Pinneberg. Widerstand gegen die Ausdünnung des Taktes zwischen Pinneberg und Hamburg wächst und wird jetzt Thema im Kreis- und Landtag.
- SPD-Kreistagsfraktion hofft auf Mehrheit für Resolution, um den Minister zu zwingen, im Takt zu bleiben.
- CDU Halstenbek pocht darauf, dass eine gute ÖPNV-Verbindung entscheidend ist, um Gewerbe anzusiedeln.
- Kieler Verkehrsministerium gibt dem Bund die Schuld an den geplanten Kürzungen.
Der Widerstand gegen die geplante Ausdünnung der S-Bahn-Fahrten zwischen Pinneberg und Hamburg wächst und wächst. Vor wenigen Tagen hatten die Bürgermeister aus der Stadt-Land-Kooperation Pinneberg in einem Brandbrief das schleswig-holsteinische Verkehrsministerium aufgefordert, die für den Winter angekündigten Taktkürzungen der S3 nach Pinneberg zurückzunehmen. Jetzt wird sich auch der Pinneberger Kreistag mit dem Thema beschäftigen.
Die SPD-Fraktion wird zur nächsten Kreistagssitzung am 29. Mai eine Resolution einbringen, die geplanten Taktverschlechterungen auf der Linie S3 zwischen Elbgaustraße und Pinneberg zurückzunehmen. Nach Ansicht der Sozialdemokraten hat sich der erst vor anderthalb Jahren durchgehend eingeführte Zehn-Minuten-Takt bewährt. Die Bahnen seien gut ausgelastet, Arbeitnehmer auch nach 20 Uhr unterwegs und das Einkaufs- und Freizeitverhalten bei der geplanten Taktverschlechterung überhaupt nicht berücksichtigt.
FDP-Abgeordnete befürchtet einen schlechten PR-Bluff des Ministers
Annabell Krämer aus Quickborn etwa, die für die FDP im Landtag arbeitet, verweist darauf, dass gerade im bevölkerungsreichsten Landkreis auch am meisten für den Umstieg auf den Nahverkehr bewirkt werden könne. Sie befürchtet einen PR-Bluff und meint, dass genügend Geld für den Nahverkehr da sei. Minister Claus Ruhe Madsen wolle sich nur in letzter Minute als Retter des Zehn-Minuten-Takts feiern lassen.
Um gegenzusteuern, bringt die SPD-Landtagsfraktion einen Antrag zur nächsten Sitzung ein. Angesetzt ist dazu eine halbstündige Debatte am Freitag, 24. Mai, um 11.30 Uhr. Niclas Dürbrook, der verkehrspolitische Sprecher der SPD, sagt: „Verlässlichkeit zeigt sich grade auch durch gute Verbindungen in den Randzeiten.“ Die Landesregierung versuche, den schwarzen Peter nach Berlin zu schieben. Das sei für die SPD-Fraktion nicht nachvollziehbar. Dürbrook: „Die Landesregierung ist verantwortlich für den ÖPNV im Land. Der Bund leistet dazu einen finanziellen Beitrag. Eine Vollfinanzierung aus Berlin, wie man sie sich in der schleswig-holsteinischen Landesregierung offenbar wünschen würde, ist nirgendwo vorgesehen.“
Halstenbeks CDU macht Bundesregierung für Kürzungen im Nahverkehr verantwortlich
Unterstützung für das Pinneberger Anliegen kommt auch aus der starken Nachbargemeinde Halstenbek. Dort wirft sich die CDU, deren Junge Union sich mehrfach auch mit anderen Initiativen wie Sammeltaxis für besseren Nahverkehr stark machte, in die Bresche. Um Gewerbe anzusiedeln, bedürfe es einer guten Nahverkehrsanbindung, betont Leon Lienau, junger Ortsvorsitzender der Union. Seine Partei macht aber nicht die Landes-, sondern die Bundesregierung für die drohenden Taktkürzungen verantwortlich.
