Rellingen. Die Rellingerin Ingrid Holzknecht startet nun in der Altersklasse W80. Direkt vor den Corona-Absagen wird sie vierfache Deutsche Meisterin
Es hätte der Saisonhöhepunkt für Ingrid Holzknecht und die vielen weiteren deutschen Leichtathletiksenioren werden können oder sollen. Zu den Hallen-Europameisterschaften der gehobeneren Altersklassen in Braga/Portugal, die am 15. März beginnen sollten, hatten die Veranstalter mehr als 3000 Athleten und Athletinnen aus 51 Nationen erwartet. Alles Schnee von gestern. Auch diese Wettkämpfe sind den aktuellen Corona-Präventionsmaßnahmen zum Opfer gefallen.
Bei der 79 Jahre alten Rellingerin, die für die LG Elmshorn startet, hält sich indes der Frust in Grenzen über den Ausfall der EM, die unter normalen Umständen einen festen Platz in ihrem Wettkampfkalender gehabt hätte. „Ich habe leider schon vorher entscheiden müssen, dass ich in Portugal nicht teilnehmen werde“, sagte die Wurf- und Stoßspezialistin. „Mein Mann muss sich noch von seiner dritten Hüft-OP erholen und ist noch nicht mobil genug für so lange Reisen – und uns gibt es halt nur zusammen, wenn ich zu einem Wettkampf fahre.“
Ehemann Hans ist nämlich weit mehr als nur Lebenspartner der vielfachen Deutschen, Landes-, Europa- und Weltmeisterin. „Hans ist für mich auch Trainer, Seelenmasseur, Physiotherapeut, Zeugwart, Chauffeur und auch Statistikwart“, sagt Ingrid Holzknecht mit einem Schmunzeln. „Und jetzt, wo er mit seiner Hüfte zu tun hat, ziehe ich ihn auch ein wenig zum Training mit, damit es bei ihm wieder vorangeht.“
Das Ehepaar Holzknecht ist ein eingeschworenes Team
Also der Inbegriff des „Dream Teams“. Und der Göttergatte achtet gut auf seine Athletin. „Einmal, bei der technischen Abnahme der Sportgeräte vor einem Wettkampf, wollten sie Ingrids Speer wegen eines Millimeters Überlänge nicht akzeptieren“, erinnerte sich Hans Holzknecht. „Da habe ich mir den Speer nochmal geben lassen, den einmal kräftig mit der Spitze auf dem Boden aufgestoßen und die Kampfrichter dann nochmal messen lassen – dann war alles gut.“
Kunstgriffe, die Hans Holzknecht aktuell in Erfurt nicht heranziehen musste. Der Aufwand bei Anreise zu den Deutschen Hallen- und Winterwurf-Meisterschaften und Aufenthalt in Thüringens Landeshauptstadt war für das Duo problemlos zu bewältigen.
„Wahrscheinlich wären dieser Tage die Wettkämpfe in Erfurt ebenfalls abgesagt worden, aber auch da haben wir alle uns schon umsichtiger verhalten“, sagte Ingrid Holzknecht. „Da wurde zwar vereinzelt einander kurz ,umärmelt‘, weil wir alle doch eine große Leichtathletikfamilie sind und uns ewig kennen, aber größere Ansammlungen haben wir vermieden und haben auch unseren Aufenthalt bis auf je einen An- und Abreisetag nicht verlängert.“
Mit dem Hammerwurf ist Ingrid Holzknecht noch nicht zufrieden
Die 79-Jährige hat sich seit ihrem schweren Bergunfall 2016 im Großglocknergebiet (das Abendblatt berichtete) ganz auf die technischen Disziplinen spezialisiert. In Erfurt startete sie nun mit Kugel (8,77 Meter), Diskus (23,37 m), Hammer (25,85 m) und Speer (19,42 m) erstmals in der Altersklasse W80 – und vergrößerte prompt mit jedem der Geräte ihre ohnehin immense Sammlung an Goldmedaillen im heimischen Keller. „Leider hatte ich nur zwei Konkurrentinnen; in der Sommersaison sind wir doch ein wenig mehr“, sagte Holzknecht. „Bis dahin muss ich aber noch mit dem Hammer etwas mehr arbeiten, da bin ich mit meiner Leistung nicht zufrieden.“
Und vielleicht führt dieses Training Ingrid Holzknecht ja doch noch nach Braga: Wenn es realisierbar sein sollte, wollen die Veranstalter die Senioren-EM vom 10. bis 17. Januar 2021 nachholen.