Pinneberg. Pinneberger räumt Attacke auf Gast einer Raucherkneipe ein. Die Aggression soll jedoch vom späteren Opfer ausgegangen sein.
Sich selbst beschreibt Witali W. als ruhigen, besonnenen Menschen. Und dennoch griff der 35 Jahre alte Pinneberger am 7. Oktober vorigen Jahres vor einer Raucherkneipe in seiner Heimatstadt zum Messer und stach mehrfach auf einen Kontrahenten ein, der lebensgefährliche Verletzungen erlitt.
Warum er in dieser Nacht entgegen seinem Naturell handelte, versuchte der in Untersuchungshaft sitzende Mann am Dienstag den Richtern am Landgericht Itzehoe zu erklären. Vor der Schwurgerichtskammer muss sich der 35-Jährige wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung verantworten. Am zweiten Prozesstag legte er so eine Art Geständnis ab.
Witali W. kaufte kurz vor der Tat ein Gramm Kokain
„Ich bin kein gewaltbereiter Mensch“, so der Angeklagte. Seine Schlussfolgerung daraus: „Ich kann mir nur erklären, dass Alkohol und Drogen dafür verantwortlich sind.“ Beides hatte Witali W. vor der Tat reichlich konsumiert.
Er berichtete dem Gericht, am Nachmittag des 6. Oktober zunächst in Pinneberg ein Fitnessstudio besucht zu haben. Dann sei er nach Osdorf gefahren, wo er aufgewachsen sei. An einem Döner Imbiss an der Straße Achtern Born habe er gegen 16 Uhr Bekannte getroffen. „Das ist ein Hotspot, da treffen sich immer mehrere Leute.“
Der Bluttat ging angeblich ein erheblicher Alkohol- und Drogenkonsum voraus
Von einem Bekannten will der Angeklagte ein Gramm Kokain für knapp 100 Euro erworben und in vier bis fünf Portionen für den späteren Konsum aufgesplittet haben. Mit den Freunden habe er fünf bis sechs Dosen Jack Daniels Cola getrunken, ehe ihn um 18 Uhr absprachegemäß seine Mutter abgeholt und zurück nach Pinneberg chauffiert habe.
Witali W. war zum Zeitpunkt der Bluttat arbeitslos, wohnte bei seinen Eltern. Zurück in der Kreisstadt, habe er sich umgezogen („Ich wollte feiern gehen“) und ein weiteres Glas Whisky Cola getrunken. Am frühen Abend sei er dann in der Raucherkneipe „Alo‘s“ am Fahltskamp eingetroffen, wo eine Freundin von ihm am Tresen arbeiten würde.
Angeklagter wusste, dass die Frau, mit der er sprach, vergeben war
„Ich wollte die treffen, aber an dem Abend war sie nicht da.“ In der Kneipe habe er Karten gespielt, etwas Geld verloren. Weitere Mischungen Whisky Cola getrunken und auf der Toilette das Kokain geschnupft. Und er habe sich mit diversen Leuten unterhalten. Auch mit einer Frau, von der wusste, dass sie zu einem anderen Gast gehörte – Gabriel M. (44), dem späteren Opfer.
„Ich habe sie zu keinem Zeitpunkt angebaggert, mich mit ihr über normale Dinge wie Politik unterhalten.“ Jedoch habe er schnell den Eindruck gewonnen, dass ihr Freund das Gespräch sehr wohl als Anmache werten würde. „Er saß da, murmelte etwas vor sich hin und hat mich böse angeguckt.“
Er habe mehrfach versucht, die Situation zu entschärfen, beteuerte der 35-Jährige. Auch ein weiterer Gast habe etwas in dieser Richtung unternommen und gedolmetscht, weil der aus Rumänien stammende Gabriel M. nur gebrochen Deutsch sprach. Er sei zwischendurch auch mit Gabriel M. und mehreren Zeugen für eine Aussprache vor die Tür gegangen, beide hätten über die Sache gesprochen. „Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass es etwas gebracht hat.“
In der Kneipe („Ich habe mich versucht, von der Frau fernzuhalten“) sei er dann erneut auf den aggressiv wirkenden Kontrahenten gestoßen. „Entweder hat er mich aufgefordert, noch einmal mit nach draußen zu kommen oder ich habe das vorgeschlagen.“ Zu diesem Zeitpunkt habe er ohnehin nach Hause gehen wollen.
Kontrahent habe ohne Vorwarnung mit den Fäusten auf ihn eingeschlagen
Vor der Tür habe Gabriel M. ohne Vorwarnung mit den Fäusten auf ihn eingeschlagen. „Er hat mich zu Boden geschlagen.“ Der Kontrahent sei ihm körperlich überlegen gewesen. In dieser Situation habe er zu seinem Anglermesser gegriffen, das er zufälligerweise in der Bauchtasche seiner Jacke dabeigehabt habe.