In das gleiche Horn stößt die Junge Union auf Landesebene. Justus Schmitt, stellvertretender Landesvorsitzender der JU sagt: „Nachdem schon die Planungsbeschleunigung des geplanten Ausbaus der A23 dem Koalitionsstreit der Ampel-Regierung zum Opfer fiel, ist der Bund durch seine Verweigerungshaltung, die Regionalisierungsmittel für die Schiene aufzustocken, erneut der Bremsklotz zulasten einer zukunftsgewandten Mobilität im Kreis Pinneberg. Die Bundesregierung spart hier an der völlig falschen Stelle.“
HVV: Bürgermeister protestieren gegen Taktverschlechterung der S-Bahn
In einem mehrseitigen, offenen Brief hatten sich zuvor die Bürgermeister aus Pinneberg und dem Umland an Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen gewandt. Gemeinsam fordern sie, die Entscheidung rückgängig zu machen. Erbost sind die Verwaltungschefs auch deshalb, weil sie von den Kürzungsplänen der Landesregierung aus dem Abendblatt erfahren haben.
Unter anderem plant das Verkehrsministerium, die Taktung der Linie S3 Pinneberg-Hamburg von einem Zehn- auf einen 20-Minuten-Takt in Randzeiten wie etwa von 20 Uhr abends bis 8 Uhr morgens oder ganztags an den Wochenenden zu verlängern. Geplant ist diese Verschlechterung für die Menschen im Kreis Pinneberg mit Beginn des Winterfahrplanes im Dezember 2024. Gegebenenfalls sei sogar ein 30-Minuten-Takt denkbar.
Bei allem Verständnis für die finanzielle Situation des Landes, die niemand besser am eigenen Haushalt spüre als die Kommunen, heißt es in dem Schreiben: „Wir, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und Amtsleiter der Stadt-Umland-Kooperation Pinneberg, bestehend aus den Gemeinden Appen, Borstel-Hohenraden, Halstenbek, Kummerfeld, Pinneberg, Prisdorf, Rellingen, Schenefeld und Tangstedt, halten das für unverständlich, inakzeptabel, sachfremd und ein völlig falsches Signal.“
Bürgermeister betonen: „Zehn-Minuten-Takt ist ein Erfolgsmodell“
„Der Zehn-Minuten-Takt zwischen Hamburg und Pinneberg ist ein Erfolgsmodell“, betonen die Verwaltungschefs in dem Brief. Viele Jahre haben Verwaltungen und Selbstverwaltungen für einen einheitlichen Zehn-Minuten-Takt auch über die Haltestelle Elbgaustraße hinaus gekämpft.
„Die Menschen haben die Einführung des Zehn-Minuten-Taktes vor anderthalb Jahren im gesamten Kreisgebiet ersehnt und begeistert aufgenommen. Dieser Takt ist etabliert und gesetzt. So sehr, dass die Bahn in den sogenannten Randzeiten bestens ausgelastet ist. Und zwar nicht nur durch Pinnebergerinnen und Pinneberger, sondern durch Anwohnerinnen und Anwohner im gesamten südlichen Kreisgebiet.
Mehr als 30.000 Menschen nutzen täglich den Bahnhof Pinneberg
Die Bürgermeister wollen jetzt die Gründe für diese Entscheidung erfahren, also Einsparpotenziale, Auswirkung auf die Auslastung der Bahn sowie gegebenenfalls weitere Einsparungen oder Taktveränderungen. Die Bahn sei die Lebensader des bevölkerungsreichsten Kreises des Landes mit den meisten Berufspendlern und den meisten Schülern. Nirgendwo anders im Land würden mehr Menschen auf so kleinem Raum leben.
Jeden Arbeitstag pendeln laut Strukturbericht der Stadt (2022) 15.000 Menschen allein aus Pinneberg ein und aus, Tendenz steigend. Die Schülerinnen und Schüler, Einkaufsbummler oder Fußballfans und Partygänger auf dem Weg nach Hamburg sind dabei noch nicht mitgerechnet. „Diese hohe Anzahl, dieser hohe Bedarf sind der Grund, warum allein nur der Bahnhof Pinneberg täglich von bis zu 30.000 Menschen genutzt wird“, heißt es in der Erklärung der Bürgermeister.
