Pinneberg. Trikots, Kutten, Fankult: Museumsmitarbeiter zeichnet mit raren Leihgaben glänzende WM-Zeiten und Schattenseiten des Fußballs nach.

Ganze 15 Jahre hat Philipp Wilkens Fußball gespielt. Fast durchgängig hielt er zu seinem Heimatverein SV Viktoria Oldendorf bei Zeven (Niedersachsen), zumeist als Mittelfeldspieler. Jetzt rückt sein Beruf in den Vordergrund. Wilkens strebt einen Job als Museumswissenschaftler an - und bringt Leidenschaft und Job ausgerechnet in Pinneberg auf eine Linie.

Seit knapp zwei Jahren ist Philipp Wilkens als wissenschaftlicher Volontär im Pinneberger Stadtmuseum tätig. Unter den wachsamen Blicken von Museumsleiterin Caroline Schröder lernt er, Sammlungsobjekte zu begutachten, historisches Wissen an Besucher zu vermitteln und Ausstellungen mitzugestalten.

„Fußball verbindet“ und kann wegen grenzenlosen Hasses auch zerstören

Eine eigene Ausstellung zu entwickeln, ist am Ende die Aufgabe für einen wissenschaftlichen Volontär. Dafür wählte Wilkens als Thema seine eigene Leidenschaft. „Fußball verbindet“ hat er das Projekt überschrieben. Dabei zeigt Wilkens auch die Schattenseite des Sports. Denn in einem Stadion vermischen sich die Grenzen zwischen bedingungsloser Anfeuerung und grenzenlosem Hass.

Der Blindenfußball, der beim FC St. Pauli eine große Rolle spielt, kann mit einer Dunkelbrille selbst getestet werden.
Der Blindenfußball, der beim FC St. Pauli eine große Rolle spielt, kann mit einer Dunkelbrille selbst getestet werden. © Michael Rahn | Michael Rahn

In drei Teile hat der Museumswissenschaftler in spe seine Ausstellung gesplittet. Im ersten Raum tauchen die Gäste ein in zwei glückliche Augenblicke der deutschen Fußballwelt. Zuerst ist Herbert Zimmermann zu hören, wie er bei der WM den entscheidenden Treffer für die Zuhörer schildert: „Bozsik, immer wieder Bozsik, der rechte Läufer der Ungarn – am Ball. Er hat den Ball – verloren diesmal gegen Schäfer. Schäfer nach innen geflankt. Kopfball. Abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt. – Toooor! Tooor! Tooor! Tooor!“

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Es folgt der Reporterkommentar von Tom Bartels, als Mario Götze bei der WM 2014 im Endspiel gegen Argentinien der entscheidende Treffer gelingt. Umrahmt ist dieser Raum von großen Bildern aus den Stadien von Borussia Dortmund, wo einst Götze brillierte, und aus der nahen St.-Pauli-Kultstätte am Millerntor, sodass sich der Besucher wie ein Teil der Tribüne fühlt.

Museumsleiterin Caroline Schröder hätte gern einmal die Fußballschuhe von Fritz Walter, er war Spielführer des WM-Teams 1954, in den Händen gehabt. Aber auch die Grafiken von Ralf Marczinczik zum Thema Fußball gefallen ihr sehr.
Museumsleiterin Caroline Schröder hätte gern einmal die Fußballschuhe von Fritz Walter, er war Spielführer des WM-Teams 1954, in den Händen gehabt. Aber auch die Grafiken von Ralf Marczinczik zum Thema Fußball gefallen ihr sehr. © Michael Rahn | Michael Rahn

Im zweiten Raum zeigt Philipp Wilkens die andere Seite des jubilierenden Sports, wo Fußball ausgrenzt. „Rassismus, Hass und Diskriminierung werfen in Geschichte und Gegenwart Schatten auf den Fußball“, berichtet der Ausstellungs-Kurator. Er offenbart ebenso die von den Unterstützern der Nazi-Diktatur gelenkte menschenverachtende Demoralisierung und Ermordung des bis 1933 umjubelten jüdischen Fußballers, Julius Hirsch, wie auch die Erlebnisse des aktuellen Nationalspielers Antonio Rüdiger.

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Fußball im Ausnahmezustand: Das Foto von Ariel Varges (1890-1972) zeigt, wie an Weihnachten 1915 Soldaten in Thessaloniki all die Last des Krieges für ein paar Minuten abschütteln.
Fußball im Ausnahmezustand: Das Foto von Ariel Varges (1890-1972) zeigt, wie an Weihnachten 1915 Soldaten in Thessaloniki all die Last des Krieges für ein paar Minuten abschütteln. © Michael Rahn | Michael Rahn

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Wie Fußball im Krieg verbindet, wie Fußball Menschen mit Handicaps stärken kann und wie der VfL Pinneberg als Amateurverein die kleinen und großen Talente im Fußball begeistern kann – das ist der dritte, ebenfalls multimedial bestückte Teil der Ausstellung.

Die Sonderausstellung, die mittwochs sowie freitags bis sonntags von 14 bis 17 Uhr und donnerstags von 10 bis 12 Uhr geöffnet ist, spricht fast alle Sinne an. Wer nur sehen will, hat viel zu bestaunen, das Wilkens vom DFB und aus anderen Schatzkammern losgeeist hat. Wer hören will, kann den Interviews mit großen und kleinen Sportlern sowie berühmte Kommentatoren lauschen. Wer fühlen will, der darf das eine oder andere anfassen und sich selbst als Blindenfußballer testen.

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Zu den Ausstellungstücken zählen etwa Fan-Utensilien wie Kutten von Borussia Mönchengladbach, dem TSV 1860 München und dem 1. FC Nürnberg. Auch Trikots sind zu sehen, etwa vom aktuellen deutschen Nationalverteidiger Antonio Rüdiger oder die Kapitänsbinde von Manuel Neuer. Auch die Torwarthandschuhe des verstorbenen Robert Enke werden ausgestellt.

Nur mit dem Riechen und Schmecken wird es schwierig. Das klappt aber bestimmt beim ersten Pinneberger Museumscup, den der VfL Pinneberg am 15. Juni ausrichten wird, an den Versorgungsständen fürs Publikum. Nach langer Zeit wird dann auch Philipp Wilkens wieder seine Fußballschuhe schnüren und mit dem Rathaus-Team kicken. „Fußball vereint“, in diesem Fall die Stadtverwaltung und die Museumsleute.