Wedel. In Wedel trainieren die Satellites, eine der größten Abteilungen des Landes. Sie stehen für die rasante Entwicklung des Sports.
Wer überzeugt davon ist, dass die heutige Jugend „nichts taugt, nur abhängt, auf Smartphones herumtippt oder auf Gaming-Plattformen Zeit und Geld verdaddelt“, sollte mal hören, wie Emilia Gifhorn ihr sportliches Engagement beim Cheerleading einordnet: „Wir lernen hier viele Dinge, die mir in Zukunft helfen können, mir richtig was aufzubauen. Ich will schließlich etwas erreichen im Leben.“ Eine verblüffend frühe mentale Reife: Emilia ist gerade mal zehn Jahre alt.
Ihre Freundin Zoe Kröger (12) wurde durch eine Cheerleading-Show auf dem Hamburger Hafenfest angefixt. Das wollte sie danach unbedingt selbst ausprobieren. Inzwischen schätzt sie die Vielseitigkeit ihres Sports. Denn zum Cheerleading gehört mehr als nur kurze Röckchen und glitzernde Pompons: Kondition, Sprungkraft, Flexibilität und Koordination sind Voraussetzungen, um am Ende eine brillante Show abliefern zu können.
Trendsport-Serie: Die Wedelerinnen sehen sich mit 170 Cheerleadern führend in Schleswig-Holstein
Dafür nehmen Zoe, Emilia und rund 20 weitere acht- bis zwölfjährige Mädchen, die dem Kader der „Starlets Deluxe“ von den Cheerleadern des SC Rist Wedel angehören, die Belastung von wöchentlich drei Trainingseinheiten á zweieinhalb Stunden in Kauf.
Die Chefin dieser Wedel Satellites Cheerleader, Iris Brendt, hat ohnedies Anlass zur Fröhlichkeit. Denn nach der unfreiwilligen Corona-Auszeit 2020 und 2021 hat der Zulauf enorm angezogen, „eine Riesenwelle an Neueinsteigern, besonders im Kinderbereich“ schwappte über den Klub hinweg, berichtet die 49-Jährige. Mittlerweile sind die Wedeler mit knapp 170 Aktiven führend in Schleswig-Holstein.
Die Wedeler Cheerleader stoßen an ihre Kapazitätsgrenze
Die stark eingeschränkten Entfaltungsmöglichkeiten während der Pandemie haben bei vielen Jugendlichen anscheinend den Wunsch stimuliert, sich neu zu orientieren. Jedenfalls hält der Aufwärtstrend unvermindert an. Inzwischen stoßen sie in Wedel bereits an Kapazitätsgrenzen, nicht zuletzt, weil es an Hallenzeiten fehlt.
Ein Problem, das sich auf absehbare Zeit eher noch verschärfen dürfte. Aber immerhin konnte im vorigen Jahr für die Sporthalle Moorwegschule eine 14 x 14 Meter große Spezialmatte angeschafft werden. Kostenpunkt: rund 10.000 Euro. Es kommt vor, dass an Sonntagen insgesamt acht Wedeler Cheerleader-Riegen nacheinander von sieben bis 21 Uhr auf diesem hochwertigen Nadelfilzveloursbelag trainieren. Mehr geht nicht.
Allmählich gibt es sogar olympische Bestrebungen bei den Cheerleadern
Die bereits skizzierte Variabilität der Disziplin fasziniert offenbar immer mehr Heranwachsende. Zumal sie im vergangenen Jahrzehnt „unheimlich an Dynamik hinzugewonnen“ habe, sagt Brendt: „Inzwischen gibt es sogar deutsche Nationalmannschaften, die auf Weltmeisterschaften gut abschneiden.“ Bei den Championships 2023 in Japan sprangen zwei vierte Plätze heraus. Schon sprießen Träume von der Teilnahme an Olympischen Spielen.
Es habe sich eine veritable Wettkampfsportart entwickelt, die unterschiedliche Schwierigkeiten miteinander kombiniere, erläutert die Wedelerin. Hebe- und Wurffiguren, turnerische wie tänzerische Elemente und – ganz spezifisch – die Anfeuerung eines Teams. Im Jargon heißen die akrobatischen Einlagen „Stunts“ und „Pyramiden“, die bodenturnerischen Übungen „Tumbling“. Ausdauer, Kraft und Biegsamkeit sind gefordert, und alles zusammen ist nicht nur intensiv und abwechslungsreich, sondern vor allem anspruchsvoll.