Bürgermeister: Taktverschlechterung schwächt starken Wirtschaftsstandort
Und noch ein Grund spricht aus Sicht der Bürgermeister gegen die Takt-Verschlechterung. „Der Kreis Pinneberg ist ein immens starker Wirtschaftsstandort. Zahlreiche Industrie-, Versorgungs- und Dienstleistungsunternehmen sind hier ansässig, darunter dutzende Hidden Champions und Weltmarktführer. Sie sind hier, weil die Standortbedingungen für ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer exzellent sind. Weil sie erreichbar sind – schnell und bequem.“
Wenn es nach den Leistungsträgern und Gewerbesteuerzahlern gehe, müsste es noch viel mehr Bus- und Bahnverbindungen geben. Die Bürgermeister befürchten: „Verlängern Sie den S-Bahn-Takt, verschlechtern Sie unmittelbar unsere Qualität als Wirtschaftsstandort und mittelbar die Höhe der einzigen Steuer, die wir Kommunen selbst steigern können: die Gewerbesteuer.“
Mit dem Bau des neuen Zentralklinikums wachse der Bedarf für die S-Bahn
Der Druck auf die Schiene werde mehr steigen. Bestes Beispiel sei das neu zu errichtende Zentralklinikum, für das Pinneberg den Zuschlag bekommen hat. Das Land werde sich an dessen Bau mit mindestens 300 Millionen Euro beteiligen. Das Argument: „Ein Grund für die Standortentscheidung Pinneberg war die exzellente Verkehrsanbindung vor der Haustür. Eine Taktverschlechterung konterkariert dieses Vorhaben, das Strahlkraft und Vorbildcharakter für die medizinische Versorgung an der gesamten Westküste entwickeln wird.“
Gleiches gelte für den Bau der Batteriefabrik Northvolt in Dithmarschen. Der Bund fördere dieses Vorhaben mit einer halben Milliarde Euro. Von derzeit 3000 entstehenden Arbeitsplätzen sei die Rede, die vermutlich einen Zuzug von bis 10.000 Menschen bedeuten werden.
Für Northvolt-Mitarbeiter biete Pinneberg hervorragende Lebensbedingungen
Die Pinneberger Verwaltungschefs sind sich sicher: „Mindestens ein Drittel wird pendeln und sich Wohnorte Hamburg nah suchen müssen, die gut in sowohl die eine als auch die andere Richtung angebunden sind.“ Der Kreis Pinneberg könne diesen Menschen sehr guten Wohnraum und tolle Lebensbedingungen bieten. „Die Menschen im Süden des Kreises Pinneberg brauchen die Bahn. Sie ist Teil ihrer DNA.“
Eine Taktverschlechterung sei zudem das denkbar schlechteste Signal für Verkehrswende und Klimawandel. Die Bahn nutze man nur, wenn sie Vorteile gegenüber dem PKW habe. Weil sie schneller sei, weil man Platz habe, weil sie immer fahre und weil man sich die Parkplatzsuche spare. Die Bürgermeister meinen: „Die Taktverlängerung macht die Bahn im Vergleich zum Pkw mehr als unattraktiv und kostet uns Personalressourcen.“
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Sie haben den offenen Brief an den Verkehrsminister unterzeichnet: Ralf Behn, Leitender Verwaltungsbeamter Amt Pinnau, Hans-Peter Lütje, Bürgermeister Gemeinde Appen (Amt Geest und Marsch Südholstein), Henriette Krohn, Bürgermeisterin Gemeinde Tangstedt, Jan Krohn, Bürgermeister Gemeinde Halstenbek, Christiane Küchenhof, Bürgermeisterin Stadt Schenefeld, Jörg Schneider, Bürgermeister Gemeinde Prisdorf, Marc Trampe, Bürgermeister Gemeinde Rellingen, Thomas Voerste, Bürgermeister Stadt Pinneberg, Frank Wulff, Amtsdirektor Amt Geest und Marsch Südholstein. Sie hoffen jetzt auf ein direktes Gespräch mit dem Minister.
Auf Abendblatt-Nachfrage bedauert der Minister „zutiefst, dass er zu diesem Schritt gezwungen ist, weil der Bund eben nicht bereit ist, die sogenannten Regionalisierungsmittel so aufzustocken, dass die massiven Kostensteigerungen aufgefangen werden können.“ Im Gegenteil: Laut Ministerium stehen bundesseitig sogar eher Kürzungen im Raum, obwohl das Grundgesetz nach Artikel 106 den Bund verpflichte, den schienengebundenen Nahverkehr (SPNV) zu fördern.
