, einem Areal, in dem sich früher vornehmlich Geflüchtete ansiedelten. Heute sind es hauptsächlich Rentner und Familien, die sich dort etwas aufgebaut haben. Sie leben teils seit mehr als 60 Jahren dort.

„Doch die Straßen gelten laut Stadt bis heute als Provisorium“, sagt Frank Wehmeier. Seit den 50er-Jahren habe sich daran nichts geändert. „Aber jetzt, 70 Jahre später, sollen wir die Gebühren für die Ersterschließung bezahlen?“, ärgert sich Wehmeier. Eine bizarre Situation.

Aus Sicht der Anwohner ist die Zeitspanne entscheidend. Der Straßenzustand sei zwar klar verbesserungswürdig, aber erschlossen sei das Gebiet schon längst. Nach einer Bohrung im Auftrag der Stadt reiche der Asphalt-Ausbau aber nicht aus, um der Erschließungssatzung zu entsprechen. In einem Schreiben steht: „Die Stadt Wedel beabsichtigt, die oben genannten Straßen insgesamt erstmalig herzustellen.“ Gehwege, Straßen und Entwässerungssysteme sollen modernisiert werden, Parkflächen entstehen. Denn: „Die Infrastruktursysteme des Quartiers Im Sandloch, Sandlochweg und Kleinsiedlerweg sind veraltet und erfüllen nicht die Anforderungen einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung.“

Wedeler Anwohner sollen Erschließungskosten zahlen

Dieser Teil der Begründung sorgt trotz der prekären Lage für Erheiterung bei den Anwohnern, schließlich galt ihr Gebiet bisher auch nicht gerade als prestigeträchtig für die Wedeler Zukunft. Buhse und Wehmeier sind Teil einer neunköpfigen Arbeitsgemeinschaft, die sich jetzt formiert hat, um dagegen zu protestieren. 116 Haushalte hatten Mitte Oktober ein Schreiben erhalten, dass sie sich an den Kosten für die Baumaßnahmen beteiligen müssen: Etwa 30 Euro pro Quadratmeter der Grundstücksfläche sind es laut Kalkulation. „Ich habe 733 Quadratmeter Fläche, das Haus vor zwei Jahren gekauft. Die Kredite zum Abzahlen laufen. Und dann soll ich noch 22.000 Euro Erschließungskosten zahlen? Wie soll das funktionieren?“, fragt sich Buhse – und ist nicht allein.

Die Anwohner der Straßen Im Sandloch, Sandlochweg und Kleinsiedlerweg protestieren gegen die hohen Kosten.
Die Anwohner der Straßen Im Sandloch, Sandlochweg und Kleinsiedlerweg protestieren gegen die hohen Kosten. © Frederik Büll | Frederik Büll

Ein weiterer Anwohner berichtet von seinem 898 Quadratmeter großen Grundstück, einem bereits seit acht Jahren laufenden Kredit und nun zusätzlichen Kosten von knapp 27.000 Euro für die angebliche Ersterschließung. Einige vermuten, dass so Geld in die leere Stadtkasse kommen soll – schließlich könnten keine Steuern erhöht werden. Der Grundsteuerhebesatz sei mit 540 Prozent schon jetzt der höchste im Kreis Pinneberg.

Wedeler Anwohner machen ihrem Ärger im Bauausschuss Luft

Die Satzung der Stadt Wedel lässt Erschließungsbeiträge zu. Dort heißt es, dass zur Deckung der Kosten „Erschließungsbeiträge nach den Vorschriften des Baugesetzbuches und dieser Satzung“, erhoben werden. Beitragsfähig ist der Erschließungsaufwand auch „in reinen und allgemeinen Wohngebieten...“

Bei der jüngsten Bauausschusssitzung waren viele Anwohner auf den Besucherrängen, um gegen diese Beitragserhebung zu protestieren. 100 Unterschriften sind übergeben worden. „Von der Emotionalität her war es schon besonders. Der Ratssaal war rappelvoll und die Anwohner haben auf ihren Schildern ihre jeweiligen Kosten hochgehalten“, sagt der Ausschussvorsitzende Rainer Hagendorf (Bündnis 90/Die Grünen). Er habe Schilder mit einer Spanne von 12.000 bis 40.000 Euro gesehen. Laut Wehmeier liegt der Höchstbetrag bei 60.000 Euro.

Wedeler Grüne fordern, auf Ausbau zu verzichten

Die Grünen-Fraktion stellte den Antrag, die Maßnahme „Ausbau Im Sandloch“ aus der Investitionsplanung 2023 zu streichen und auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Aus Sicht der Politiker sei ein Ausbau dieser Straße „derzeit weder erforderlich noch sinnvoll.

„Die Straße wird im Wesentlichen von Anwohnern genutzt und befindet sich mit Ausnahme des Kreuzungsbereichs Sandlochweg in keinem ausbau- oder renovierungsbedürftigen Zustand“, heißt es. Die Kosten in Höhe von 360.000 Euro sollten auch vor dem Hintergrund eingespart werden, dass ein großer Teil der Investition über Erschließungsbeiträge der Anwohner in den Haushalt zurückfließen würde.“ Denn: „Vor allem in Zeiten hoher Inflation und explodierender Energiekosten stellen fünfstellige Erschließungsbeiträge für viele eine untragbare finanzielle Belastung dar, die zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig überflüssig ist.“

Weitere 170.000 Euro Kosten sind bislang im Haushalt für 2024 angesetzt. Im Jahr 2025 sollen dann die Erschließungsbeiträge von den Eigentümern kassiert werden. Planwert: 220.000 Euro.

Wedel: Wer soll die Kosten für die Erschließung tragen?

Laut dem Ausschussvorsitzenden Hagendorf soll dieser Antrag auch um die beiden anderen betroffenen Straßen erweitert werden, um in der nächsten Sitzung am 8. Dezember die Ausschussmitglieder darüber abstimmen zu lassen. Bislang steht der Ausbau des Sandlochweg für 2023 mit 60.000 Euro und im Jahr 2024 mit 800.000 Euro sowie im Jahr 2025 mit 400.000 Euro im Investitionsplan der Stadt Wedel. 2027 sollen dann 1,1 Millionen Euro von den Eigentümern kassiert werden. Der Kleinsiedlerweg wird mit insgesamt 530.000 Euro für 2024 und 2025 angesetzt. Hier plant die Stadt mit 495.000 Euro Erschließungsgebühren.

Wegen der aktuellen Baupreisentwicklung (gestörte Lieferketten, Inflation) dürften die Kosten eher noch steigen . Die Kalkulation der Gebühren stammt aber aus dem Jahr 2021. Für alle Beteiligten wird es in den kommenden Jahren noch teurer werden. Klagen der Betroffenen gegen die Gebühren sind aber auch erst möglich, wenn eine Rechnung über die Erschließungsgebühren im Briefkasten liegt. Die betroffenen Anwohner hoffen weiter auf ein Einlenken der Verwaltung. Immerhin hat sie schon eine Stundung der Beiträge in Aussicht gestellt.