Für die Teamdarbietungen bekommt jedes Mädchen seine optimale Rolle zugewiesen
Doch keine Bange: Nicht jede Akteurin muss alles beherrschen. Die Trainerinnen achten schon im Sinne des schlussendlichen Gesamtkunstwerks darauf, dass die Mädchen Rollen im Ensemble zugewiesen bekommen, die ihren Fähigkeiten entsprechen. Wer etwa zu Höhenangst neigt, sollte nicht unbedingt die Spitze einer Pyramide bilden und hoch droben auch noch figurieren.
So eine einstudierte, zweieinhalbminütige Choreografie bei Wettkämpfen hat es in sich. „Sturzrisiken sind nicht auszuschließen“, räumt Brendt (49) ein, und erzählt von einem Szene-internen Bonmot: „In den USA, wo oft am Spielfeldrand ohne Matten performt wird, gab es schon Statistiken, die besagten, dass beim Cheerleading häufiger Verletzungen vorkommen als beim American Football selbst.“
Unfallvermeidung ist ein wichtiger Faktor beim Cheerleading in Deutschland
Übertragbar auf Deutschland ist diese Skurrilität nicht. Beim hiesigen Dachverband rühmen sie sich eines ausgeprägten Problembewusstseins. Die Teams dürfen nur Elemente eines höheren Levels in ihre Shows einbauen, wenn sie nachweislich die weniger schwierigen sicher beherrschen.
So soll verhindert werden, dass der Ehrgeiz die Risikobereitschaft ins Unverantwortliche steigert. Iris Brendt kann ängstliche Eltern beruhigen: „Wir haben 25 Jahre Erfahrung in Wedel und top ausgebildete Trainerinnen. Jedes Kind wird alters- und entwicklungsgerecht an die Aufgaben herangeführt.“
Mitte Februar geht es in der Sporthalle Hamburg um die norddeutschen Regionaltitel
Wenngleich die Begleitung von Zweitliga-Basketball-Heimspielen der „Risters“ nach wie vor zum festen Repertoire gehört, gehen die eigenen Wettkämpfe natürlich vor. Beispielsweise die norddeutschen Regionalmeisterschaften Mitte Februar in der Sporthalle Hamburg, für die die Wedeler „Starlets Deluxe“ aus Reihen der Satellites als frisch gekürte Landesmeister qualifiziert sind.
Die acht- bis zwölfjährigen Mädchen sind ohnehin ein Aushängeschild des Vereins. In den vergangenen vier Jahren schafften sie regelmäßig den Sprung zu den Deutschen Meisterschaften und belegten dort mehrfach Top-Ten-Plätze. Die zuletzt erneut glänzenden Vorstellungen auf Landesebene lassen auch für 2024 wieder glänzende Resultate auf Bundesebene erwarten.
An den Nord-Titelkämpfen werden auch die Maniacs Elmshorn, Holm Panthers und Lieth Allstars teilnehmen
An den Nord-Titelkämpfen in Hamburg werden aus dem Kreis Pinneberg auch Teams der Maniacs Elmshorn, der Holm Panthers und denen der Lieth Allstars teilnehmen. Auf der Homepage des SV Lieth wird auf die inklusive Komponente beim Cheerleading hingewiesen: „Bei uns findet jeder einen Platz. Egal, ob groß oder klein, breit oder schmal, mit oder ohne Handicap.“
- Wer hilft den Black Panthers bei ihrem WM-Traum?
- Cheerleading: Teams aus vier Vereinen sind eine Runde weiter
- Cheerleader: Maniacs holen zwei deutsche Vizemeisterschaften
Fassen wir zusammen: Jeder, der eingedenk dieser beeindruckenden Entwicklung die Cheerleading-Choreografien noch immer als drolliges Beiwerk für maskuline Truppen beim American Football oder Basketball versteht oder die meistens weiblichen Sportler als „Hupfdohlen“ diskriminiert, hat den Schuss nicht gehört. Dieses Klischee, entstanden in den US-amerikanischen Ursprüngen, die zurückreichen bis in die Anfänge des vorigen Jahrhunderts, hat sich zwar zäh gehalten, ist jedoch hoffnungslos gestrig.