Landesministerium gibt Bundesministerium die Schuld an Takt-Kürzungen
Das Land allein könne dies „in der augenblicklichen Finanzlage nicht stemmen“. Ministeriumssprecher Harald Haase: „Aus unserer Sicht ist die Ausdünnung eines Taktes auf das ursprüngliche Maß – und zwar nur in den absoluten Randzeiten – noch ein sehr mildes Mittel. Pendler – wie die Bürgermeister argumentieren – sind hiervon also so gut wie gar nicht betroffen, weil zu den üblichen Berufszeiten an den Werktagen und sonnabends bis 15 Uhr der 10-Minuten-Takt ja erhalten bleibt.“
Leider habe die Entscheidung schon jetzt getroffen werden müssen, weil die Umstellung sonst zum Fahrplan 2025 nicht mehr greifen könnte. Der Ministeriumssprecher vermittelt ein klein wenig Hoffnung: „Wir befinden uns weiterhin mit dem Bund in Gesprächen und hoffen, dass es hier noch ein Entgegenkommen geben wird.“
Krämer (FDP): „Nur ein Bluff, um sich als Retter des Zehn-Minuten-Taktes zu präsentieren“
Diese Hoffnung teilt Annabell Krämer, Landtagsabgeordnete der FDP aus Quickborn, nicht. Sie sagt: „Minister Madsen kassiert mit der Taktausdünnung bei der S3 eine der wenigen sinnvollen Maßnahmen, die er in seiner Amtszeit auf den Weg gebracht hat. Er schwächt dabei bewusst den Nahverkehr. Dass diese Aktion vor allem zulasten der Bürgerinnen und Bürger im Kreis Pinneberg gehen würde, scheint der Landesregierung egal zu sein. Zudem scheint Minister Madsen vergessen zu haben, dass gerade im bevölkerungsstarken Rand mit vergleichsweise wenig Aufwand wie einem Zehn-Minuten-Takt viel für den Umstieg auf den Nahverkehr getan werden kann.
Die Liberale ist sich sicher, dass der Minister die für den Takt notwendigen gut 800.000 Euro, aufbringen könnte, wenn er wollte. Das Land habe Ende 2023 fast 50 Millionen Euro in eine Rücklage für den Nahverkehr gepackt und in den ersten Monaten dieses Jahres schon über 1,5 Millionen Euro an Strafzahlungen von der Bahn einbehalten. Annabell Krämer: „Da sollte doch selbst Minister Madsen in der Lage sein, eine Lösung für die S3 zu finden.“ Die Quickbornerin vermutet, dass sich der Minister nur einen Bluff ausgedacht habe, um sich „am Ende als vermeintlicher Retter des 10-Minuten-Taktes präsentieren“ zu können.
„Die Bundesregierung gefährdet mit ihrer verfehlten Sparpolitik die Entwicklung Halstenbeks“
Leon Lienau, junger Ortsvorsitzender der Halstenbeker CDU, sieht die Schuld eher in Berlin als in Kiel angesiedelt. „Hierbei handelt es sich um einen fatalen Rückschritt für jede Bürgerin und jeden Bürger inHalstenbek und im ganzen Kreis Pinneberg“, so der Ortsvorsitzende. Viele Menschen treibe es aus den südlichen Kommunen des Kreises nach Hamburg – sei es zum Arbeiten, Shoppen oder Feiern am Wochenende, erläutert Lienau.
„Aber auch für unsere örtliche Wirtschaft ist eine vernünftige ÖPNV-Anbindung entscheidend. Besonders bei der prekären Haushaltslage ist es für uns als Kommune wichtig, neue Unternehmen anzusiedeln und mehr Gewerbesteuern zu generieren. Durch solche Maßnahmen wird Halstenbeks Attraktivität für Unternehmen jedoch gemindert“, so der Ortsvorsitzende. Insbesondere auch in Bezug auf die angestrebte Verkehrswende ist es inakzeptabel, beim ÖPNV zu sparen. Für Lienau ist klar: „Die Bundesregierung gefährdet mit ihrer verfehlten Sparpolitik die Entwicklung Halstenbeks.“