Um weitere Angriffe abzuwehren, habe er wahllos in Richtung Oberkörper des Angreifers gestochen. „Ob und wohin ich ihn getroffen habe, weiß ich nicht.“ Er habe jedoch nicht den Eindruck gehabt, dass die Stichbewegungen etwas ausgelöst hätten. Denn kaum sei er wieder auf die Beine gekommen, habe ihn Gabriel M. gepackt, umklammert und versucht, wieder zu Boden zu stoßen.
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„Ich wäre mit dem Kopf auf den Asphalt geschlagen, er wäre auf mich drauf gefallen.“ In dieser Situation habe er dem 44-Jährigen dreimal in den Bereich der Schulter gestochen. „Er sagte soetwas wie ‚Okay. okay`, hat mich losgelassen und ist zurück in die Kneipe.“
Witali W. will sich dann auf den Heimweg gemacht haben. Welchen Weg er genau nahm, wisse er nicht. Er erinnere nur, irgendwann auf die Pinnau getroffen zu sein und das Messer im Fluss versenkt zu haben.
Angeklagter wollte das spätere Opfer „weder verletzen noch töten“
Er habe den Kontrahenten weder schwer verletzen, noch töten wollen, beteuerte der Angeklagte. Er ließ seinen Verteidiger Ole Baumann in seinem Namen eine Erklärung zum Tatablauf verlesen, beantwortete im Anschluss bereitwillig die Fragen der Richter.
So gab Witali W. an, das Opfer etwa drei Wochen zuvor gemeinsam mit dessen Freundin in eben dieser Raucherkneipe kennengelernt zu haben. Er habe sich mit beiden unterhalten, Probleme habe es keine gegeben. Er habe jedoch den Eindruck gehabt, dass ihn Gabriel M. damals „seine Freundin angeboten habe“, so der Angeklagte.
Gab es drei Wochen vor der Tat ein sexuelles Angebot seitens des späteren Opfers?
Nach seiner Erinnerung habe der ihn gefragt, ob er mit ihm und seiner Freundin in deren Wohnung gehen wolle. Das sei ihm wie ein sexuelles Angebot vorgekommen. Er habe dies jedoch abgelehnt und darauf verwiesen, liiert zu sein, so der Angeklagte.
Auf Nachfrage gab er auch an, etwa eine Woche vor der Tat mit Freunden in Appen-Etz zum Angeln gewesen zu sein, obwohl er keinen Angelschein besitze. Dabei habe er offenbar unbewusst das Messer in der Bauchtasche der Jacke verstaut. Die Jacke habe er dann an dem Abend in der Raucherkneipe getragen. Irgendwann an dem Abend sei ihm die Existenz des Messers aufgefallen.
Opfer konnte nur dank einer Notoperation gerettet werden
Ob die Richter dem Angeklagten das alles so abnehmen, wird der weitere Prozessverlauf zeigen. Als Nächstes werden das Opfer, das nur dank einer Notoperation gerettet werden konnte, sowie die weiteren Zeugen aus der Raucherkneipe als Zeugen vernommen. Auch Polizisten sowie Ermittler der Mordkommission und das Gutachten zu den Verletzungen des Opfers stehen auf dem Beweisprogramm.
Fünf Stich- und Schnittverletzungen zählt die Anklageschrift auf. Ein Stich traf den Oberkörper kurz unterhalb der Brust, ein weiterer die linke Schulter, ein dritter den unteren Rücken. Außerdem werden ein Schnitt im Bereich des Ohrs und des Schlüsselbeins aufgeführt.
Am gefährlichsten waren die Stiche unterhalb des Brustbereichs und im unteren Rücken. Dabei wurde die rechte Niere des Opfers so stark verletzt, dass sie inklusive der Nebenniere von den Ärzten entfernt werden musste. Der andere Stich öffnete die Lunge des damals 44 Jahre alten Mannes und führte zu einem beidseitigen Pneumothorax, also zu Luft in der Lunge.
Bluttat vor Raucherkneipe: Noch vier weitere Termine bis Mitte Juni angesetzt
Möglicherweise muss die Kammer im Prozessverlauf auch ein Gutachten in Auftrag gegeben, was sich mit der Schuldfähigkeit des Angeklagten beschäftigt. Verteidiger Ole Baumann hält seinen Mandanten angesichts der erheblichen Alkohol- und Drogenbeeinflussung nur für vermindert schuldfähig.
Bisher hat die Kammer noch vier weitere Prozesstage angesetzt, den letzten am 14. Juni. Angesichts des noch zu bewältigenden Programms erscheint nicht ausgeschlossen, das noch weitere dazukommen werden.